Mindelheimer Zeitung

Klassische Musik für die Bierhefe

Unternehme­n aus der Region Im Allgäu lassen sich die Inhaber der Brauerei Zötler immer wieder etwas Neues einfallen. Berühmt wurden sie mit ihrem Vollmond-Bier. Das Unternehme­n gilt als die älteste Familienbr­auerei der Welt

- VON STEFAN STAHL

Rettenberg Erklingt da leise Mozart? Sind die Brauer hier im Allgäuer Ort Rettenberg bei Immenstadt Freunde klassische­r Musik? Oder handelt es sich nur um eine Art musikalisc­he Fata Morgana an einem extrem heißen Tag? Nein, im Hefekeller der Zötlers ist es angenehm kühl und es läuft wirklich dezent Musik – nicht zur Entspannun­g der Angestellt­en, sondern allein für die Hefe. Die züchten sie hier in ihrer ganzen Leidenscha­ft für das Bier selbst und glauben, es tue ihr gut, wenn sie mit Wohlklang heranreift.

Was esoterisch klingt, geht auf Erkenntnis­se eines japanische­n Wissenscha­ftlers zurück, die Herbert Zötler zu dem musikalisc­hen Experiment inspiriert haben. So sagt der 66-Jährige: „Hefe ist ein Lebewesen, ein Einzeller. Man muss Hefe verstehen und auf sie eingehen.“Der Unternehme­r kam auf die Idee, dem Lebewesen in der Familienbr­auerei am Fuße des Berges Grünten „ein möglichst angenehmes Umfeld zu verschaffe­n“. Zötlers Sohn Niklas, 33, der seit 2018 die Brauerei allein führt, räumt dann aber doch ein, manchmal käme auch Lounge-Musik zum Einsatz, wenn bei gerade jüngeren Beschäftig­ten das Fass für Klassik voll sei. „Auf alle Fälle spielen wir hier kein AC/DC.“

Der Rest ist natürlich Glaubenssa­che. Die Zötlers haben jedenfalls viele bierige Anhänger, weit über das Allgäu hinaus. Die Unternehme­r lassen sich für ihre Fans immer etwas Neues einfallen. Sie sind Geschichte­nerzähler. Niklas Zötler, der vor seiner Ausbildung zum Braumeiste­r Betriebswi­rtschaft studiert hat, verwendet dafür den englischen Begriff „Storytelli­ng“. Storys haben sie bereits reichlich eingeschen­kt – sowohl der Vater als auch der Sohn. Beide ergänzen sich. Niklas Zötler sagt: „Ich bin mehr bauch-, mein Vater ist mehr kopfgesteu­ert.“Der jung wirkende Senior hat es mit einer der vielen ZötlerGesc­hichten geschafft, den früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zu begeistern. In seinem Buch „Anders ist besser. Ein Versuch über neue Wege in Wirtschaft und Politik“rühmt der einstige Spitzenman­ager die Idee der Zötlers, bei Vollmond ein entspreche­ndes Bier zu brauen und offensiv zu vermarkten.

Ob der so unter dem Licht und der Kraft des satten Mondes entstanden­e Gerstensaf­t anders schmeckt und eine segensreic­he Wirkung entfaltet, ist wiederum Glaubenssa­che. Für richtige Allgäuer, erfährt der Besucher in der Regi

on bald, allerdings nicht. Niklas Zötler, der einen Vollbart trägt und sich die Trachtenwe­ste erst zum Foto anzieht, glaubt, etwa jeder zweite Allgäuer habe einen Mondkalend­er zu Hause. So würden Friseurter­mine, Gartenarbe­it und der Tag, an dem Holz geschlagen wird, vom Mond bestimmt. Wieder so eine Story. Die Leidenscha­ft für besondere Produkte teilen Vater und Sohn. Beide wollen „Charakterb­iere“brauen und sind selbst Charakterk­öpfe. Herbert Zötler wollte nach dem Studium in Freiburg, wo er seine Frau kennengele­rnt hat, zunächst das Unternehme­n nicht übernehmen. Er wurde Steuerbera­ter, fand aber dann doch den Weg in den Familienbe­trieb und mischte ihn erfolgreic­h auf.

Der Sohn sagt über seinen Vater: „Mein Vater war ein 68er mit einem Faible für die Rolling Stones, und daher gab es immer viele Diskussion­en mit meinem Opa.“Herbert Zötler hat sich mit seinem konservati­veren Vater dann aber doch gut verstanden, als er sich entschloss,

die Familienbr­auerei weiterzufü­hren. Niklas Zötler erinnert sich: „Sie wurden ein Herz und eine Seele.“

Familie und Tradition spielen eine große Rolle in dem Unternehme­n – sie sind eine Quelle interessan­ter Geschichte­n, die der junge Chef mit den von ihm entwickelt­en Craftbiere­n erzählt. Niklas Zötler hat seinem Opa einen solchen Charakter-Gerstensaf­t mit dem Namen „Herzsolo“gewidmet. Schafkopfs­pieler könnten einen Verdacht haben, welche Leidenscha­ft des Großvaters in Form eines unter anderem mit belgischer Witbierhef­e hoch vergorenen Bieres gewürdigt wird.

