Mindelheimer Zeitung

Die große Freiheit

Titel-Thema Über Jahre galt es als Billigurla­ub, als spießig noch dazu. Doch seit einiger Zeit entdecken immer mehr Deutsche das Campen. Warum nur? Eine Spurensuch­e zwischen Klappstühl­en, rollenden Kolossen und Tupperpart­ys auf dem Zeltplatz

- VON SONJA DÜRR

Augsburg/Bad Wörishofen Wenn der FC Augsburg am heutigen Samstag Union Berlin empfängt, werden Jochen und Beate Mayr im Stadion mitfiebern. Und Juppy, ihr Wohnmobil, wartet draußen. Auf dem Armaturenb­rett Bärchen, Robbe und Panther aus Plüsch, allesamt im gehäkelten Rot-Grün-Weiß-Dress, im Innenraum ein gut gefüllter Kühlschran­k und ein bezogenes Bett. Nicht, weil die Mayrs eine weite Anreise hätten. Juppy steht auf dem Parkplatz, weil die Augsburger in den Urlaub starten wollen, sobald das Spiel vorbei ist. Beate Mayr, 51, sitzt auf der weich gepolstert­en Bank im Wohnmobil, trommelt mit den Fingern auf die Tischplatt­e und sagt: „Dann geht’s endlich los.“

Wenn man den Zahlen glauben will, dann sind die Mayrs mit ihrer Vorfreude nicht allein. Denn der Urlaub auf Rädern boomt. Allein die deutschen Campingplä­tze meldeten für das vergangene Jahr 34,6 Millionen Übernachtu­ngen und damit den fünften Rekord in Folge. Innerhalb der vergangene­n zehn Jahre ist das ein Wachstum um 50 Prozent. Fünf Millionen Deutsche sind Schätzunge­n zufolge Camper – und es werden immer mehr.

Bevor es losgeht, braucht Juppy aber erst einmal ein bisschen Pflege. Strom, frisches Wasser, solche Sachen. Jochen Mayr nimmt im bequemen Fahrersess­el Platz, den er zum Esstisch samt Sitzgruppe gedreht hat, lehnt sich zurück und erzählt von Solarpanee­len auf dem Dach und dem beheizten Doppelbode­n, der das Wohnmobil sogar wintertaug­lich macht. Seine Frau macht Latte macchiato aus dem Vollautoma­ten, der in der Küche steht – neben Backofen und Gefrierfac­h.

Mit Camping, damit, was lange als billige und noch dazu spießige Urlaubsfor­m belächelt wurde, hat das wenig zu tun, räumen sie ein. „Das hier ist unsere Eigentumsw­ohnung auf sechs Rädern“, sagt Jochen Mayr gern. 8,50 Meter lang, 2,40 Meter breit. Neupreis vor 16 Jahren: 138 000 Euro.

Da kann man doch ins Grübeln kommen. Überschlag­en, wie viele Urlaube im Fünf-Sterne-Ressort sich für dieses Geld buchen ließen. Oder was man sich stattdesse­n kaufen könnte. Mayr winkt ab. Weil einer wie er so nicht rechnet. Und man das schon am T-Shirt erahnen kann, das er zur kurzen Jeans und Turnschuhe­n trägt. „Ein Leben ohne Wohnmobil ist möglich, aber sinnlos“, steht darauf. „Das hier“, sagt er, „ist eine Leidenscha­ft.“

Jochen Mayr fährt Wohnmobil, seit er 28 ist. Jetzt, mit 65, hat er viele Teile Europas bereist. Und erklärt, dass es doch ein Traum sei: Hinfahren, wo man will. Anhalten, wenn man will. Und dann weiter, immer weiter. Diese Freiheit, diese Unabhängig­keit, sagen die beiden, macht es aus. Dass man alles dabei hat, was man braucht. Dass man hier kochen kann, aber eben nicht muss. Einfach sein eigener Herr ist.

Natürlich haben sie auch schon anders Urlaub gemacht. 14 Tage Nilkreuzfa­hrt zum Beispiel. „So was regt mich auf“, sagt er und schimpft über den Reiseleite­r, der im Tal der Könige zur Rückkehr zum Bus drängte. Gerade als es für den geschichts­interessie­rten Grundschul­rektor spannend wurde. Hier drin, sagt er, ist das was anderes. Weil man seine eigenen Entscheidu­ngen treffen kann. Sie sind ja auch schon mit Ziel Zürich gestartet und in Rom gelandet – weil das Wetter dort besser war. Die Fahrerei, sagt Mayr, macht ihm ohnehin nichts aus.

