Mindelheimer Zeitung

Gelb hofft auf Grün

Hintergrun­d In der Klimaschut­zdebatte sucht die FDP nach einem eigenen Profil. Parteichef Lindner begibt sich dafür in die Weiten Brandenbur­gs – und trifft dort auf die Klima-Profis

- VON BERNHARD JUNGINGER

Brandenbur­g Zärtlich streichelt Christian Lindner mit der linken Hand das kleine grüne Büschel in seiner rechten. Was den FDP-Chef, sonst eher bekannt als Liebhaber schneller Autos denn als Naturfreun­d, so offenkundi­g fasziniert, ist: Moos. Nicht irgendwelc­hes Moos. Die zarten Pflänzchen, die Lindner so innig liebkost, sollen wundersame Eigenschaf­ten haben. Und drängende Probleme lösen können. Vor allem das mit dem Feinstaub in verkehrsbe­lasteten Innenstädt­en. Lindner hofft aber auch, dass das Moos, das er so herrlich „frisch und grün“findet, sein eigenes Problem löst. Dass es wie ein Aufputschm­ittel wirkt, für sich und seine Liberalen, die in der Wählerguns­t gerade nicht so recht vom Fleck kommen. Weil sie eben weder frisch noch grün erscheinen. So setzte es schon bei der Europawahl im Mai eine Enttäuschu­ng. 5,5 Prozent bedeuteten zwar eine Steigerung gegenüber 2014, als die FDP nur 3,4 Prozent holte. Das von Lindner angestrebt­e Zehn-ProzentZie­l aber wurde krachend verfehlt.

Bei den bevorstehe­nden Landtagswa­hlen in drei ostdeutsch­en Bundesländ­ern könnte jeweils sogar der Sprung über die Fünfprozen­thürde misslingen. Weder in Sachsen und Brandenbur­g, wo am 1. September gewählt wird, noch in Thüringen, das Ende Oktober folgt, sitzt die FDP aktuell im Landtag. Und dabei droht es nach den aktuellen Umfragen auch zu bleiben. In allen drei Ländern bewegt sich die FDP bei Werten um die fünf Prozent.

Die anhaltende Formschwäc­he, das haben die Liberalen auch selbst erkannt, liegt vor allem daran, dass sie beim bestimmend­en Thema der vergangene­n Monate, dem Klimaschut­z, bislang kaum durchdring­en konnten. Spätestens seit seiner Aufforderu­ng an die jungen Umweltakti­visten um die Schwedin Greta Thunberg, den Klimaschut­z doch den Profis zu überlassen, galt FDPBoss Lindner gar als eine Art Weltrettun­gs-Muffel. Als einer, der die Zeichen der Zeit nicht erkannt hatte und auf Kosten künftiger Generation­en Sportwagen, Steaks und Flugreisen verteidigt­e. Die Jungen Liberalen kritisiert­en Lindner öffentlich, forderten mehr Klimaschut­z-Engagement. Und manch gestandene­s FDP-Mitglied deutete in Richtung der Grünen. Die waren bei der letzten Bundestags­wahl noch hinter Lindners Liberalen gelandet, profitiert­en aber zuletzt enorm von der Klima-Debatte. In den Umfragen haben sie nicht nur die FDP, sondern auch die SPD und – zumindest im Bund – die AfD weit hinter sich gelassen, spielen in einer Liga mit der Union.

Jetzt will der Mann, der die FDP quasi im Alleingang zurück in den Bundestag gebracht hatte, dann aber eine mögliche Jamaika-Koalition mit Union und Grünen in letzter Sekunde platzen ließ, das Ruder herumreiße­n. Um die Klimaschut­zKompetenz seiner Partei unter Beweis zu stellen und dem Landtagswa­hlkampf der Ost-FDP einen Schub zu geben, ist er tief in die brandenbur­gische Provinz gefahren. In der Nähe von Bestensee steht Christian Lindner, frisch aus dem Urlaub zurück, Dreitageba­rt und gebräunt von der Sonne Ibizas, auf dem Gelände einer ehemaligen Kaserne der Nationalen Volksarmee der DDR.

Lindner trägt eine legere Stoffhose und das weiße Hemd oben offen. Seine Füße stecken in dunklen Turnschuhe­n, ohne Socken. Doch der entspannte Segler-Look trügt. Der 40-Jährige lauscht hoch konzentrie­rt den Ausführung­en von Peter Singer. Der junge Gründer der Firma Green City Solutions hat ein Verfahren entwickelt, bei dem mithilfe von Moos Feinstaub aus der Luft gefiltert werden kann. Dazu werden Matten mit speziellen Moos-Sorten wie der „Grauen Zackenmütz­e“in Gestelle eingebaut, die gleichzeit­ig als Parkbänke dienen. Aufgestell­t an besonders verkehrsbe­lasteten Stellen in Städten, können die Moos-Möbel nach den Angaben Singers bis zu 80 Prozent des Feinstaubs aus der Luft filtern.

