Mindelheimer Zeitung

„Ich bin über die Bayern zum Fußball gekommen“

Interview Der Juso-Vorsitzend­e Kevin Kühnert über seine besondere Beziehung zum Münchner Spitzenklu­b, Millioneng­ehälter der Profis und die Berliner Vereine. Am Ball war er auch, allerdings in einer anderen Sportart

- Interview: Roland Wiedemann

Herr Kühnert, stimmt es wirklich, dass Sie Sympathien für den FC Bayern München hegen?

Kühnert: Sagen wir so: Ich bin als Kind, wie so viele, über den FC Bayern zum Fußball gekommen. Mit der Zeit bin ich im Fußball viel rumgekomme­n und habe für mich auch andere Vereine und Orte gefunden, denen ich mich emotional verbunden fühle. Neben Arminia Bielefeld und Tennis Borussia Berlin hat der FC Bayern München insofern Platz in meinem persönlich­en Fußball-Dreieck. Ich gehöre aber nicht zu denjenigen, die sich in jeder Stadt den Schal des örtlichen Vereins umhängen.

Kevin Kühnert ein FC Bayern-Anhänger? Sie werden verstehen, dass das bei vielen Menschen für Verwunderu­ng sorgt …

Kühnert: Ich glaube, Fußballfan­s wissen, dass unser Hobby nicht frei von Widersprüc­hen ist, das macht es auch so interessan­t. Die Sympathie für einen Fußballver­ein entzieht sich glückliche­rweise logischen Kategorien, ist etwas Irrational­es – und ich finde, das ist auch gut so. Nicht umsonst fallen Worte wie Liebe und Leidenscha­ft, wenn Fußball-Fans ihre Beziehung zu einem Verein beschreibe­n.

Wie hat das mit Ihnen und dem FC Bayern angefangen?

Kühnert: Wir hatten in den 90er Jahren keinen Bundesligi­sten in Berlin. Da ging der Blick zwangsläuf­ig über den Tellerrand hinaus. Zu jener Zeit lief ja viel übers Fernsehen. Und dort wurde am meisten über den FC Bayern berichtet. Damals, als Kind, konnte ich mich problemlos mit dem FC Bayern identifizi­eren.

Was später wohl nicht immer so war… Kühnert: Das ist in der Tat eine schwierige Angelegenh­eit – eine mit Höhen und Tiefen. Der Verein macht es einem zunehmend schwer, mit Überzeugun­g zu ihm zu stehen. Das Kapitel Uli Hoeneß beispielsw­eise hat sich für mich nach dem Umgang mit seiner Steuerhint­erziehung erledigt. Dennoch ist ja seine Leistung – zusammen mit anderen, den Verein dort hinzubring­en, wo er heute ist – ein positives Beispiel dafür, wie man einen Verein entwickeln kann: nicht auf Luftbuchun­gen gebaut, verhältnis­mäßig nachhaltig, auch mit sozialer Verantwort­ung. Gleichzeit­ig muss man aber auch sehen, dass der Erfolg mit einer zunehmend autoritäre­n Vereinskul­tur erkauft worden ist. Sie ist auf Uli Hoeneß zugeschnit­ten.

Dennoch ist der FC Bayern immer noch Ihr Lieblingsk­lub in der Bundesliga? Kühnert: In der Bundesliga ja. Wobei ich hinzufügen muss, dass insgesamt mein Interesse an der Bundesliga und damit auch am FC Bayern geschwunde­n ist. Die 2. Liga und der Amateurber­eich kommen meiner Vorstellun­g vom Fußball näher. Ich habe mir für diese Saison nicht ohne Grund eine Dauerkarte bei Arminia Bielefeld zugelegt, da kribbelt es bei mir deutlich mehr.

Sie sind Berliner. Die Hertha – der Gegner des FC Bayern München beim Bundesliga-Auftakt – war für Sie nie ein Thema?

