Mama ist Mama
Wo Autor Kaminer die Heimat fand
Er ist in Moskau geboren, lebt aber seit bald 30 Jahren in Deutschland: Der Bestsellerautor Wladimir Kaminer, der den Deutschen in seinen Büchern und TV-Reportagen den Spiegel vorhält. Jetzt geht er wieder auf Tour: In seiner dreiteiligen Dokumentation „Kaminer Inside – Auf der Suche nach dem Heimatgefühl“(Mittwoch, 21.8., 20.15 Uhr, 3sat) erkundet der 52-Jährige in Deutschland, Österreich und der Schweiz, was Heimat eigentlich ausmacht. Uns verrät er es jetzt schon.
Herr Kaminer, wobei bekommen Sie heimatliche Gefühle?
Wladimir Kaminer: Bei der Küche meiner Mutter. Sie ist 87 und kocht noch immer sowjetisch – mit westlichen Produkten, weil sie in Berlin lebt. Sie hat diese Gerichte immer für meinen Vater gekocht, aber der ist schon tot, und aus meiner Familie will das sonst niemand essen, denn die sowjetische Küche ist teigig, fettig und irgendwie kindisch.
Wie definieren Sie Heimat? Kaminer: Heimat ist ein Ort, der den Menschen prägt. Ein Stück davon hat man immer mit sich, so wie ich die Sowjetunion, die es seit 30 Jahren nicht mehr gibt, noch immer im Herzen trage. Heimat ist wie die Eltern, etwas, das jenseits der kritischen Betrachtung steht. Man liebt die eigene Mutter ja auch nicht für besondere Eigenschaften, dafür dass sie toll aussieht oder gut singen kann. Mama ist Mama.
Was macht das Thema Heimat gerade jetzt wieder so aktuell?
Kaminer: In einer immer globaler werdenden Welt heben die Leute die kleinen Unterschiede ihrer Orte immer deutlicher hervor, das ist doch nachvollziehbar. In Deutschland sind die Regionen sehr wichtig geworden. Wo ich auch hinkomme, geht es um regionale Unterschiede, regionale Küche, eigene Volksfeste, dörfliche Trachten. Ich finde das super, weil das Deutschland umso spannender macht. Es ist wie ein Flickenteppich aus vielen kleinen Bräuchen und Riten.
Ist Heimat auch ein Begriff, der missbraucht wird?
Kaminer: Der rechte Rand hat ein konservatives Bestreben, den Lauf der Zeit zu bremsen oder sogar den Rückwärtsgang einzulegen. Weil das aber zum Scheitern verurteilt ist, versucht er, mit dem Begriff Heimat an etwas anzuknüpfen, das nicht mehr da ist.
Gibt es ein europäisches Heimatgefühl? Kaminer: Auf jeden Fall. Europa ist eine kulturelle Einheit, es gibt viele Gemeinsamkeiten. Es ist sehr schade, dass im europäischen Projekt immer über die Interessen der einzelnen Mitglieder gesprochen wird, über die Frage, welches Land mehr oder weniger vom Kuchen bekommt. Die gemeinsamen Werte sind die Trumpfkarte der EU. Man muss wirtschaftliche Einbußen in Kauf nehmen, um Werte zu retten. Nur sie können die EU retten.