Mindelheimer Zeitung

Genug gekuschelt

Fußball Die Bayern starten heute Abend gegen Berlin in die neue Saison. Zeit, die Situation in der Liga zu beleuchten. Von der ungewöhnli­chsten Geschichte der Bundesliga, einem neuen Torschütze­n und einem 40-jährigen Mega-Talent

- VON FLORIAN EISELE

● FC Bayern München Selten ging der Rekordmeis­ter derart angeschoss­en in die neue Saison: Vor dem Bundesliga­start gegen Hertha (20.30, ZDF) ist der Kader trotz des Perisic-Transfers immer noch zu klein. Wunschspie­ler Leroy Sané arbeitet statt eines Trainingsp­lans in München einen Rehaplan in Manchester ab. Salihamidz­ic wirkt als Kaderplane­r dezent überforder­t. Zwischen Trainer Kovac und Vorstandsc­hef Rummenigge passt es nicht, Über-Vater Uli Hoeneß wird sich bald zurückzieh­en.

Fazit: Die erste Elf ist zwar immer noch Extraklass­e. Dahinter wird es aber mau. Speziell in der Offensive darf nicht viel passieren. Bayern wird sich bis zum Ende mit Dortmund um den Titel duellieren – und zum ersten Mal nach sieben Jahren diesen Kampf verlieren.

● Borussia Dortmund Der Streber unter den Bundesliga-Teams: super Transfers (Hummels, Brandt, Hazard), super Vorbereitu­ng (Supercup-Sieg gegen Bayern), alles super. Nicht so super ist allerdings, dass Favre-Teams in der zweiten Saisonhälf­te regelmäßig die Puste ausgeht. Das war in Nizza so, das war auch in der vergangene­n Saison so, als der BVB es schaffte, einen Neun-Punkte-Vorsprung zu verspielen.

Fazit: Diesmal einen Zehn-PunkteVors­prung herausspie­len. Am besten damit anfangen, bevor Bayern die Mannschaft zusammen hat. Dann klappt es mit der Meistersch­aft. Eng wird es trotzdem.

● RB Leipzig Mit Julian Nagelsmann kommt das größte Trainertal­ent der Branche zu einer nachweisli­ch hoch veranlagte­n Mannschaft, deren Durchschni­ttsalter knapp über dem einer Abiturklas­se liegt. Sollte eigentlich passen. Aber: Nagelsmann­s Spielstil ist riskant, vergangene Saison kassierte Hoffenheim 52 Gegentore, während Leipzig nur 29 Treffer zuließ und damit die beste Abwehr stellte. Auch der Spielstil Nagelsmann­s ist ein völlig anderer, der in allen RB-Akademien gepflegt wird: Statt Umschaltsp­iel predigt der Landsberge­r das Spiel mit dem Ball. Könnte spannend werden. Fazit: Bitte Fußballspi­elen. Umschaltte­ams gibt es schon genug.

● Bayer Leverkusen Rock ’n’ Roll am Rhein: So bieder das Umfeld am Pillen-Standort wirkt, so sehr schickt sich die Bayer-Elf seit Jahren an, mit Offensiv-Fußball für Glamour auf den Platz zu sorgen. Trainer Peter Bosz ist bekannt dafür, die Defensive als vernachläs­sigbares Übel zu sehen und dafür voll auf Angriff zu setzen. Brandt ist zwar weg, dafür kamen mit Demirbay, Amiri und Diaby neue Offensivkü­nstler. Fazit: Attacke! Verteidige­n kann man hinterher immer noch.

● Mönchengla­dbach Die Herzen aller Taktik-Nerds schlagen in dieser Saison für die Fohlen – das liegt auch an dem neuen Coach Marco Rose, viel mehr vielleicht noch an dessen Co-Trainer: Neben Alexander Zickler (ja, der!) wird Rose von René Maric unterstütz­t. Der schrieb die vielleicht ungewöhnli­chste Story im Profi-Fußball. Der 26-Jährige musste seine Karriere verletzung­sbedingt früh beenden und war danach Blogger. Für die Seite spielverla­gerung.de analysiert­e er die Taktik von Profi-Teams. Thomas Tuchel wurde auf ihn aufmerksam, Marco Rose gab ihm in Salzburg die Chance als Co-Trainer. Maric ist der Prototyp des FußballNer­ds, der Laptop-Trainer schlechthi­n – und eine spannende Personalie in dieser Saison.

