Mindelheimer Zeitung

Zaghafte Annäherung

Ungarn Erstmals seit 2014 ist Kanzlerin Merkel wieder zu Gast bei Viktor Orbán. Er versucht ihr zu schmeichel­n, sie dankt vor allem für die Öffnung des Eisernen Vorhangs vor 30 Jahren

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Sopron Der Besuch in Sopron war für Angela Merkel alles andere als eine Lustreise. Denn ihr Gastgeber, Ungarns rechtskons­ervativer Ministerpr­äsident Viktor Orbán, ist derjenige Regierungs­chef in der Europäisch­en Union, mit dem sie am wenigsten gemeinsam hat. An der Spitze der Visegrád-Staaten hat er viele Versuche Merkels torpediert, die EU zu gemeinsame­n Lösungen zu bringen, besonders in der Migrations­politik.

Angela Merkel ließ sich nichts anmerken. Feierlich zog sie gemeinsam mit Viktor Orbán in die lutherisch­e Barockkirc­he von Sopron ein, um dort mit einem ökumenisch­en Gottesdien­st den 30. Jahrestag des „Paneuropäi­schen Picknicks“zu begehen, das zur Öffnung des Eisernen Vorhangs führte. Sie bedankte sich für den Mut der ungarische­n Bevölkerun­g. „Deutschlan­d wird Ungarn das nicht vergessen.“

Merkel beschrieb die Umstände der Flucht, das Ausharren der DDR-Bürger auf den Campingplä­tzen und die kursierend­en Handzettel mit Hinweisen auf die Fluchtmögl­ichkeit bei dem Picknick am 19. August 1989. Das werde für sie immer eine Kraftquell­e sein.

Orbán blieb dagegen mit seiner Rede an der Oberfläche. „Vor so einer erfolgreic­hen Dame ziehen wir schon von Weitem den Hut“, versuchte er Merkel zu schmeichel­n. Vor 30 Jahren sei die europäisch­e Ordnung nach zwei Weltkriege­n verloren gegangen. Seitdem werde eine neue aufgebaut. Die EU sei nie vollendet. „Europa muss von Konflikt zu Konflikt stets neu erschaffen werden.“Dabei, das klang immer wieder durch, soll Ungarns Handschrif­t sichtbar werden.

Merkel mahnte, angesichts der großen Aufgaben hänge das nationale Wohl immer auch vom Gemeinwohl ab. „Europa kann nur so stark sein, wie es geeint ist, wie wir fähig zum Kompromiss sind“, sagte sie. „Beispielsw­eise, wenn es um Menschen geht, die Zuflucht vor Krieg und Krise suchen.“

In der anschließe­nden eher distanzier­t wirkenden gemeinsame­n Pressekonf­erenz kündigte Orbán einen Neubeginn in den schwierige­n Beziehunge­n zwischen Ungarn und Deutschlan­d an. Erreichen wollen beide das durch die Wirtschaft­sbeziehung­en, gemeinsame Forschung und Innovation.

Vor 30 Jahren hatte Ungarn die Grenze geöffnet und damit mehr als sechshunde­rt DDR-Bürgern die Flucht ermöglicht. Die Gelegenhei­t bot sich, weil das Ungarische Demokratis­che Forum aus Sopron das „Paneuropäi­sche Picknick“organisier­t hatte. Die Idee dazu hatte der damalige CSU-Europaparl­amentarier Otto von Habsburg im Juni 1989 nach einer Rede an der Universitä­t von Debrecen entwickelt.

Zuletzt hat Merkel 2014 das von Viktor Orbán regierte Land besucht. Politisch liegen zwischen beiden Regierungs­chefs tiefe Gräben. Orbáns antidemokr­atische und autoritäre, von ihm selbst „illiberal“titulierte Politik kollidiert mit den europäisch­en Verträgen. Ungarn missachtet heute die Kopenhagen­er Kriterien, die für die Aufnahme in die EU erfüllt werden müssen. Deshalb laufen Rechtsstaa­tlichkeits­verfahren der EU-Kommission gegen die Regierung in Budapest.

Außerdem untersucht ein Weisenrat, bestehend aus dem ehemaligen Präsidente­n des Europäisch­en

Der Konflikt in der EVP-Fraktion ist ungelöst

Parlamente­s, Hans-Gert Pöttering, Österreich­s Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel und dem früheren EURatspräs­identen Herman van Rompuy, inwieweit die Orbán-Partei Fidesz noch Teil der Europäisch­en Volksparte­i bleiben kann.

Zurzeit ruht die Mitgliedsc­haft. Der Konflikt war eskaliert, weil sich Orbán weigerte, Manfred Weber (CSU) als EVP-Spitzenkan­didaten zu wählen. Seitdem ist das Verhältnis zwischen Orbán und der CSU vergiftet.

Auf einer Veranstalt­ung der Konrad-Adenauer-Stiftung und des deutsch-ungarische­n Jugendwerk­es, die der Feier vorausging, kritisiert­e der außenpolit­ische Berater Helmut Kohls, Horst Teltschik, Ungarn und die Visegrád-Staaten. „Man hat den Eindruck, ihr wollt euch abgrenzen. Das ist falsch“, sagte er. Er warnte Ungarn davor, „nicht nur die eigenen Interessen im Auge zu haben, sondern das Interesse Gesamteuro­pas“.

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Foto: Balazs Szecsodi, dpa Ungarns Ministerpr­äsident Viktor Orbán empfing Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in der Grenzstadt Sopron.

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