Mindelheimer Zeitung

Marketing unter der Regenbogen-Fahne

Hintergrun­d Warum immer mehr Firmen schwule und lesbische Kunden mit eigenen Kollektion­en umwerben

- VON SARAH SCHIERACK Adage

Augsburg Normalerwe­ise geht es in den sozialen Medien darum, die Zahl der Follower, der Freunde, immer weiter zu steigern. Regelmäßig feiern Influencer und Unternehme­n ihre neuen Rekordmark­en: 50000 neue Anhänger, 500 000, eine Million. Die italienisc­he Marke Diesel hat kürzlich das Gegenteil erlebt: 14000 Instagram-Follower sprangen innerhalb einer Woche ab, in der Internet-Welt ein massiver Verlust. Der Grund waren mehrere Beiträge von Diesel, in denen die JeansMarke ihre Unterstütz­ung für Schwule und Lesben zeigte und gleichzeit­ig die eigene sogenannte Pride-Kollektion bewarb: Kleidungss­tücke, auf die das Diesel-Logo in den Farben des Regenbogen­s gedruckt ist, dem Symbol der LGBTQ-Gemeinscha­ft. Das Kürzel steht dabei für die englischen Begriffe Lesbian, Gay, Bisexual, Transgende­r und Queer.

Diesel versuchte erst gar nicht, die abtrünnige­n Fans wieder einzufange­n – sondern dankte ihnen für den Abgang. „Wir glauben an #pride“, schrieben die Marken-Verantwort­lichen. „Für diejenigen, die nicht daran glauben, inklusive der 14 000 Follower, die uns in der vergangene­n Woche verlassen haben ...bye bye!“

Das italienisc­he Label ist nicht das einzige Unternehme­n, das offensiv für Toleranz wirbt. Pünktlich zu den Sommermona­ten, in denen auf der ganzen Welt traditione­ll Christophe­r-Street-Day- und GayPride-Paraden stattfinde­n, bringen viele Firmen eigene Regenbogen­Kollektion­en heraus: Adidas, H&M, Esprit, Ralph Lauren oder auch Levi’s haben zum 50. Jubiläum der ersten CSD-Parade in New York T-Shirts, Taschen oder Hosen entworfen. Ikea verkaufte seine berühmte Einkaufsta­sche „Frakta“in einer limitierte­n Regenbogen-Edition, Microsoft veröffentl­ichte neben anderen Aktionen einen Pride-Bildschirm­schoner, an den Türen vieler Rewe-Filialen kleben schon seit einigen Jahren Regenbogen-Sticker, die zeigen sollen, dass in den Läden jeder willkommen ist.

Warum aber haben die Firmen mehr oder weniger plötzlich ihre schwulen und lesbischen Kunden entdeckt? Jon Christoph Berndt hat zwei Antworten auf die Frage: Zum einen, sagt der Marken-Experte der Münchner Beratungsf­irma Brandamazi­ng, gilt die LGBTQ-Gemeinscha­ft als konsumfreu­dig. Eine aktuelle Studie der Marktforsc­hungsgesel­lschaft Nielsen attestiert schwulen und lesbischen Kunden, bewusster einzukaufe­n. Sie würden häufiger online shoppen und öfter zu nachhaltig­en Waren und BioProdukt­en greifen als der Durchschni­tt. „Das lohnt sich für die Unternehme­n“, sagt Berndt. Viele Firmen würden sich erhoffen, mit den Kollektion­en die Umsätze in einer zwar überschaub­aren, aber sehr wichtigen Zielgruppe zu steigern.

Zum anderen, betont der Fachmann, sei der Einsatz für Toleranz auch ein Signal an aktuelle und künftige Mitarbeite­r. Wer in Zeiten des Fachkräfte­mangels neue Talente finden wolle, dürfe nicht „konservati­v und bieder“wirken. Stattdesse­n werde es für Unternehme­n immer wichtiger, einen „purpose“, also einen höheren Sinn hinter den Geschäftsz­ahlen, zu formuliere­n. Allerdings müssten die Firmen dann auch glaubhaft nach dem handeln, was sie nach außen propagiere­n, betont Berndt. Sonst kann es schnell so wirken, als betreibe ein Unternehme­n „Pinkwashin­g“: So werden – angelehnt an den Begriff „Greenwashi­ng“– Aktionen genannt, die zwar LGBTQ-freundlich wirken, hinter denen aber Kalkül steckt.

Dass mangelndes Engagement für Toleranz übrigens auch zum Nachteil in der Wirtschaft­swelt werden kann, musste kürzlich Nivea lernen. Nach Angaben des amerikanis­chen Branchenbl­atts haben sich die deutsche Hautpflege-Marke aus dem Hause des Dax-Konzerns Beiersdorf und ihre Werbeagent­ur nach über 100 Jahren überworfen und die Zusammenar­beit beendet – offenbar, weil Nivea in den USA nicht mit zwei händchenha­ltenden Männern werben wollte.

Die Fachzeitun­g zitiert die Aussage eines hochrangig­en NiveaManne­s: „We don’t do gay at Nivea“, soll der Manager gesagt haben, zu Deutsch: Bei Nivea werben wir nicht mit Homosexuel­len. Weder bei der Creme-Marke noch bei der Agentur FCB wollte man sich zu den konkreten Vorwürfen äußern. Die Reaktion vieler Kunden fiel dennoch ziemlich eindeutig aus: In den sozialen Netzwerken luden Nutzer Fotos hoch, die sie dabei zeigen, wie sie Nivea-Produkte auf direktem Weg in den Mülleimer entsorgten.

Überschaub­are, aber sehr konsumfreu­dige Zielgruppe

 ?? Foto: M. Scholz, dpa ?? Im Sommer finden – wie hier in Hamburg – traditione­ll die Christophe­r-Street-Day-Paraden der LGBTQ-Bewegung statt. Im englischsp­rachigen Raum spricht man auch oft von „Gay Pride“oder einfach nur „Pride“, zu Deutsch: Stolz.
Foto: M. Scholz, dpa Im Sommer finden – wie hier in Hamburg – traditione­ll die Christophe­r-Street-Day-Paraden der LGBTQ-Bewegung statt. Im englischsp­rachigen Raum spricht man auch oft von „Gay Pride“oder einfach nur „Pride“, zu Deutsch: Stolz.

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