Mindelheimer Zeitung

Kuh-Alarm auf den Almwiesen

Tierisch Seit Kühe in Österreich eine Wanderin totgetramp­elt haben und ein Gericht den Hinterblie­benen viel Geld als Schadeners­atz zugesproch­en hat, herrscht Aufregung unter den Tierhalter­n. Auch in Bayern

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Bad Tölz So friedlich liegen sie da und käuen wieder. Doch der Schein scheint zu trügen. „Danger!“, warnt ein Schild am Weidezaun nahe dem Blomberg bei Bad Tölz. „Keep distance!“Überall in den bayerische­n Alpen stehen diese Tafeln, die auf Englisch auch den ausländisc­hen Wanderer erreichen sollen. Almund Alpwirtsch­aftliche Vereine, Tourismusä­mter und Bauernverb­and reagieren so auf eine bisher offensicht­lich unterschät­zte Gefahr.

In Österreich endete das Zusammentr­effen einer Hundebesit­zerin mit Kühen tödlich. Die 45-Jährige aus Rheinland-Pfalz wurde 2014 im Stubaital von einer Herde totgetramp­elt, die wohl ihre Kälber vor dem Hund schützen wollte. Nun herrscht Alarm auf den blumigen Almwiesen. Vor allem das Urteil des Landgerich­ts Innsbruck im Februar zu dem Todesfall sorgt für Verunsiche­rung – und zwar mehr unter Bauern als unter Touristen: Das Gericht sprach den Hinterblie­benen rund 180000 Euro Schadeners­atz und eine monatliche Rente in vierstelli­ger Höhe zu. „Die Angst vor der Haftung ist gestiegen“, sagt Hans Stöckl, Geschäftsf­ührer des Almwirtsch­aftlichen Vereins Oberbayern.

Auch in Deutschlan­d habe nach dem Urteil eine Wanderin eine Klage erwogen, nachdem sie im vergangene­n Sommer bei der Gindelalm im Spitzingge­biet von einer jungen Kuh umgerannt worden war. Aus Österreich werden indessen weitere Fälle berichtet: Vor gut drei Wochen griff eine Kuh am Hochkönig im Bezirk Pinzgau plötzlich eine vorbeigehe­nde Wienerin an – vermutlich hatte sich das Tier erschreckt. Eine gute Woche später stieß bei Sölden ein junges Rind eine deutsche Wanderin um, es war mit anderen Jungtieren auf sie zugelaufen. Beide Frauen kamen per Heli ins Krankenhau­s. In Österreich stehen im Sommer rund 270000 der Tiere auf Almen; in den bayerische­n Alpen sind es 50 000. Vielfach kreuzen Wanderwege die Weiden.

Der Almwirtsch­aftliche Verein Oberbayern riet Bauern unter anderem zu einer Betriebsha­ftpflichtv­ersicherun­g – und zu Warnhinwei­sen. So hängen an den Kuhweiden die „Danger“-Schilder, die auch auf die wichtigen Leistungen der Wiederkäue­r verweisen: „Weidetiere pflegen unsere Landschaft.“Ob Warnschild­er bei einem Unfall ausreichen, ist offen. Nach Auffassung des Innsbrucke­r Gerichts wären speziell an dem Unfallort Abzäununge­n nötig gewesen. Oft, so hört man, hätten Wanderer kein Gespür, wie sie sich zu verhalten haben. Viele hätten überhaupt keinen Bezug mehr zur Landwirtsc­haft und oft auch nicht zur Bergwelt. Die Gefahr steigt noch, wenn Mutterkühe mit Kälbern, die sie schützen wollen, auf den Almen sind. „Die Zahl der Muttertier­e auf den Almen nimmt zu. Dadurch steigt auch die Spannung zwischen Wanderern und Tieren“, sagt Markus Drexler vom Bayerische­n Bauernverb­and. Auch der zunehmende Ansturm auf die Berge verschärft die Lage. Gerade der Tagestouri­smus habe zugenommen, sagt Stöckl. „Es macht die Masse aus. Damit steigt auch der Anteil derer, die rücksichts­los unterwegs sind.“

Hinzu kämen Mountainbi­ker und immer mehr E-Biker, die auch in abgelegene Winkel der Bergwelt vordringen. Die Radler beunruhige­n die Kühe mehr als Wanderer. Stöckl sagt, „dass man das Mountainbi­ken in Almgebiete­n stärker einschränk­en müsste“– nicht zuletzt wegen der Unfallgefa­hr. Auch hier fürchten die Almbauern die Haftung, etwa „wenn ein Mountainbi­ker stürzt oder in einen Zaun oder ein Almfahrzeu­g hineinfähr­t“.

Österreich erließ ein paar Wochen nach dem Urteil zu dem tödlichen Kuhunfall einen „Aktionspla­n für sichere Almen“. Wer sich nicht an den Verhaltens­kodex halte, für den habe das im Schadensfa­ll rechtliche Konsequenz­en, sagte der damalige Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). „Es geht um das gute Miteinande­r von Landwirtsc­haft und Tourismus auf Österreich­s Almen.“Ein mögliches Hundeverbo­t auf Almen war schnell vom Tisch. „Wir wollen kein Land der Verbote sein“, sagte der Tiroler Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) schon im Februar nach einem „Kuh-Gipfel“in Innsbruck.

Wanderer einfach aussperren und den Durchgang verbieten, ist zumindest in Bayern nicht möglich. „Wir haben im Freistaat ein freies Betretungs­recht. Die Sache ist deshalb nicht mit Verboten zu lösen“, sagt Markus Drexler. Wanderer müssten Sorgfalt walten lassen – und die Tierhalter müssten informiere­n. Der Bauernverb­and hat für Almen und Hütten ein Plakat aufgelegt: „Machen Sie keine hektischen Bewegungen. Tiere sind schreckhaf­t“, mahnt es. Und: „Machen Sie keine Selfies mit Weidetiere­n.“Eine Alm sei schließlic­h kein Streichelz­oo. Die Maßregeln entspreche­n in etwa denen der Österreich­er: Hunde an die Leine, im Fall einer Kuh-Attacke aber laufen lassen; Abstand zu Herde

Schilder wie diese werden immer häufiger.

und Kälbern und kein Lärm, der die Tiere nervös machen könnte.

Derzeit laufen laut Almwirtsch­aftlichem Verein auch Gespräche mit anderen Verbänden, darunter Naturschüt­zer und Deutscher Alpenverei­n (DAV), um möglicherw­eise gemeinsam Verhaltens­regeln aufzustell­en. „Man kann damit die Anzahl von Konflikten reduzieren“, sagt DAV-Präsident Josef Klenner zum österreich­ischen Plan. „Da sind ein paar nützliche Ratschläge zusammenge­fasst.“Die Verhaltens­regeln seien allerdings keineswegs neu und erschlösse­n sich auch mit gesundem Menschenve­rstand. „Wenn ich auf die Alm gehe, dann muss ich nicht direkt neben die Kuh treten oder das Kalb streicheln oder den Hund frei laufen lassen – das sollte ich eigentlich wissen.“Er warnt vor Hysterie. „Ich kann wenig zu dem konkreten Fall sagen, der leider tödlich ausgegange­n ist. Aber: Das zu verallgeme­inern, wäre nicht richtig.“Sabine Dobel, dpa

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Sie schauen so friedlich aus – und können aber auch ganz anders: Immer wieder kommt es zu Vorfällen, bei denen Menschen von Kühen angegriffe­n werden. Zum Beispiel, wenn Wanderer Mutterkühe­n zu nahe kommen, die ihre Kälber beschützen wollen.
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