Putins schwerste Krise
Analyse Bei den Protesten in Moskau geht es längst um mehr als Wahlergebnisse. Wie mächtig ist der Präsident noch?
Demonstrationen wie diese hat Moskau seit Jahren nicht gesehen. Bei den Protesten auf dem Sacharow-Prospekt, benannt nach dem Physiker, Menschenrechtler und Friedensnobelpreisträger, ging es am Samstag erneut um freie Wahlen, Polizeigewalt und den Präsidenten. Zehntausende protestierten – trotz beispielloser Einschüchterungsversuche durch die Behörden.
Im Kern geht es den Moskauer Bürgern um die in wenigen Wochen anstehenden Kommunalwahlen: Sie wollen erreichen, dass die Kandidaten der Opposition zur Wahl zugelassen werden. Wie schon zuvor gab es auch am Samstag wieder Festnahmen und Polizeigewalt. Im Gegensatz zu vorherigen Protesten gegen die Regierung war die Demonstration diesmal jedoch von offizieller Seite genehmigt – für bis zu 100 000 Teilnehmer. Wie viele tatsächlich kamen, ist jedoch unklar. Die Veranstalter sprechen von 50000, die Behörden von 20 000 Menschen.
Wie schon in der Vergangenheit äußerte sich Präsident Wladimir Putin auch diesmal nicht zu den Ereignissen in der Hauptstadt. Stattdessen steuerte er medienwirksam und demonstrativ lachend ein Motorrad auf der Schwarzmeerinsel Krim im Tross mit der Rockergruppe Nachtwölfe, einer MotorradGang, die sich ganz offen nationalistisch und Putin-freundlich positioniert.
In Moskau indes erinnert viel an die Massenproteste von 2011 und 2012, als Zehntausende sich bei der von massiven Wahlmanipulationen überschatteten Parlamentswahl um ihre Stimmen betrogen sahen. „Das Land hat sich verändert“, sagte die Protest-Organisatorin Ljubow Sobol, die seit Wochen im Hungerstreik ist. Polizeikräfte nahmen sie am Samstag erneut fest, bevor sie bei der Kundgebung auftreten konnte. Außerdem sei die Juristin zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie zu einer nicht genehmigten Kundgebung aufgerufen habe, teilte ein Gericht in Moskau der Agentur Tass zufolge am Montag mit. Demnach muss sie erneut 300000 Rubel (etwa 4100 Euro) zahlen.
Welche Auswirkungen die Massendemonstrationen tatsächlich auf Putins Machtposition haben, ist jedoch unklar. Auch Sarah Pagung, Expertin für russische Außen- und Sicherheitspolitik bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, fühlt sich an 2011 erinnert. Aber: „Damals saß das Regime sehr fest im Sattel. In den letzten anderthalb Jahren sind Putins Beliebtheitswerte jedoch massiv eingebrochen.“ Grund dafür waren etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder die anhaltende Korruption. Immer wieder gab es daher in der Vergangenheit unerlaubte Demonstrationen. Mit Blick auf die aktuellen Proteste erklärt Pagung: „Die Frage ist, inwiefern die Demonstranten es schaffen, auch außerhalb Moskaus Zustimmung zu erlangen.“Denn in ländlicher geprägten Regionen gilt Putin nach wie vor als sehr beliebt.
Wie es in Russland weitergeht, hängt also auch von den Medien ab. Das russische Staatsfernsehen unterstützt weiter den harten Kurs der Regierung: Zum Teil werden Bilder von Demonstranten so gefälscht, dass es aussieht, als ob sie für die Gewalteskalation verantwortlich wären. Diese Medienpolitik funktioniert bei jungen Menschen, zu denen viele der Demonstranten gehören, jedoch nicht mehr. Sie informieren sich im Internet: Bei Youtube, Facebook und Co. Populäre Blogger wie Juri Dud rufen dort zu Protesten auf. Zugleich machen Bilder von prügelnden Polizisten und verletzten Demonstranten im Netz die Runde. Am Sonntag wurde bekannt, dass die russische Medienaufsicht Youtube-Betreiber Google dazu aufgefordert hat, Videos der Demonstrationen nicht weiter zu verbreiten. Man wolle keine Werbung für „gesetzeswidrige Massenveranstaltungen“. Zuwiderhandlungen würden gar als „feindselige Beeinflussung“demokratischer Wahlen gesehen – mit Konsequenzen. Russland-Expertin Pagung erklärt sich das so: „Die Regierung will verhindern, dass sich die Proteste ausweiten.“Zugleich kämpft Putin mit den schlechtesten Umfragewerten seit 18 Jahren. Pagung sieht darin eine ganze Systemkrise: „Die Russen vertrauen ihrem System nicht, sie haben aber immer Putin vertraut.“Aus der Beliebtheit des Präsidenten habe der Machtapparat lange seine Legitimation gewonnen.
Putins Beliebtheit zu verbessern, wird schwierig
„Um die wiederherzustellen, muss Putins Beliebtheit verbessert werden.“Jedoch seien Maßnahmen, wie etwa den allgemeinen Lebensstandard anzuheben, angesichts des schwachen Rubelkurses, der nicht modernisierten Wirtschaft und der Sanktionen durch den Westen schwierig umzusetzen.
Am Samstag sollen die Proteste weitergehen, das haben Demonstranten und Oppositionelle bereits angekündigt. Pagung hält es für wahrscheinlich, dass die Behörden dann noch repressiver reagieren als bisher. „Die Demonstration am Wochenende zu erlauben, war ein Ventil, um Druck abzubauen. Dauerhaft werden die Behörden das aber nicht zulassen.“