Natürlich geht es ums Karteln. Niklas Zötler erinnert sich: „Er ließ keine Gelegenhei­t aus, wenn es darum ging, mit Freunden oder Kunden eine Partie Schafkopf zu spielen, und meistens war er der Sieger.“Der experiment­ierfreudig­e Brauer hat auch seiner geliebten Oma Mimi ein Craftbier zugedacht. Das mit englischer Ale-Hefe gebraute Produkt ist eine Hommage an eine Frau, die „mit ihrem riesengroß­en

Herzen unsere Familie, unsere Kunden und unsere Mitarbeite­r umsorgt hat“. Und, erinnert sich Niklas Zötler, „wir Enkel konnten mit all unseren Leiden zu Mimi kommen und dann waren alle Sorgen ganz schnell vergessen“. Das Oma-Bier heißt „Heilewelt“.

Eine solche heile Welt wollen die Zötlers rund um die Brauerei erschaffen, um ihre Charakterb­iere und Geschichte­n ihren Kunden noch unmittelba­rer näherzubri­ngen. Dabei soll wie bei der Brauerei Riegele in Augsburg ein eigener Bier-Kosmos mit einer Wirtschaft und einem Biergarten am Stammsitz entstehen. Das Sudhaus in Rettenberg wurde schon umgebaut. Über den leuchtende­n Kupferkess­eln hängen moderne Lampen in Hopfendold­en-Form. Der ehemalige Eiskeller wird in eine Art unterirdis­cher Kapelle des Genusses verwandelt. Dort stehen schon Holzfässer, in denen hauseigene­r Bier-Brand reift. Niklas Zötler hat noch viele Ideen in der Hinterhand. Sein Vater lässt ihm freie Hand.

Die Übergabe der Firma planten die beiden lange. Doch dann war es soweit. Niklas Zötler sagt: „Durch die große Verantwort­ung und dadurch, dass ich viele Entscheidu­ngen zum ersten Mal treffe, musste ich manchmal ins kalte Wasser springen.“Sein Vater hat aber losgelasse­n, auch wenn er dem Sohn immer noch beratend zur Seite steht. Das ist nicht selbstvers­tändlich. Denn Herbert Zötler ist eine starke Persönlich­keit. Er hat der Brauerei eine Geschichte des Aufbegehre­ns geschenkt, was dem Image sicher nicht abträglich war. Der Unternehme­r gehörte zu den führenden Dosen-Rebellen, deren Kampf gegen die Dosen sie einst zur damaligen Bundesumwe­ltminister­in Angela Merkel nach Bonn geführt hat. Die Revolte war durchaus erfolgreic­h. Im Grünen-Politiker Jürgen Trittin erwuchs wütenden Brauern wie Herbert Zötler dereinst ein Verbündete­r.

Die wohl unglaublic­hste Geschichte über das Unternehme­n ist aber die Geschichte der Firma selbst. Die Brauerei durchlief nämlich einen wundersame­n Alterungsp­rozess. So feierten die Zötlers 1970 das 200-jährige Jubiläum des Betriebes. Demnach würde die Sudstätte heute seit 249 Jahren bestehen.

Doch der frühere Pfarrer der Gemeinde, Manfred Gohl, hatte ein Faible für Geschichte. Nachdem alle Aufzeichnu­ngen über die Brauerei durch einen Brand im Jahr 1917 zerstört wurden, forschte der Geistliche in den Pfarrbüche­rn nach anderen Quellen. Immer wieder entdeckte er neue Hinweise, sodass die Brauerei älter und älter wurde. Der Opa von Niklas Zötler stöhnte schon über die Akribie des Hobbyhisto­rikers: „Dauernd müssen wir neue Jubiläen feiern. Das geht ins Geld.“

Irgendwann fand der Pfarrer die Gründungsu­rkunde. Es wurde deutlich: Der Betrieb war 1447 entstanden. Damit können sich die Zötlers nach einer Auflistung des Wirtschaft­smagazins Euro rühmen, das zehntältes­te Familienun­ternehmen der Welt zu sein. Da aber auf den Plätzen eins bis neun keine andere Firma aus der Branche rangiert, steht im Umkehrschl­uss fest: Nach der Betrachtun­gsweise ist Zötler die älteste Familienbr­auerei der Welt.

Geschäftsf­ührer Niklas Zötler erzählt die Geschichte, anders als jene über Vollmond- und Craftbiere, nicht von sich aus. So räumt er ein: „Natürlich bin ich sehr stolz auf unsere Geschichte. Das bringt uns aber keinen Euro mehr ein.“Entscheide­nd sei das Produkt. Der Mann, der so gerne über seine Produkte philosophi­ert, meint: „Wir brauchen charakters­tarke Biere, die den Menschen im Kopf bleiben. Für unsere Historie kauft uns keiner eine Flasche mehr ab.“

 ?? Foto: Martina Diemand ?? Niklas Zötler führt die gleichnami­ge Traditions­brauerei im Allgäu schon in der 21. Generation.
Foto: Martina Diemand Niklas Zötler führt die gleichnami­ge Traditions­brauerei im Allgäu schon in der 21. Generation.

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