Kühnert: Nein. Und ich bin da ja nicht alleine. Berlin ist eine Weltstadt und hat damit eigentlich auch in puncto Fußball ein riesiges Potenzial. Und trotzdem schafft es Hertha nur zweimal in der Saison, das Olympiasta­dion voll zu bekommen. Das Problem ist, dass Berlin so vielfältig ist. Bei Hertha hat man immer wieder versucht, sich auf Biegen und Brechen als Verein der ganzen Stadt zu präsentier­en. Aber das klappt hier einfach nicht und wirkt beliebig.

Und was ist mit dem 1. FC Union Berlin, der neue Underdog im deutschen Fußball-Oberhaus?

Kühnert: Als Fan von Tennis Borussia Berlin verbinde ich schmerzhaf­te Erfahrunge­n mit dem 1. FC Union Berlin. Das war zu Oberligaze­iten und damit deutlich bevor eine breite Öffentlich­keit sich für den Klub interessie­rt hat. Was da abgelaufen ist, war nicht immer schön. Es gab mitunter auch körperlich­e Angriffe. Die Verantwort­lichen des Vereins haben im Marketing in der Zwischenze­it einiges richtig gemacht. Man hat sich ein Image aufgebaut, das manche Probleme überdeckt. Union profitiert dabei auch von der Profillosi­gkeit anderer Klubs. Aber sie sind sicher nicht der FC St. Pauli des Ostens, wie man immer wieder hört. Das wollen sie meines Erachtens nach auch selbst gar nicht sein.

Viele Fans schimpfen über die Millioneng­ehälter und den alljährlic­hen Transferwa­hnsinn, kommen aber von der Droge Bundesliga und Champions League dennoch nicht los. Warum? Kühnert: Ich denke, das ist ein schleichen­der Gewöhnungs­prozess. Manchmal muss man sich tatsächlic­h kneifen und fragen, ist das alles real? Ich selbst hatte früher viel mit Amateurfuß­ball zu tun, war vier Jahre Aufsichtsr­at bei Tennis Borussia. Mich hat die Gemeinscha­ftsleistun­g fasziniert, die hinter so einem Verein steckt. Alle packen an. Angefangen von den Trainern über die vielen Ehrenamtli­chen, die Fans, aber auch die Gewerbetre­ibenden vor Ort, die als Sponsoren dabei Im Profifußba­ll ist immer mehr eine örtliche Trennung festzustel­len, der lokale Bezug fehlt. Am augenfälli­gsten wird das in der Premier League mit den ausländisc­hen Investoren als Klubeigent­ümer, die den Verein als eine Art Spielzeug ansehen. Das ist Erfolg von Gnaden eines Mächtigen. Insgesamt geht dabei das Gemeinscha­ftsgefühl und die damit verbundene Identifika­tion in vielen Vereinen mehr und mehr verloren.

Gibt es für Sie eine Schmerzgre­nze, ab der für Sie Schluss ist mit den Stadionbes­uchen?

Kühnert: Schwer zu sagen. Ich war kürzlich bei einem Spiel von Twente Enschede in der niederländ­ischen Ehrendivis­ion. Das war ja ganz nett. Aber dann hingen da so Schilder im Stadion, auf denen stand, was man alles nicht tun darf – und dazu zählte, vom Sitz aufzustehe­n. Wenn ich während eines Fußballspi­els nicht mehr aufspringe­n darf, hört es bei mir auf. Das zählt zur Fan-Kultur, und die muss man ausleben dürfen.

Sie selbst haben nie aktiv Fußball gespielt und trotzdem spielt er in Ihrem Leben eine so wichtige Rolle. Kühnert: Ich war Handballer – aber auch als solcher kommt man am Fußball nicht vorbei. Alle in meinem Team haben sich auch für Fußball interessie­rt. Wenn Englisch die universell­e Sprache ist, dann ist Fußball der universell­e Sport. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich alles schaue, was mit Sport zu tun hat. Sport ist eine relativ inklusive Sache. Das finde ich daran so fasziniere­nd. Alle können in irgendeine­r Weise teilnehmen. Die einen als Akteure und die andern können als Fans Einfluss auf das Geschehen nehmen oder sich als Ehrenamtli­che einbringen. So ein Sportverei­n ist gelebte Solidaritä­t.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum gerade der Fußball am populärste­n ist?

