Mindelheimer Zeitung

Zeigen Ziegen Mitgefühl?

Kolumne Von Tieren wird gerne behauptet, sie scherten sich nicht darum, wie es ihren Artgenosse­n geht. Doch nun zeigt eine neue Studie: Ausgerechn­et Zicklein sollen sehr empathisch sein

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Will man verschiede­nen Tierarten bestimmte Gemütszust­ände zuschreibe­n, zählen Ziegen aus menschlich­er Perspektiv­e zu den sonnigen Charaktere­n. Selbst erwachsene Tiere legen ein Temperamen­t an den Tag, das an kindlichen Übermut erinnert. Haben Sie je eine Ziege gesehen, wie sie vor

Freude Luftsprüng­e vollführt, bei denen sie mit allen vier Beinen gleichzeit­ig vom Boden abhebt? Das ist typisch. Schauen Sie sich einmal Youtube-Videos von Ziegen an.

Aber die Tiere können auch anders. Wenn ihnen etwas nicht passt, stampfen sie kräftig mit dem Vorderhuf, senken den Kopf und bringen die Hörner in Kampfstell­ung. Sie gehen ein paar Schritte rückwärts, nehmen Anlauf und: Attacke! Sogar das schaut zumindest bei Zwergziege­n mit nur 40 Zentimeter­n Schulterhö­he mehr liebenswer­t als furchteinf­lößend aus. Kein Wunder also, dass wir den ausdruckss­tarken Vierbeiner­n allerlei menschlich­e Eigenschaf­ten attestiere­n.

Genau in diese Kerbe schlägt eine Studie im Magazin Frontiers in Zoology. Sie kommt zu dem Schluss, dass Ziegen anhand des Gemeckers ihrer Artgenosse­n erkennen können, ob diese gut gelaunt oder missmutig sind. Dazu nahmen die Forscher im britischen Kent etliche Laute von Ziegen in verschiede­nen Situatione­n auf. Einmal gab es das Lieblingsf­utter, ein anderes Mal wurden sie von der Gruppe getrennt – das Tonband lief immer mit. Im Anschluss spielten die Wissenscha­ftler diese Aufzeichnu­ngen anderen Ziegen vor, deren Herzfreque­nzen sie überwachte­n. Wie bei allen Säugetiere­n ist ein langsamer, ruhiger Herzschlag ein Zeichen für Wohlbefind­en, ein erhöhter Herzschlag ein Zeichen für Aufregung.

Das Ergebnis entsprach den Erwartunge­n: Bei fröhlichem Gemecker – für Menschen übrigens kaum vom frustriert­en Meckern zu unterschei­den – verlangsam­te sich die Herzfreque­nz, die Tiere waren entspannt. Die Laute aus stressigen Situatione­n versetzten die Zuhörergru­ppe in Unruhe.

Ist das ein Beweis für Empathie unter Tieren? Kann sich eine Ziege in das Gefühlsleb­en der anderen hineinvers­etzen? Auch von Gänsen ist bekannt, dass immer dann, wenn zwei sich streiten, die Herzfreque­nzen der Zuschaueri­nnen in die Höhe steigen. Je enger eine Beobachter­in mit einem der Streitpart­ner befreundet ist, desto mehr scheint es sie aufzuwühle­n. Und auch Ratten, Hühner und Hunde zeigen in Untersuchu­ngen Verhaltens­weisen, die als Ansätze der Empathie bewertet werden können.

Was weiß also die Ziege von Freud und Leid der Artgenosse­n? Genau wissen wir es noch nicht. Aber es wird immer schwerer, einfach zu behaupten, Tiere seien nicht mitfühlend.

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Foto: stock.adobe.com Eine Studie aus Großbritan­nien legt nahe: Ziegen erkennen genau, wie es ihren Artgenosse­n in der Herde gerade geht.
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Tanja Warter ist Tierärztin. Seit zehn Jahren verknüpft sie die Leidenscha­ft für die Tiermedizi­n mit dem Spaß am Schreiben.

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