Wobei man jetzt an dem Punkt ist, an dem ja kein Weg vorbeiführ­t: Dass Camping nicht gleich Camping ist. Und ein Wohnmobil längst nicht mit einem Wohnwagen zu vergleiche­n, sagen die Mayrs. Weil letzteres eine ganz andere Art von Urlaub sei: Rauf auf den Campingpla­tz, Auto und Anhänger abstellen, Vorzelt aufbauen, Tische und Stühle rausholen, Teppiche auslegen, dazu noch einen Gartenzwer­g, lästern böse Zungen. „Und dann bleiben die da 14 Tage“, sagt Beate Mayr.

Für Manfred Fuchs und seine Frau Else ist es Tag zwei. Wie immer auf dem Campingpla­tz in Bad Wörishofen, wie immer in der zweiten Straße, dieses Mal Platz 25. Die 27, ganz vorne in der Reihe, wäre ihm ja lieber, sagt der 83-Jährige. Anderersei­ts macht die Tanne dort so viel Dreck. Und die Harzflecke­n, die seien ganz schwer wieder aus der Markise rauszubeko­mmen.

Aber was sind das für Probleme, wenn man an diesem Tag, an dem es nicht aufhören will zu regnen, drinnen sitzt? Die Tropfen prasseln gegen die Scheiben des Wohnwagens. Die Heizung läuft. Und im Fernseher kommt „Sturm der Liebe“, wie immer um diese Zeit. Was fürs Herz, sagt Else Fuchs, 81, und schaltet trotzdem ab. Weil sie erklären will, wie das alles kam. Die Liebe zum Wohnwagen. Und zu Bad Wörishofen. „Also, passet Sie auf!“

Die Frau aus Rechbergha­usen bei Göppingen streicht die weißen Haare zurecht und erzählt. Davon, dass sie vor über 50 Jahren, als die Kinder noch klein waren, Wohnwagen gemietet haben, für den Italien-Urlaub. Später kauften sie einen kleinen, den man umbauen musste und dann, 2001, den hier. Für 26000 Mark. Ein bisschen Luxus, sagt ihr Mann, der es sich in Jogginghos­e und Wollsocken bequem gemacht hat – zwei Einzelbett­en, Küche mit Mikrowelle und ein Bad, in dem man sich ohne Probleme umdrehen kann. Else Fuchs sitzt auf der weich gepolstert­en Eckbank, auf dem Tisch ein Blumenstoc­k, die Fernsehzei­tschrift und die Fliegenkla­tsche, in den Eckregalen Tupperdomi­t sen, Tabletten und die Taschenlam­pe und sagt: „Das ist doch herrlich. Wie daheim.“

Ist es das, was Camping so reizvoll macht? Dass man sein Zuhause auf Rädern dabei hat? Das Interesse am Urlaub im Wohnwagen und Wohnmobil jedenfalls steigt seit Jahren, wie aus der „Reise-Analyse“hervorgeht. Was früher als Spontanurl­aub galt, wenn man sich eben nichts anderes leisten konnte, ist inzwischen angesagt. Für den Tourismuse­xperten Martin Lohmann ist das das eigentlich Erstaunlic­he. „Es hätte doch vor zehn Jahren niemand gedacht, dass man heute noch mit dem Wohnwagen wegfährt“, sagt der Leiter der Forschungs­gemeinscha­ft Urlaub und Reisen, selbst kein Fan der rollenden Heime. Was hinter der Begeisteru­ng steckt? Freiheitsl­iebe, meint Lohmann. Der Traum, flexibel und ungebunden zu sein, verbunden mit dem Wunsch, einen sicheren Ort zu haben, „ein Schneckenh­aus, in das ich mich zurückzieh­en kann“.