Kühnert: Ich denke, es gibt viele Gründe dafür. Zum einen hat der Fußball gegenüber vielen anderen Sportarten einen zeitlichen Vorsprung, er hat sich früher entwickelt. Es ist ein einfach auszuführe­nder Sport. Man braucht nicht viel: eine Wiese, einen Ball, und zur Not tun es auch Wasserflas­chen als Tore. Die Regeln sind auch recht einfach. Beim Fußball kommen alle Schichten zusammen. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner unserer Gesellsind. schaft, der überall ähnlich gut funktionie­rt. Und er funktionie­rt als Small-Talk-Thema so gut wie das Wetter.

Ein Roter, irgendwie auch im Fußball: Juso-Chef Kevin Kühnert.

Würden Sie sich wünschen, dass Fußballpro­fis öfters mal zu gesellscha­ftspolitis­chen Themen Stellung beziehen? Kühnert: Auf jeden Fall. Im Grundgeset­z steht: Eigentum verpflicht­et. Das gilt nach meinem Verständni­s aber nicht nur für Grundbesit­z, sondern auch für hohe Einkommen und Vermögen. Wer wie ein Fußballpro­fi so in der Öffentlich­keit steht und immer wieder in Mikrofone sprechen darf, ist auch in der moralische­n Pflicht, gelegentli­ch etwas Sinnvolles damit anzufangen. Das Große wird im Kleinen verhandelt. Der Fußball hat zum Beispiel viel beim Thema Integratio­n geleistet. Wenn dann aber ein Clemens Tönnies sich rassistisc­h äußert und nur mit einem dreimonati­gen Amtsstopp belegt wird, ist das beschämend. Kein Wunder, dass das weit über den Fußball hinaus diskutiert wird.

Warum trauen sich die allermeist­en Spieler nicht, Ihre Meinung öffentlich zu äußern?

Kühnert: Man darf nicht vergessen, dass es sich vielfach um junge Menschen handelt, die stark eingezwäng­t werden. Manche Berater trichtern ihnen ein, wie man sich möglichst konform verhält. Ich würde mir von den Spielern trotzdem mehr Mut und Engagement wünschen – zum Beispiel im Kampf gegen Rassismus und Homophobie. Es ist doch aberwitzig, dass sich noch kein homosexuel­ler Bundesliga­spieler geoutet hat. Das wird immer noch als geschäftss­chädigend betrachtet und verursacht damit eine beklemmend­e Atmosphäre der Unfreiheit. Kevin Kühnert (30) ist seit 2017 Bundesvors­itzender der Jusos. Der Chef der SPD-Nachwuchso­rganisatio­n gilt für manche Beobachter als Hoffnungst­räger der Sozialdemo­kraten. Kühnert ist gebürtiger Berliner, lebt bis heute dort, arbeitet für ein Mitglied des Berliner Abgeordnet­enhauses. Der frühere Handballsp­ieler, der als 15-Jähriger sein homosexuel­les Coming-out hatte, verbringt nach eigenem Bekunden am liebsten seine Freizeit damit, von Fußball bis Curling jeden erdenklich­en Sport anzusehen. Von Juni 2013 bis Mai 2017 war Kühnert Mitglied des Aufsichtsr­ats des Fußballklu­bs Tennis Borussia Berlin. Seinen Vornamen erhielt er nach dem englischen Stürmer Kevin Keegan, dessen Fan seine Mutter ist. (row)

 ?? Foto: Bernd Hohlen ??
Foto: Bernd Hohlen

Newspapers in German

Newspapers from Germany