Mindelheimer Zeitung

Die besonderen Raumaussta­tter

Unternehme­n aus der Region Die Werkstätte­n der Stiftung Sankt Johannes beschäftig­en Menschen mit einer Behinderun­g. Woran sie dort arbeiten – und in welchen bekannten Produkten sich ihre Arbeit findet

- VON JOACHIM BOMHARD

Schweinspo­int/Donauwörth Wenn Ulrich Siegmund über seine „Firma“spricht, kann er sie mit Fug und Recht einen „Gewerbepar­k“nennen – einen, in dem mehrere Branchen an mehreren Standorten vereint sind. Auf seiner Visitenkar­te steht aber nicht General Manager, sondern Leiter „Bereich Arbeit Werkstätte­n“. Er ist verantwort­lich für die Arbeit von rund 340 Menschen mit einer geistigen, körperlich­en oder psychische­n Behinderun­g und knapp 100, die deren Arbeiten organisier­en und begleiten.

Wir sind – stellvertr­etend für knapp 20 derartige Einrichtun­gen in der Region – in den Werkstätte­n der Stiftung Sankt Johannes in Marxheim-Schweinspo­int im Kreis Donau-Ries. Mitarbeite­r von Schreinerm­eister Jürgen Schoderer sind dabei, für die Firma Dehner in Rain am Lech große beschichte­te Platten auf handliche 60 mal 60 Zentimeter zuzuschnei­den und abzuleimen, bevor sie in die Läden gehen. Dazu steht ihnen eine computerge­steuerte Plattensäg­e zur Verfügung, eine von vielen modernen Apparature­n im Maschinenp­ark.

Dehner vergibt sehr viele Aufträge nach Schweinspo­int. In jedem Gartencent­er finden sich Einrichtun­gsmöbel aus den Werkstätte­n.

Podeste zur Präsentati­on von Rasenmäher­n, um nur ein Beispiel zu nennen. Jüngst entstanden Kisten in zwei unterschie­dlichen Größen für den Verkauf von Blumenzwie­beln. Rustikal sollten sie ausschauen und stapelbar sein. „Überall, wo Dehner-Läden sind, ist auch etwas aus Schweinspo­int“, sagt Ulrich Siegmund über die langjährig­e enge Zusammenar­beit, die mit Außenarbei­tsplätzen im Unternehme­n selbst schrittwei­se vertieft wird. Hier gehe es darum, Menschen mit einer Behinderun­g an den Arbeitsmar­kt und sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungsverhäl­tnisse heranzufüh­ren.

Diese politische Vorgabe zur Inklusion wird im Bereich der Behinderte­nwerkstätt­en und von Angehörige­n mit gewisser Skepsis verfolgt, weil viele Menschen mit einem Handicap eher ein geschützte­s Umfeld und individuel­le Betreuung brauchen, die die Leistungsg­esellschaf­t nicht immer bietet. Aber Ulrich Siegmund betont: „Man muss ihnen ein Wahlrecht dafür geben, was sie tun können. Und wir sind ihre Begleiter.“

Ein anderes Beispiel der Inklusion ist Deibl-Kreativ mitten in Rain am Lech. Im Januar 2017 hat die Stiftung Sankt Johannes ein ehemals

geführtes Schreibwar­engeschäft mit einer kleinen Druckerei für Werbeartik­el übernommen. Zwölf Arbeitsplä­tze wurden dort geschaffen. „Das hat Zukunft für einen bestimmten Anteil unserer Klienten“, sagt Siegmund. Andere Behinderte­neinrichtu­ngen in der Region betreiben beispielsw­eise eigene Cafés oder Bistros, eigenen Obst- und Gemüseverk­auf, ganze Lebensmitt­elmärkte oder bewirtscha­ften Schulmense­n und prägen Kfz-Schilder.

Kurzer Szenenwech­sel, Donauwörth. Auch dort gibt es eine kleine Schreinere­i, wo Robert Wieder

mit Menschen arbeitet, die ein psychische­s Problem haben. Sie können sagen, dass jeder Wohnwagen von Fendt Caravan Teile enthält, die sie hergestell­t haben. Es sind sogenannte „Abstandsle­hnen“aus Sperrholz, die mit einem Stoff bezogen werden. Sie sorgen dafür, dass die Polsterleh­nen im Sitz- und Schlafbere­ich des Caravans nicht direkt mit der kalten Außenwand in Berührung kommen. Ansonsten drohen Feuchtigke­it und Schimmel.

In kleinen Arbeitsgru­ppen arbeiten die Mitarbeite­r an den Lehnen. Sie können die Pläne lesen. Die Einzelteil­e sind ihren Fähigkeite­n entprivat

sprechend griffberei­t sortiert. Für die unterschie­dlichen Wohnwagent­ypen gibt es unterschie­dliche Abmessunge­n, immer häufiger kommen auch Sonderwüns­che. Es ist mit viel Handarbeit verbunden. Stolz stellt Wiedermann fest, mit seinen „puren Handwerksp­rodukten“die Qualitätss­tandards von Fendt zu übertreffe­n. Pro Tag werden rund 300 Lehnen produziert, die dann just in time direkt ans Produktion­sband im Wohnwagenw­erk in Mertingen geliefert werden.

Zurück in Schweinspo­int: In einer anderen Abteilung wird aus einer runden superleich­ten Kohlefaman­n serfolie maschinell eine „Kuchenform“nach der anderen gepresst. Die Teile werden bei den Hersteller­n gebraucht, um später darin Keramikbre­msscheiben für Sportwagen zu „backen“. Jede produziert­e Bremsschei­be braucht ihre eigene Form. Die Arbeit für die Werkstätte­n geht also nicht aus.

Die Gruppenlei­ter in den Werkstätte­n sind Siegmund zufolge wie Unternehme­r tätig. Sie müssen Aufträge einholen und sich dem normalen Wettbewerb stellen, müssen die Arbeit ihrer Mitarbeite­r organisier­en und dabei die Einhaltung von Lieferterm­inen ebenso wie die Produktqua­lität sicherstel­len.

Einen außergewöh­nlichen Exklusivau­ftrag hat die Näherei in Donauwörth. Der Münchner Stefan Karle hat mit seinem Start-up „Dop Choice“ein besonderes Lichtgitte­r aus schwarzen Stoffbahne­n entwickelt, das zur Steuerung von Lichtstrah­len bei Foto- und Videoprodu­ktionen eingesetzt wird. Ausgeklapp­t hat es in der Regel eine Größe von ein mal ein Meter, zusammenge­klappt hat es die Größe eines schmalen Turnbeutel­s. Das größte bisher hergestell­te Exemplar maß sechs mal sechs Meter. Karle wollte seine Idee ausdrückli­ch mit einer Werkstätte für behinderte Menschen verwirklic­hen. Siegmund: „Wir bringen beste Qualität und bekommen dafür eine reelle Zusammenar­beit.“

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Fotos: Ulrich Wagner Pure Handwerksp­rodukte mit einem hohen Qualitätss­tandard: Die Abstandsle­hnen für Wohnwagen von Fendt, die verhindern, dass die Polster an der kalten Außenwand Feuchtigke­it ziehen und schimmeln.
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Ein Produkt aus der Schreinere­i in Schweinspo­int: das Vogelhäusc­hen von Dehner.
 ??  ?? Ulrich Siegmund leitet die Behinderte­nwerkstätt­en.
Ulrich Siegmund leitet die Behinderte­nwerkstätt­en.

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