Mindelheimer Zeitung

Erst studieren und dann in der Pflege arbeiten

Wissenscha­ft An der Hochschule Kempten soll das ab dem nächsten Jahr möglich sein. Experten verspreche­n sich davon viele Vorteile

- VON SIMONE HÄRTLE

Kempten Im Allgäu fehlen – wie überall in Bayern – zahlreiche Pflegekräf­te. Auch deswegen gibt es nun das Bestreben, Pflegeberu­fe zu akademisie­ren. Will heißen: Statt einer klassische­n Ausbildung soll auch ein Studium möglich sein. Unter anderem in Kempten wird derzeit ein solcher Pflege-Studiengan­g konzipiert. Im Winterseme­ster 2020/21 soll nach Wunsch des bayerische­n Wissenscha­ftsministe­rs Bernd Sibler (CSU) der erste Jahrgang an den Start gehen. Die Verantwort­lichen an der Hochschule sind sich nicht sicher, ob dieser Zeitplan einzuhalte­n ist.

Muss es denn heute immer ein Studium sein? Diese Frage wird nicht selten gestellt. „Darum geht es gar nicht“, sagt Professori­n Veronika Schraut, Pflegewiss­enschaftle­rin an der Hochschule Kempten und selbst examiniert­e Altenpfleg­erin. „Die Gesellscha­ft und die Krankheits­bilder verändern sich, viele Patienten haben gleich mehrere Leiden“, sagt Schraut. Zudem werden Pflegeberu­fe immer komplexer, auch die technische­n und bürokratis­chen Anforderun­gen steigen. „Wir brauchen gut ausgebilde­te Pflegekräf­te, die auch kritische Fälle behandeln und den Umgang damit eigenveran­twortlich entscheide­n können“, sagt Schraut.

Genau das unterschei­de den neuen Studiengan­g auch von bisherigen Hochschul-Ausbildung­en im Gesundheit­sbereich: Es gehe nicht um Management oder Pädagogik. Die praktische Ausbildung spielt neben der theoretisc­hen und damit wissenscha­ftlichen Komponente eine zentrale Rolle. Neben der Arbeit am Patienten könnten sich die künftigen akademisch­en Kräfte unter anderem auch um die Entwicklun­g von Pflegekonz­epten und die Anleitung von Hilfskräft­en sowie Angehörige­n kümmern. Hilfs- und Betreuungs­kräfte mit geringer Ausbildung, ist sich Veronika Schraut sicher, werde es künftig noch mehr als bisher geben. Allein schon, um die immer größer werdende Zahl an Patienten versorgen zu können. „Diese Menschen machen ihre Arbeit meist sehr gut, brauchen aber eine entspreche­nde Anleitung mit fachlipass­ende chem Hintergrun­d“, sagt Veronika Schraut.

Bislang haben in Deutschlan­d weniger als ein Prozent der Pflegekräf­te einen Studienabs­chluss. Der deutsche Wissenscha­ftsrat empfiehlt im Gesundheit­sbereich laut Schraut aber eine Akademisie­rung von zehn bis 20 Prozent. „Auf diese Weise sollen zusätzlich­e junge Menschen für die bedeutende Pflegearbe­it gewonnen werden, zumal es dadurch ja auch weitere Entwicklun­gsperspekt­iven geben wird.“

„Die klassische Ausbildung bleibt aber weiterhin enorm wichtig und sollte nicht in den Hintergrun­d rücken“, sagt Yvonne Spöcker, Sprecherin der „Arbeitsgem­einschaft der Pflegeeinr­ichtungen in Kempten und Umgebung“. Die Einführung des Studiengan­gs hält sie dennoch für sehr sinnvoll. „Die Pflege befindet sich im Wandel, da wird noch viel passieren“, erläutert sie. Es brauche einen Personalmi­x und der Studiengan­g könne helfen, die Pflege weiterzubr­ingen. Auch könne er dazu beitragen, das Image dieser Berufe aufzubesse­rn.

Ein Jahr hat die Hochschule nun Zeit, den Studiengan­g zu konzipiere­n. „Das ist sportlich“, sagt Präsident Professor Wolfgang Hauke. Dass Kempten den Zuschlag bekommen hat, haben die Beteiligte­n aus einer Pressemitt­eilung des bayerische­n Wissenscha­ftsministe­riums erfahren. „Wir freuen uns und hoffen, dass möglichst bald die Zuweisung von Stellen und finanziell­en Mitteln erfolgt“, sagt Hauke.

Ob der Pflegestud­iengang wirklich schon im Winterseme­ster 2020/21 startet, da ist man sich bei der Fakultät für Soziales und Gesundheit noch nicht ganz sicher. „Ich weiß nicht, ob das so schnell geht. Die Entwicklun­g ist eine große Aufgabe und die Qualität hat Vorrang“, sagt Veronika Schraut. Es gelte, Kooperatio­nen mit Pflegeschu­len, Kliniken und anderen Pflegeeinr­ichtungen im ganzen Allgäu zu schließen. Zudem müsse man Räume für praktische Übungen finden. Unklar sei auch noch, welche Qualifikat­ionen für das Lehrperson­al nötig sind, um Praxisanle­itungen zu geben.

Derzeit werde auch überlegt, bestehende Hochschul-Standorte wie Memmingen zu integriere­n. Eine solche Einbindung wünscht sich auch der Memminger CSU-Landtagsab­geordnete Klaus Holetschek, Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und Pflege. Er freut sich, dass Kempten den Zuschlag für den neuen Studiengan­g bekommen hat: „Das allein löst das Problem in der Pflege zwar nicht, ist aber ein wichtiger Beitrag.“Demnächst treffen sich die Verantwort­lichen der Hochschule, um den zeitlichen Rahmen und die nächsten konkreten Schritte zu besprechen.

„Die Gesellscha­ft und die Krankheits­bilder verändern sich.“Professori­n Veronika Schraut

 ?? Archivfoto: Matthias Becker ?? Statt einer klassische­n Ausbildung soll es künftig für Pflegeberu­fe auch ein Studium geben, um den Fachkräfte­mangel in diesem Bereich entgegenzu­wirken. Dazu wird derzeit unter anderem in Kempten ein Pflege-Studiengan­g konzipiert.
Archivfoto: Matthias Becker Statt einer klassische­n Ausbildung soll es künftig für Pflegeberu­fe auch ein Studium geben, um den Fachkräfte­mangel in diesem Bereich entgegenzu­wirken. Dazu wird derzeit unter anderem in Kempten ein Pflege-Studiengan­g konzipiert.
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