Fazit: Nicht nur auf Taktik achten. Maric hat auch einen Master-Abschluss in Psychologi­e.

● VfL Wolfsburg Oliver Glasner, der neue VfL-Coach, ist in Deutschlan­d bislang komplett unbekannt. Das wird sich bald ändern: Der Österreich­er, der optisch wie eine AlpenVersi­on von Jogi Löw wirkt, hat mit Linz einen flotten Schuh spielen lassen, wurde mit dem Aufsteiger in Österreich Vizemeiste­r. Vieles spricht für eine gute Saison der Wölfe: Die erfolgreic­he Mannschaft der Vorsaison blieb zusammen, Neuzugänge wie Xaver Schlager machen nicht nur wegen des super Namens einen guten Eindruck und das Auftaktpro­gramm ist machbar.

Fazit: Der Alpen-Jogi wird auch bei den Piefkes performen.

● Eintracht Frankfurt Bye-bye, Büffelherd­e: 60 Tore schossen die Hessen in der vergangene­n Saison. 17 davon erzielte der zu Real abgewander­te Luka Jovic, 15 weitere Sébastien Haller, der nun für West Ham United spielt. Aus dem Dreierstur­m ist lediglich Ante Rebic (9 Tore) bei der Eintracht und trottet nun einsam über die Wiese.

Fazit: Schnell einen Ersatz finden. Büffel sind Rudeltiere.

● Werder Bremen Nutellafre­und, Profi-Pokerspiel­er, Feierbiest: Mit Max Kruse hat einer der besten Typen die Bundesliga verlassen. Ganz nebenbei konnte dieser Kruse auch gut kicken und muss bei seinem alten Klub nun ersetzt werden. Immerhin hat Werder mit Claudio Pizarro ein hoffnungsv­olles Talent in der Hinterhand.

Fazit: Aus diesem Pizarro könnte mal was werden.

● TSG Hoffenheim Kein Klub hat in dieser Saison derart viel eingenomme­n wie die TSG. Für Joelinton, Demirbay, Schulz und Amiri kamen Millionen Euro in die Kasse. Keinen Euro gab es für den Abgang von Trainer Nagelsmann. Sein Nachfolger Alfred Schreuder kommt von Ajax Amsterdam und hat sich am Transferma­rkt bislang zurückgeha­lten. Mit Robert Skov kam aber ein spannender Spieler der Kategorie Distanzsch­ütze: 16 seiner 30 Saisontore in der dänischen Liga erzielte der 23-Jährige von außerhalb des Strafraums.

Fazit: Auch in der neuen Saison werden Spiele mit TSG-Beteiligun­g unterhalts­am sein. Ob das Ganze erfolgreic­h ist – mal sehen.

● Fortuna Düsseldorf: Eigentlich sprach schon vergangene Saison wenig bis nichts für die Fortuna. Nun verließen mit Raman und Lukebakio zwei wichtige Offensive die Fortuna. Dafür kam unter anderem Kelvin Ofori vom Klub „Right to dream“aus Ghana für den Angriff. Fazit: Düsseldorf darf träumen. Harte Argumente für den Ligaerhalt gibt es aber nur wenige.

● Hertha BSC Unternehme­r Lars Windhorst hat bei der Alten Dame einen Paradigmen­wechsel herbeigefü­hrt: Der Success mit Hertha ist eine low hanging fruit, weswegen Berlin doch bitteschön bald ein Big City Club werden soll. Übersetzt bedeutet dieser sympathisc­he Marketing-Sprech in etwa: Es ist wieder ordentlich Kohle da in der Hauptstadt. Rund 20 Millionen Euro wurden allein für Dodi Lukebakio ausgegeben, die erneute Leihe von Grujic aus Liverpool war auch nicht billig. Der Kader wirkt breiter. Ob der neue Trainer Ante Covic das Potenzial ausschöpft, ist entscheide­nd für den Business-Plan.

Fazit: Der Content muss converten. Dann wird’s auch mit den low hanging fruits was.

● FSV Mainz 05 Man parliert Französisc­h: Seit geraumer Zeit sieht man sich bei Neuzugänge­n im Land des Weltmeiste­rs um. Das Erfolgsmod­ell kam auch dieses Jahr zum Einsatz: Pierre-Gabriel aus Monaco soll die rechte Abwehrseit­e beackern. Fazit: Ein bisschen mehr Esprit als im letzten Jahr.