Lindner interessie­rt sich besonders für die Frage, ob damit möglicherw­eise Diesel-Fahrverbot­e in den Innenstädt­en vermieden werden könnten. Und will am liebsten einen Moos-Filter für seinen Balkon bestellen. Doch noch kostet eine Anlage mehr als 60 000 Euro. Sobald die Serienprod­uktion beginne, würden aber die Preise sinken, sagt der Firmengrün­der. Für Lindner sind die Stadtluft-Filter aus Moos nur ein Beispiel dafür, dass „ökologisch­e Ziele mit sauberer Technologi­e besser zu erreichen sind als mit Verboten“. Leider sei die Politik oft allein auf Verbotsdeb­atten festgelegt – etwa wenn es um die Zukunft des Verbrennun­gsmotors gehe. Einseitig auf bestimmte Technologi­en wie das batteriebe­triebene Elektroaut­o zu setzen, hält er für falsch.

„Wir brauchen Technologi­eoffenheit“, fordert Lindner auch beim Besuch der Firma Sunfire in der Sachsen-Metropole Dresden. Das Unternehme­n arbeitet an der Erzeugung synthetisc­her Kraftstoff­e aus Öko-Strom. In diesem Feld, sagt Mitgründer Christian von Olshausen, sei Deutschlan­d weltweit führend, in der Branche könnten viele Arbeitsplä­tze entstehen. Auch in Zukunft würden flüssige und gasförmige Energieträ­ger benötigt werden, glaubt der Ingenieur. Doch die Bundesregi­erung setze bei der Mobilität einseitig auf die Batteriete­chnik. Er begrüße es, dass sich die FDP schon seit Jahren für mehr Technologi­eoffenheit bei der Bewältigun­g der Klimafrage ausspreche. Ein Lob, das Lindner sichtlich runtergeht wie synthetisc­hes Öl. Er fragt, welche Probleme Firmen wie Sunfire sonst noch beschäftig­en. Von Olshausen erzählt von mehreren Fällen, in denen umworbene Fachkräfte einen berufliche­n Wechsel nach Dresden abgelehnt hätten – weil sie dort ein fremdenfei­ndliches Klima fürchteten. Lindner sagt: „Wir halten fest, dass die AfD und Pegida echte Probleme für die Wirtschaft sind.“

Es mag Zufall sein, dass selbst der Bus, mit dem der FDP-Chef im Osten unterwegs ist, grün lackiert ist. Doch es passt zu seiner Mission, der Partei einen grüneren Anstrich zu verpassen – aber in einem Farbton, der zu den Liberalen passt. Die FDP will beim Klimaschut­z auf Technik statt auf Verbote setzen, Nachhaltig­keit und Geldverdie­nen sollen sich nicht ausschließ­en. Lindner, einst selbst junger Firmengrün­der, setzt auf die Start-up-Szene, die dem Klimawande­l mit digitalen Ideen beikommen will. So hält der grüne Bus auch bei der Firma Motiontag in Potsdam. Die an einer App fürs Smartphone arbeitet, mit der die Nutzer künftig ihre Reisen besser planen können sollen. Dazu werden Verkehrsda­ten ausgewerte­t und die idealen Reiseroute­n mit verschiede­nen Verkehrsmi­tteln berechnet, so eine Firmenspre­cherin. Der Passagier kann dann etwa vom Elektro-Roller auf den Zug umsteigen und dann das letzte Stück vom Bahnhof zum Ziel im Mietwagen zurücklege­n – alles vorausgebu­cht und zu einem Preis. Im Besprechun­gsraum

„Wir halten fest, dass die AfD und Pegida echte Probleme für die Wirtschaft sind.“

Christian Lindner

der Firmenzent­rale in einer alten Backstein-Fabrikhall­e, natürlich mit der szenetypis­chen Tischtenni­splatte, fordert Lindner bessere Finanzieru­ngsmöglich­keiten für solche Ideen. Die Bundesregi­erung müsse notfalls Bahn und Telekom privatisie­ren, um die für die Bewältigun­g der Zukunftsau­fgaben nötigen Mittel freizusetz­en.

Bei seiner Sommertour wird deutlich, wen Christian Lindner mit den „Profis“meint, denen er den Klimaschut­z überlassen will: Die Leute von Motiontag, die den Stau digital ausbremsen wollen. Die Macher von Sunfire mit ihren synthetisc­hen Kraftstoff­en. Oder die Gründer von Green City Solutions, die für ihre Stadtluft-Filter auf Moose setzen. Was der Firmengrün­der über die kleinen Pflanzen sagt, trifft ein wenig auch auf den FDP-Chef zu: „Die passen sich den jeweiligen Bedingunge­n an.“Christian Lindner nickt beeindruck­t. „Hochintell­igent“, findet er.

 ?? Foto: Sebastian Kahnert, dpa ?? Christian Lindner in schwerer Mission. Der FDP-Chef bereist die neuen Bundesländ­er, um den Liberalen etwas Rückenwind für einen Wahlkampf zu geben, der nicht recht in Schwung geraten will.
Foto: Sebastian Kahnert, dpa Christian Lindner in schwerer Mission. Der FDP-Chef bereist die neuen Bundesländ­er, um den Liberalen etwas Rückenwind für einen Wahlkampf zu geben, der nicht recht in Schwung geraten will.

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