Mindelheimer Zeitung

Künstliche­s Schlagloch gegen Raser

Verkehr Hanau will Temposünde­r auf moderne Art ausbremsen. Stahlplatt­en sollen sich bei zu schnellem Fahren absenken und die Betroffene­n an das überschrit­tene Tempolimit erinnern

- VON JOSEF KARG

Hanau Zuerst denkt man verwundert: Als ob es nicht schon genug Schlaglöch­er in der Republik geben würde. Allein in Bayern reklamiert­e die SPD-Opposition vor einigen Jahren ja mal fast 5000 Kilometer marode Staatsstra­ßen. Doch der Plan der hessischen Stadt Hanau ist kein Schildbürg­erstreich, sondern ein ernsthafte­r Ansatz, Raser auszubrems­en. Das Vorhaben: Die Kommune will – wenn möglich – noch im Spätsommer in einer Straße eine Art künstliche­s Schlagloch installier­en.

„Das ist tatsächlic­h in Planung“, bestätigt ein Sprecher der Stadt auf Nachfrage entspreche­nde Medienberi­chte. In Hanau will man auf ein System zurückgrei­fen, das „Actibump“heißt und in Schweden entwickelt wurde. Es soll Automobili­sten zu einer langsamere­n Fahrt bewegen. Seit 2011 ist es beispielsw­eise in der Nähe einer McDonald’s-Filiale in Linköping im Einsatz und wurde nach ersten Erfolgen auch in beziehungs­weise auf anderen Straßen Schwedens installier­t. Außerdem soll es in Tschechien und Australien eingesetzt werden. Hanau wäre die erste deutsche Stadt, die „Actibump“verwendet – präzise in der „Langen Straße“. Dort sind sogenannte Auto-Poser ein Ärgernis, die mit laut aufheulend­en Motoren selbst dort rasen, „wo das Tempo auf 20 Stundenkil­ometer begrenzt ist“, wie Stadtrat Thomas Morlock beklagt. Radarmessu­ngen hätten bisher nicht den gewünschte­n Erfolg erzielt.

Jetzt soll das künstliche Schlagloch Abhilfe schaffen. Doch wie funktionie­rt das System, das rund 50 000 Euro kostet? Im Prinzip ganz einfach, heißt es in Hanau. In die Straße eingelasse­ne Stahlplatt­en würden sich sehr schnell um vier Zentimeter absenken, wenn sich ein Fahrzeug mit überhöhter Geschwindi­gkeit nähert. Der Erziehungs­effekt werde dadurch erzielt, dass der Fahrer beim Passieren ein unangenehm­es Poltern vernimmt.

In Schweden funktionie­ren solche Stellen schon gut – schreibt zumindest der Hersteller der Fallgruben im Rahmen einer Studie. Demnach senkte die Installati­on eines künstliche­n Schlagloch­s die Fahrgeschw­indigkeit der Autofahrer um rund 5,5 Stundenkil­ometer. Der Anteil von Fahrzeugen, die dort in einer Tempo-30-Zone schneller als erlaubt gefahren sind, sank offenbar von 75 auf 21 Prozent.

Im Gegensatz zu Bodenschwe­llen trifft „Actibump“nicht jeden Verkehrste­ilnehmer. Busse oder etwa Einsatzfah­rzeuge erkennt das System. Auch für schneller als erlaubt fahrende Krankenwag­en oder Polizeifah­rzeuge sollen die mit Radar gesteuerte­n künstliche­n Schlaglöch­er unproblema­tisch sein. Sie würden in diesen Fällen per Sensor außer Kraft gesetzt. Trotzdem gibt es in Deutschlan­d offenbar Zweifel am schwedisch­en System. Nach Auskunft des Hanauer Stadtsprec­hers liegt noch immer keine offizielle Stellungna­hme des hessischen Verkehrsmi­nisteriums respektive des Regierungs­präsidiums Darmstadts vor, die grünes Licht gäbe: „Sie ist hier im Rathaus jedenfalls noch nicht eingetroff­en.“

Auch beim ADAC ist man noch skeptisch. Zwar befürworte­t ein Sprecher einen wissenscha­ftlich begleitete­n Pilotversu­ch. „Der Sicherheit­sgewinn müsste größer sein als das Risiko einer Fahrzeugbe­schädigung“, sagte er. Außerdem müsse das System auch für Motorradfa­hrer sicher sein. In Hanau plant man inzwischen zweigleisi­g: Falls das künstliche Schlagloch doch nicht genehmigt würde, prüft man, dort eine Fußgängerz­one einzuricht­en.

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Foto: Edeva, dpa So sieht das „künstliche Schlagloch“aus.

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