Mindelheimer Zeitung

Verhör statt Start in den Urlaub

Türkei hält immer öfter Reisende fest

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Nichts Böses ahnend begab sich die 47-jährige Bundesbürg­erin nach der Landung in der Türkei auf den Weg zur Passkontro­lle, als sie von Zivilpoliz­isten aufgehalte­n und weggeführt wurde. Quälende Stunden der Angst verbrachte die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, im Polizeiver­hör, bis sie schließlic­h ohne weitere Erklärung freigelass­en wurde und einreisen durfte, wie sie unserer Redaktion berichtete. Ihre Erfahrung ist kein Einzelfall.

Die 47-Jährige vermutet, dass sie wegen ihres dunklen Teints und „ostanatoli­schen“Aussehens aufgehalte­n wurde, denn ihre Eltern stammen aus der Osttürkei. Die meisten Reisenden, die mit ihr im Polizeigew­ahrsam waren, hätten kurdisch ausgesehen, berichtet sie – bis auf ein deutsches Mädchen mit einem arabischen Freund, das offenbar schon sehr viel länger festgehalt­en wurde und außer sich war vor Angst. Auch Bundesbürg­er ohne türkische Wurzeln kann es treffen. So berichtete eine Bremer Lehrerin der taz vor einigen Monaten von einer Nacht in Polizeigew­ahrsam am Istanbuler Flughafen. Warum, das könne sie sich nicht erklären, sagte die 56-Jährige – sie nutze weder Facebook noch Twitter und sei in keiner politische­n Gruppe aktiv. Dennoch holten Zivilpoliz­isten sie aus der Schlange vor der Passkontro­lle, beschlagna­hmten ihr Telefon und durchsucht­en ihre Kamera. „Auf einem Foto war ein Raum im Kulturzent­rum Lagerhaus zu sehen, in dem ich manchmal Deutsch unterricht­e“, berichtete die Lehrerin. „Dort haben sie im Hintergrun­d eine kurdische Fahne entdeckt und gleich darauf gezeigt.“Die Einreise wurde ihr verweigert.

Innenminis­ter Süleyman Soylu, ein Hardliner in der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan, erklärte das Vorgehen der Behörden, als er über Aktivitäte­n der Terrororga­nisation PKK sprach: „Es gibt Leute, die in Europa oder in Deutschlan­d an Kundgebung­en so einer Terrororga­nisation teilnehmen und dann nach Antalya, Bodrum oder Mugla kommen, um Urlaub zu machen“, sagte Soylu. „Für die haben wir Maßnahmen getroffen: Die sollen ruhig kommen, dann werden sie bei der Einreise am Flughafen festgenomm­en.“

Gesetzlich hätten Reisende das Recht, einen Angehörige­n zu benachrich­tigen und ihr Konsulat einzuschal­ten, erklärt der Rechtsanwa­lt Murat Deha Boduroglu. Reisende seien auch nicht verpflicht­et, ihre Telefone zu entsperren oder soziale Medien offenzuleg­en, bevor ein Gerichtsbe­schluss vorliegt und ein Anwalt dabei ist. In der Praxis gehe es auf den Flughäfen anders zu, wie Betroffene berichten: Festgesetz­te Reisende werden am Telefonier­en gehindert und genötigt, ihre Smartphone­s zu entsperren und durchsuche­n zu lassen, wenn sie wieder freigelass­en werden wollen. Wer sich wehrt und auf seine Rechte besteht, muss mit Konsequenz­en rechnen, wie Boduroglu einräumt: Untersuchu­ngshaft von bis zu 15 Tagen ist in der Türkei bei Terrorverd­acht möglich – und dafür kann ein unglücklic­hes Foto schon ausreichen.

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Foto: dpa Sicherheit­skontrolle am neuen Internatio­nalen Flughafen Istanbul.

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