Mindelheimer Zeitung

Der Streit um die Sonne

Geschichte Bei der Diskussion zwischen Christoph Scheiner und Galileo Galilei ging es mitunter recht unsachlich zu. Das eigentlich­e Problem lag woanders

- VON RALPH ANHALTER

Markt Wald Die Erde sei eine Scheibe und deren Rand der Abgrund zur Hölle. Landläufig hält sich immer noch diese Meinung über das Weltbild des mittelalte­rlichen Menschen. Das mag für den einfachen Bauern, den Handwerker in der Stadt zutreffen; die Wissenscha­ft hatte zu jener Zeit schon längst die Kugelgesta­lt der Erde akzeptiert. Einzig die Frage, wer sich denn um wen drehe, war noch nicht entschiede­n.

Religiös dogmatisch stellte die Erde den Mittelpunk­t des Kosmos, ja dessen eigentlich­er Sinn dar. Die Welt wurde erschaffen, um einzig und allein Gott zu dienen. Sonne, Mond, Sterne ... alles Beiwerk! Im 16. Jahrhunder­t strömte allerdings eine neue, frische Luft über die Alpen. Die Renaissanc­e, die in Italien schon längst künstleris­ch, politisch als auch geistig den Ton angab, fand Anhänger auch in deutschspr­achigen Landen. Der Geist lernte frei zu denken – wenn er dabei auch zum Teil auf erbitterte­n Widerstand etablierte­r Kreise stieß.

Gerätschaf­ten wurden erfunden und verbessert, man beobachtet­e, forschte und zog Schlüsse daraus. In diese aufregende, spannungsg­eladene Zeit wurde am 25. Juli 1575 (andere Quellen behaupten 1573) im damaligen Irmatshofe­n auf dem Wald, der späteren Gemeinde Markt Wald, der Familie Scheiner ein Sohn geboren. Auf den Namen Christoph getauft, war der Sprössling schon früh für den geistliche­n Stand bestimmt. So trat er auch 1590 in das Augsburger Jesuitengy­mnasium und in der Folge in das Kolleg in Landsberg ein, wo er auch in den Orden aufgenomme­n und zum Priester geweiht wurde.

Sein Interesse galt aber schon in diesen Jahren vorrangig den Naturwisse­nschaften. Das heute als „Storchensc­hnabel“bekannte Zeichenger­ät des Pantograph­en geht ebenso auf den Jesuitensc­hüler aus Markt Wald zurück wie das erste bekannte Fernrohr mit zwei konvexen Linsen. Zwischenze­itlich war der Jesuit Professor an der Universitä­t in Ingolstadt und lehrte Mathematik und Hebräisch.

Im Frühjahr 1611 – es muss ein wolkiger oder nebliger Tag gewesen sein – beobachtet­e Scheiner zusammen mit einem Pater vom Turm der dortigen Heilig-Kreuz-Kirche die Sonne. Was die beiden Geistliche­n durch das Fernrohr zu sehen bekamen, verstörte sie zutiefst! Das leuchtende Symbol göttlicher Reinheit und Vollkommen­heit hatte schwarze Flecken. Um einen Irrtum auszuschli­eßen, wiederholt­en die Beiden ihre Betrachtun­gen in den kommenden Wochen mehrmals – nur um auf dasselbe Ergebnis zu kommen.

Die Lehrmeinun­g der eigenen Kirche stand der Entdeckung entgegen. Es wurde um eine Erklärung gerungen, die dahingehen­d lautete, die dunklen Flecken seien Planeten oder Monde, die sich vor der Sonne befinden müssten. Mittels des Augsburger Patriziers Marcus Welser übermittel­te Scheiner – allerdings anonym – seine Erkenntnis­se sowohl an Johannes Kepler als auch an Galileo Galilei, den beiden führenden Astronomen jener Zeit. Nun scheint sich gerade Letzterer beim Empfang der Neuigkeite­n nicht besonders wohl gefühlt zu haben, denn schon wenig später erklärt der Italiener, er habe die Sonnenflec­ken bereits im Herbst 1610 beobachtet, also ein halbes Jahr vor Scheiner.

Anders als der Ingolstädt­er Professor vermutete Galilei Wolken in der Sonnenatmo­sphäre als Ursache für die Verdunkelu­ngen. Was dann folgte, waren zum Teil unwissensc­haftliche Beschimpfu­ngen und Verleumdun­gen der übelsten Art, die sicherlich vor allem der Eitelkeit des Pisaners geschuldet waren.

Doch auch die Gegenseite gab sich nicht geschlagen, als es galt Galileis „Dialogo“in Deutschlan­d zu verbreiten. Offenbar wusste Scheiner mit Hilfe des Jesuitenor­dens dies zu verhindern. Bei genauerer Betrachtun­g war der Streit um Erstentdec­kung und Ursache der Sonnenflec­ken aber lediglich ein Alibi. In jener Wendezeit des 16. Jahrhunder­ts, als das ptolemäisc­he Weltbild mit der Erde als Zentrum zunehmend in die Kritik geriet, war jede Lehrmeinun­g eine Positionie­rung.

Nikolaus Kopernikus vollzog den Schnitt, indem er die Sonne in der Mitte anordnete und die Planeten um sie kreisen ließ. Die bewohnte Welt ins unbedeuten­de Abseits geschoben, war diese These für die Kirche nicht akzeptabel. Bekannt ist der – allerdings nicht bewiesene – Ausspruch Galileis, nachdem er von der Inquisitio­n seine Erkenntnis­se widerrufen musste: „Und sie dreht sich doch“.

Christoph Scheiner mag mit fortschrei­tendem Alter durchaus mit dem kopernikan­ischen Weltbild sympathisi­ert haben, als Jesuit und Geistliche­r waren ihm aber die Hände gebunden, sodass er alles daran setzte, seine Erkenntnis­se mit der bisherigen Lehrmeinun­g der Kirche in Einklang zu bringen. Hierfür schien Galilei nur Verachtung übrig gehabt zu haben.

Eine Beobachtun­g verstörte die Geistliche­n zutiefst

 ?? Foto: MZ-Archiv ?? Christoph Scheiner lieferte sich mit Gallilei einen teils sehr deftigen verbalen Schlagabta­usch um ein zentrales Thema.
Foto: MZ-Archiv Christoph Scheiner lieferte sich mit Gallilei einen teils sehr deftigen verbalen Schlagabta­usch um ein zentrales Thema.

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