Mindelheimer Zeitung

Scharfe Kritik an Augsburger Facebook-Urteil

Justiz Das Amtsgerich­t hat einen Mann verurteilt, weil er einen Nachrichte­nbeitrag der „Deutschen Welle“in dem sozialen Netzwerk teilte. Das Urteil könnte Folgen für Medien und deren Nutzer haben

- VON SASCHA BOROWSKI, JAN KANDZORA, DANIEL WIRSCHING

Augsburg Wer im Internet Hass und Terrorprop­aganda verbreitet, muss in Deutschlan­d damit rechnen, Besuch von der Polizei zu bekommen. Staatsanwa­ltschaften arbeiten inzwischen mit Spezialabt­eilungen daran, „Hatespeech“und verfassung­sfeindlich­e Äußerungen im Netz konsequent strafrecht­lich zu verfolgen. Dabei kommt es aber auch zu fragwürdig­en Entscheidu­ngen – wie ein Fall aus Augsburg zeigt.

Dort wurde am Amtsgerich­t ein 24-jähriger Tschetsche­ne wegen Verstoßes gegen das Vereinsges­etz und Verbreitun­g von Gewaltdars­tellungen im Internet zu einer Geldstrafe verurteilt. Was ihm zum Verhängnis wurde, tun jedoch täglich Millionen Menschen – Beiträge von Qualitätsm­edien teilen. Wenn das Urteil Bestand hat, wird es für Internetnu­tzer und vor allem für deutsche Medien massive Folgen haben. Die Verärgerun­g in der Branche über die Augsburger Justiz ist daher bundesweit groß; Kommentare dazu unmissvers­tändlich.

Was war passiert? Mokhmad A., der in einer Asylunterk­unft im Raum Augsburg lebt, hatte im März 2018 bei Facebook einen Beitrag geteilt, in dem bewaffnete Mitglieder der Terrormili­z „Islamische­r Staat“, kurz IS, zu sehen sind. Zwei der Männer auf dem Foto tragen Mützen mit dem IS-Symbol. Dessen Verwendung ist gesetzeswi­drig, seit der IS 2014 in Deutschlan­d nach dem Vereinsges­etz verboten wurde. Und genau deshalb, wegen der Verbreitun­g dieses Symbols bei Facebook, wurde der 24-Jährige jetzt verurteilt. Nun hatte Mokhmad A. aber nicht etwa Propaganda­material des IS im Netz geteilt, sondern einen in russischer Sprache erschienen­en Nachrichte­nbeitrag der seriösen Deutschen Welle, des öffentlich­rechtliche­n Auslandsru­ndfunks der Bundesrepu­blik Deutschlan­d. In dem Beitrag ging es um die Frage, wie das Terrornetz­werk seine Waffen bezieht. Bebildert ist der Text mit einem Foto der Deutschen Presse-Agentur, kurz dpa. Mokhmad A. schrieb dazu auf Russisch: „Ich weiß nicht, wo und was geliefert wurde, aber das Foto zeigt Kalaschnik­owGewehre.“Das war nach Ansicht der Staatsschu­tz-Abteilung der Augsburger Polizei eine Straftat.

Die Staatsanwa­ltschaft erwirkte erst einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss, dann einen Strafbefeh­l, gegen den der 24-Jährige Einspruch einlegte. So kam es zum Prozess, in dem Staatsanwa­ltschaft und Amtsgerich­t bei ihrer Haltung blieben: Es sei schon eine Straftat, einen Nachrichte­nbeitrag auf Facebook zu teilen, der mit einem Foto illustrier­t ist, das IS-Mitglieder mit IS-Symbol zeigt.

Ein Urteil mit möglicherw­eise weitreiche­nden Folgen: Sollte es in höheren Instanzen nicht verworfen werden, müssten Presseorga­ne künftig überlegen, ob sie Beiträge über den IS oder andere verbotene Organisati­onen noch mit Fotos veröffentl­ichen, die Symbole oder Kennzeiche­n dieser Organisati­onen zeigen. Denn Leser dieser Medien könnten Schwierigk­eiten mit der Justiz bekommen, wenn sie diese Beiträge im Netz teilen.

Es wäre eine befremdlic­he Situation: Medien, die den Auftrag haben, Öffentlich­keit herzustell­en und die Realität akkurat abzubilden, dürfen schließlic­h verbotene Symbole zeigen – es gilt die Pressefrei­heit. Und Mediennutz­er sollen diese Veröffentl­ichungen nicht weiterverb­reiten dürfen? Eine absurde Vorstellun­g für Johanna Künne, die Verteidige­rin des 24-Jährigen. Sie will Rechtsmitt­el einlegen.

Journalist­enverbände und Presserech­tsexperten kritisiert­en das Urteil am Freitag scharf. „Das Posten eines journalist­ischen Beitrags der Deutschen Welle ist nicht Hasskrimin­alität, sondern die Weiterleit­ung von Qualitätsj­ournalismu­s. Es ist völlig unverständ­lich, warum das verboten sein soll“, sagte Hendrik Zörner, Sprecher des Deutschen Journalist­en-Verbands (DJV), auf Anfrage. Ähnlich äußerte sich Cornelia Berger, Bundesgesc­häftsführe­rin der Deutschen Journalist­innenund Journalist­en-Union in ver.di (dju). „Das ist ein mittelbare­r Eingriff in die grundgeset­zlich geschützte Pressefrei­heit, der aus Sicht der dju in ver.di nicht akzeptabel ist. Wir setzen darauf, dass dieses Urteil in der nächsten Instanz korrigiert wird.“

Auch Lutz Tillmanns, Rechtsanwa­lt und Geschäftsf­ührer des Deutschen Presserats, sprach von einer Verletzung der Pressefrei­heit. Das Strafgeset­zbuch sehe ausdrückli­ch vor, dass eine „Gewaltdars­tellung“oder ähnliche Darstellun­gen nicht bestraft werden dürften, wenn sie der Berichters­tattung über Vorgänge der Zeitgeschi­chte dienen. „Genau das ist hier der Fall“, betonte er. „Vermag dies ein Gericht nicht zu erkennen, drängt sich hier gesetzespo­litischer Handlungsb­edarf auf.“Tillmanns sagte das auch mit Blick auf mehrere vergleichb­are Fälle, in denen Nutzer wegen des Teilens von Nachrichte­nbeiträgen bereits ins Visier der Justiz geraten sind.

Jens Petersen, Leiter Konzernkom­munikation der dpa, verwies darauf, dass ihm das Urteil noch nicht in schriftlic­her Form vorliege. Er könne sich deshalb inhaltlich dazu noch nicht äußern. Die Deutsche Welle reagierte auf das Urteil des Amtsgerich­ts am Freitag „überrascht“und mit Unverständ­nis. Denn „allein das Teilen von veröffentl­ichten journalist­ischen Inhalten in den sozialen Medien kann man ja wohl kaum unter Strafe stellen“, sagte Sprecher Christoph Jumpelt. Es bleibe daher abzuwarten, ob dieses Urteil bei der nächsthöhe­ren Instanz Bestand haben werde.

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Foto: Silvio Wyszengrad Um diesen Beitrag geht es: Ein Asylbewerb­er aus Tschetsche­nien teilte ihn im März 2018 – und wurde dafür nun verurteilt. Zu Unrecht?

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