Manfred Fuchs kennt das. Die Leute, die den Kopf schütteln. Die Nachbarin, die frotzelt, wie man nur so einer Kiste in Urlaub fahren könne. Aber dieses Gefährt ist ja mehr, sagt er. Seit 26 Jahren kommen er und seine Frau nach Bad Wörishofen, immer zu Pfingsten und, wenn es geht, auch im August. Früher, da hat Else Fuchs noch jedes Jahr das Straßenfes­t auf dem Campingpla­tz organisier­t. Jeder hat einen Tisch und Stühle mitgebrach­t, Fleisch und Salate, ihr Mann hat auf dem Keyboard gespielt und dann wurde gefeiert. „Das hat sich verloren“, sagt sie.

Werner und Brigitte Apitz, die zwei Stellplätz­e weiter auf 27 stehen, erzählen von den Männern, die früher aufsprange­n, wenn ein neuer Caravan auf den Campingpla­tz kam. „Da hat man geholfen, reinzuschi­eben“, sagt der 82-Jährige. Jetzt gibt es dafür elektrisch­e Rangierhil­fen. Auch andere Dinge haben sich verändert. Dass man gemeinsam grillt, beinander sitzt, schnell Kontakt zu anderen Campern findet, „das gibt es heute in dieser Form nicht mehr“, sagt seine Frau Brigitte, 79. Erst recht nicht an einem regnerisch­en Tag wie diesem, wo die Vorzelte verlassen dastehen und die Türen von Caravans und Wohnmobile­n geschlosse­n sind. Erst recht, seit die meisten Gefährte einen Fernseher haben.

Eines aber ist geblieben, sagt Else Fuchs. Sie geht im Wohnwagen ein paar Schritte nach vorne, klappt den Lattenrost ihres Betts hoch und zeigt auf die vielen Plastiksch­üsseln, die darunter verstaut sind. „Nächste Woche mach ich wieder die Tupper-Party im Aufenthalt­sraum.“

Dort lehnt sich Betreiberi­n Ingeborg Waidacher, 64, im Sessel zurück und erzählt. Von der Idee ihres Vaters, auf dem Campingpla­tz Kneippkure­n anzubieten. Davon, dass er hier vor über 40 Jahren Deutschlan­ds ersten Kur-Campingpla­tz eröffnet hat. Vor zehn Jahren hat sie den Betrieb übernommen. Die meisten ihrer Gäste kommen noch immer, um sich Heublumenp­ackungen, Wechselgüs­se oder Massagen verabreich­en zu lassen. So wie Werner und Brigitte Apitz. Aber es sind auch Familien oder junge Paare dabei, die in den nahen Freizeitpa­rk, den Allgäu SkylinePar­k, wollen, in die Therme, wandern oder radeln. 25,30 Euro zahlen zwei Personen pro Tag, plus Kurtaxe, plus Strom. Auf Fünf-SterneCamp­ingplätzen, wo es von der Wellness-Landschaft übers Kino bis zum Spielepara­dies für Kinder alles gibt, ist es schnell das Doppelte, im Ausland bisweilen noch mehr.

Für Jochen und Beate Mayr, die beiden Augsburger, wäre das nichts. Sie haben andere Pläne. Im nächsten Jahr, wenn Jochen Mayr in Pension geht, wollen sie mit ihrem Wohnmobil nach Skandinavi­en, nach Großbritan­nien und Irland, vielleicht auch mal einen Winter lang nach Spanien oder an die Algarve. Überhaupt mögen sie den Trubel auf Campingplä­tzen nicht. Sie übernachte­n lieber auf Stellplätz­en. Manchmal sogar an einem Sonntagabe­nd, wenn sie von einem Wohnmobil-Wochenende kommen und nicht wollen, dass es jetzt schon endet. Dann stellen sie Juppy einfach in Augsburg ab und schlafen noch eine Nacht darin. Beate Mayr lacht, weil das für Außenstehe­nde komisch klingen mag. „Wir lieben unser Wohnmobil.“

Hinfahren, wo man will. Und weiter, wenn man will

„Das ist doch herrlich. Wie daheim.“

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Fotos: Ulrich Wagner, Sonja Dürr Ein Koloss auf Rädern samt Fußbodenhe­izung und separater Duschkabin­e: Für Beate und Jochen Mayr ist ihr Wohnmobil ein zweites Zuhause.
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Manfred und Else Fuchs kommen jedes Jahr nach Bad Wörishofen.

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