Klassische Musik für die Bierhefe
Unternehmen aus der Region Im Allgäu lassen sich die Inhaber der Brauerei Zötler immer wieder etwas Neues einfallen. Berühmt wurden sie mit ihrem Vollmond-Bier. Das Unternehmen gilt als die älteste Familienbrauerei der Welt
Rettenberg Erklingt da leise Mozart? Sind die Brauer hier im Allgäuer Ort Rettenberg bei Immenstadt Freunde klassischer Musik? Oder handelt es sich nur um eine Art musikalische Fata Morgana an einem extrem heißen Tag? Nein, im Hefekeller der Zötlers ist es angenehm kühl und es läuft wirklich dezent Musik – nicht zur Entspannung der Angestellten, sondern allein für die Hefe. Die züchten sie hier in ihrer ganzen Leidenschaft für das Bier selbst und glauben, es tue ihr gut, wenn sie mit Wohlklang heranreift.
Was esoterisch klingt, geht auf Erkenntnisse eines japanischen Wissenschaftlers zurück, die Herbert Zötler zu dem musikalischen Experiment inspiriert haben. So sagt der 66-Jährige: „Hefe ist ein Lebewesen, ein Einzeller. Man muss Hefe verstehen und auf sie eingehen.“Der Unternehmer kam auf die Idee, dem Lebewesen in der Familienbrauerei am Fuße des Berges Grünten „ein möglichst angenehmes Umfeld zu verschaffen“. Zötlers Sohn Niklas, 33, der seit 2018 die Brauerei allein führt, räumt dann aber doch ein, manchmal käme auch Lounge-Musik zum Einsatz, wenn bei gerade jüngeren Beschäftigten das Fass für Klassik voll sei. „Auf alle Fälle spielen wir hier kein AC/DC.“
Der Rest ist natürlich Glaubenssache. Die Zötlers haben jedenfalls viele bierige Anhänger, weit über das Allgäu hinaus. Die Unternehmer lassen sich für ihre Fans immer etwas Neues einfallen. Sie sind Geschichtenerzähler. Niklas Zötler, der vor seiner Ausbildung zum Braumeister Betriebswirtschaft studiert hat, verwendet dafür den englischen Begriff „Storytelling“. Storys haben sie bereits reichlich eingeschenkt – sowohl der Vater als auch der Sohn. Beide ergänzen sich. Niklas Zötler sagt: „Ich bin mehr bauch-, mein Vater ist mehr kopfgesteuert.“Der jung wirkende Senior hat es mit einer der vielen ZötlerGeschichten geschafft, den früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking zu begeistern. In seinem Buch „Anders ist besser. Ein Versuch über neue Wege in Wirtschaft und Politik“rühmt der einstige Spitzenmanager die Idee der Zötlers, bei Vollmond ein entsprechendes Bier zu brauen und offensiv zu vermarkten.
Ob der so unter dem Licht und der Kraft des satten Mondes entstandene Gerstensaft anders schmeckt und eine segensreiche Wirkung entfaltet, ist wiederum Glaubenssache. Für richtige Allgäuer, erfährt der Besucher in der Regi
on bald, allerdings nicht. Niklas Zötler, der einen Vollbart trägt und sich die Trachtenweste erst zum Foto anzieht, glaubt, etwa jeder zweite Allgäuer habe einen Mondkalender zu Hause. So würden Friseurtermine, Gartenarbeit und der Tag, an dem Holz geschlagen wird, vom Mond bestimmt. Wieder so eine Story. Die Leidenschaft für besondere Produkte teilen Vater und Sohn. Beide wollen „Charakterbiere“brauen und sind selbst Charakterköpfe. Herbert Zötler wollte nach dem Studium in Freiburg, wo er seine Frau kennengelernt hat, zunächst das Unternehmen nicht übernehmen. Er wurde Steuerberater, fand aber dann doch den Weg in den Familienbetrieb und mischte ihn erfolgreich auf.
Der Sohn sagt über seinen Vater: „Mein Vater war ein 68er mit einem Faible für die Rolling Stones, und daher gab es immer viele Diskussionen mit meinem Opa.“Herbert Zötler hat sich mit seinem konservativeren Vater dann aber doch gut verstanden, als er sich entschloss,
die Familienbrauerei weiterzuführen. Niklas Zötler erinnert sich: „Sie wurden ein Herz und eine Seele.“
Familie und Tradition spielen eine große Rolle in dem Unternehmen – sie sind eine Quelle interessanter Geschichten, die der junge Chef mit den von ihm entwickelten Craftbieren erzählt. Niklas Zötler hat seinem Opa einen solchen Charakter-Gerstensaft mit dem Namen „Herzsolo“gewidmet. Schafkopfspieler könnten einen Verdacht haben, welche Leidenschaft des Großvaters in Form eines unter anderem mit belgischer Witbierhefe hoch vergorenen Bieres gewürdigt wird.