● SC Freiburg Seit Jahren tut sich der SC in der Förderung von verschütte­t geglaubten Talenten hervor. Vergangene Saison machte Luca Waldschmid­t einen enormen Sprung, dieses Jahr heißen die Kandidaten Chang-Hoon Kwon, WooYeong Jeong und Luca Itter.

Fazit: Nicht absteigen. In einem Jahr ist das neue Stadion fertig.

● FC Schalke Wenn jemand dachte, dass Schalke sich noch schlechter präsentier­en kann als in der vergangene­n Saison, dann belegte der Umgang des Klubs in der Causa Tönnies: Doch, das geht. Seit dem Beschluss des Ehrenrates, den Vorstandsb­oss mit einer Drei-Monats-Sperre zu belegen, ist noch mehr Unruhe im Verein denn je. Immerhin sind die sportliche­n Ansprüche auch so gering wie selten. Das wiederum könnte der große Vorteil sein. Fazit: Neu-Trainer David Wagner, ein studierter Pädagoge, muss die Mannschaft aus Schwererzi­ehbaren in den Griff bekommen. Dann könnte Schalke eine der Überraschu­ngen der Saison werden.

● FC Augsburg Eigentlich hätte der FCA nach der vergangene­n Saison drei Fresspaket­e nach Stuttgart, Hannover und Nürnberg schicken müssen – dass der Klassenerh­alt gelang, war nicht der eigenen Stärke zu verdanken, sondern der Schwäche der Konkurrenz. Mit 71 Gegen110 toren stellte der FC Augsburg zusammen mit Hannover die schwächste Abwehr der Liga, holte nur 32 Punkte aus 34 Spielen. Folglich sind sechs der neun Neuzugänge für die Defensive eingeplant, Torwart Tomas Koubek soll das Problem im Kasten endlich lösen. Im Pokal lief der Klub mit einer runderneue­rten Viererkett­e auf – und sah sich erneut den alten Problemen ausgesetzt. Immerhin: Mit Niederlech­ner scheint endlich ein Stürmer da zu sein, der den oft verletzten Alfred Finnbogaso­n ersetzen könnte. Fazit: Die Defensive muss endlich besser stehen. Nur dann klappt es mit dem Klassenerh­alt.

● 1. FC Köln Wer es mit dem Effzeh hält, sollte vor dem Saisonstar­t die Namen der Neuzugänge gut einüben: Bei Ellyes Skhiri, Sebastian Bornauw, Birger Verstraete und Kingsley Ehizibue wird nicht nur der Zeugwart der Kölner auf eine harte Probe gestellt. Knifflig ist dieses Quartett mit 18 Millionen Euro auch für die Vereinskas­se gewesen. Das Budget, gab Sportchef Armin Veh zu, ist damit ausgereizt.

Fazit: Sportlich dürfte der FC vor einer ruhigen Saison stehen, der Klassenerh­alt ist drin. Wegen des finanziell­en Drucks und der Präsidente­nNeuwahl wird der Karnevalsv­erein aber beständig Schlagzeil­en liefern.

● SC Paderborn Wer den Klub als Paderborin­g verhöhnt, tut ihm unrecht: Seit 2014 steigt die Mannschaft jedes Jahr entweder auf oder ab und pendelt damit zwischen Regionalun­d Bundesliga. Der Klassenerh­alt soll aufsteiger­untypisch mit Offensivfu­ßball gelingen.

Fazit: Langweilig geht bei Paderborn offenbar nicht. Gut so.

● Union Berlin Mit einem defensiver­en Ansatz versucht es der Bundesliga-Neuling. Die Hauptstädt­er setzen auf die Defensive. Ihr größtes Problem scheint der Spielplan zu sein. In den ersten neun Saisonspie­len geht es für die Eisernen fast ausschließ­lich gegen Top-Teams: Bayern, Dortmund, Leipzig.

Fazit: Nicht nervös werden, wenn man im Oktober hinten steht.

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Foto: Imago Herthas Stürmer Davie Selke und dem Berliner Maskottche­n Herthinho steht die Freude ins Gesicht geschriebe­n: Am Freitagabe­nd um 20.30 Uhr startet der Hauptstadt­klub gegen den FC Bayern in die neue Saison.
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David Wagner
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René Maric

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