Natürlich geht es ums Karteln. Niklas Zötler erinnert sich: „Er ließ keine Gelegenheit aus, wenn es darum ging, mit Freunden oder Kunden eine Partie Schafkopf zu spielen, und meistens war er der Sieger.“Der experimentierfreudige Brauer hat auch seiner geliebten Oma Mimi ein Craftbier zugedacht. Das mit englischer Ale-Hefe gebraute Produkt ist eine Hommage an eine Frau, die „mit ihrem riesengroßen
Herzen unsere Familie, unsere Kunden und unsere Mitarbeiter umsorgt hat“. Und, erinnert sich Niklas Zötler, „wir Enkel konnten mit all unseren Leiden zu Mimi kommen und dann waren alle Sorgen ganz schnell vergessen“. Das Oma-Bier heißt „Heilewelt“.
Eine solche heile Welt wollen die Zötlers rund um die Brauerei erschaffen, um ihre Charakterbiere und Geschichten ihren Kunden noch unmittelbarer näherzubringen. Dabei soll wie bei der Brauerei Riegele in Augsburg ein eigener Bier-Kosmos mit einer Wirtschaft und einem Biergarten am Stammsitz entstehen. Das Sudhaus in Rettenberg wurde schon umgebaut. Über den leuchtenden Kupferkesseln hängen moderne Lampen in Hopfendolden-Form. Der ehemalige Eiskeller wird in eine Art unterirdischer Kapelle des Genusses verwandelt. Dort stehen schon Holzfässer, in denen hauseigener Bier-Brand reift. Niklas Zötler hat noch viele Ideen in der Hinterhand. Sein Vater lässt ihm freie Hand.
Die Übergabe der Firma planten die beiden lange. Doch dann war es soweit. Niklas Zötler sagt: „Durch die große Verantwortung und dadurch, dass ich viele Entscheidungen zum ersten Mal treffe, musste ich manchmal ins kalte Wasser springen.“Sein Vater hat aber losgelassen, auch wenn er dem Sohn immer noch beratend zur Seite steht. Das ist nicht selbstverständlich. Denn Herbert Zötler ist eine starke Persönlichkeit. Er hat der Brauerei eine Geschichte des Aufbegehrens geschenkt, was dem Image sicher nicht abträglich war. Der Unternehmer gehörte zu den führenden Dosen-Rebellen, deren Kampf gegen die Dosen sie einst zur damaligen Bundesumweltministerin Angela Merkel nach Bonn geführt hat. Die Revolte war durchaus erfolgreich. Im Grünen-Politiker Jürgen Trittin erwuchs wütenden Brauern wie Herbert Zötler dereinst ein Verbündeter.
Die wohl unglaublichste Geschichte über das Unternehmen ist aber die Geschichte der Firma selbst. Die Brauerei durchlief nämlich einen wundersamen Alterungsprozess. So feierten die Zötlers 1970 das 200-jährige Jubiläum des Betriebes. Demnach würde die Sudstätte heute seit 249 Jahren bestehen.
Doch der frühere Pfarrer der Gemeinde, Manfred Gohl, hatte ein Faible für Geschichte. Nachdem alle Aufzeichnungen über die Brauerei durch einen Brand im Jahr 1917 zerstört wurden, forschte der Geistliche in den Pfarrbüchern nach anderen Quellen. Immer wieder entdeckte er neue Hinweise, sodass die Brauerei älter und älter wurde. Der Opa von Niklas Zötler stöhnte schon über die Akribie des Hobbyhistorikers: „Dauernd müssen wir neue Jubiläen feiern. Das geht ins Geld.“
Irgendwann fand der Pfarrer die Gründungsurkunde. Es wurde deutlich: Der Betrieb war 1447 entstanden. Damit können sich die Zötlers nach einer Auflistung des Wirtschaftsmagazins Euro rühmen, das zehntälteste Familienunternehmen der Welt zu sein. Da aber auf den Plätzen eins bis neun keine andere Firma aus der Branche rangiert, steht im Umkehrschluss fest: Nach der Betrachtungsweise ist Zötler die älteste Familienbrauerei der Welt.
Geschäftsführer Niklas Zötler erzählt die Geschichte, anders als jene über Vollmond- und Craftbiere, nicht von sich aus. So räumt er ein: „Natürlich bin ich sehr stolz auf unsere Geschichte. Das bringt uns aber keinen Euro mehr ein.“Entscheidend sei das Produkt. Der Mann, der so gerne über seine Produkte philosophiert, meint: „Wir brauchen charakterstarke Biere, die den Menschen im Kopf bleiben. Für unsere Historie kauft uns keiner eine Flasche mehr ab.“