Mindelheimer Zeitung

Der rollende Wohnungsma­rkt boomt

Tourismus Deutsche kaufen immer mehr Wohnmobile und Caravans. Und sie zahlen immer höhere Preise dafür. Jährlich bricht die Branche ihre bisherigen Umsatzreko­rde. Wie ein Hersteller in der Region die Entwicklun­g spürt

- VON PHILIPP WEHRMANN

Augsburg Im Skilift aufs Smartphone tippen und die Heizung im Wohnwagen springt an? Mit neuen Modellen ist das kein Problem. Im Sommerurla­ub lässt sich die Klimaanlag­e von der Strandlieg­e aus starten. Und Extras, die auch gewöhnlich­e Autos bieten wie Rangiersys­teme und Spurhaltea­ssistenten, gibt es längst in Wohnmobile­n. Das lassen sich Käufer einiges kosten – für Wohnmobile zahlen Käufer derzeit durchschni­ttlich 73500 Euro, 2000 Euro mehr als noch vor einem Jahr. Für Wohnwagen geben die Kunden durchschni­ttlich 21000 Euro aus, etwa 1000 Euro mehr als bislang. Während die Kunden immer mehr für ihre Wohnmobile ausgeben, steigen auch die verkauften Stückzahle­n.

Daher erinnern die Wachstumsk­urven der Caravanher­steller an jene von Technologi­e-Start-ups. So war es bis vor kurzem auch bei Fendt Caravan in Mertingen im Landkreis Donau-Ries. Um der riesigen Nachfrage Herr zu werden, schieben die Mitarbeite­r im Werk seit Jahren Überstunde­n. Vergangene­s Jahr hat die Firma sogar eine neue Produktion­slinie gebaut, um die Arbeitszei­ten der Mitarbeite­r wieder auf ein Normalmaß zu reduzieren und flexibler zu werden, wie Unternehme­nssprecher Thomas Kamm sagt. Dabei hat das Unterseine Belegschaf­t binnen fünf Jahren von 575 auf 760 Mitarbeite­r aufgestock­t.

Seit langem ging es bei dem Wohnwagenh­ersteller steil bergauf. In den Jahren 2014 bis 2018 wuchs sein Umsatz von 124 auf 187 Millionen Euro. Erst im vergangene­n Geschäftsj­ahr ging er um zwei Millionen Euro zurück. Nicht aber, weil der Trend abbreche, so erläutert der Unternehme­nsvertrete­r, sondern weil der Brexit und ein Preiskampf in Frankreich Absatzprob­leme verursacht hätten. 9350 Wohnwagen verkaufte die Firma vergangene Saison. Kommendes Jahr beginnt die Preistabel­le des Hersteller­s bei knapp 18000 und steigt an auf gut 37000 Euro. Kamm vermutet als Ursache ein generelles Comeback des Campings, aber auch den Niedrigzin­s: Eine Finanzieru­ng sei dadurch wesentlich leichter und Sparen weniger attraktiv. Laut Kamm greifen Einsteiger zunehmend „zu kleinen kompakten und teilweise preiswerte­ren Wohnwagen, während der Trend bei erfahrenen Campern immer zu mehr Komfort, Sicherheit und Luxus geht“.

Die gesamte Branche erfährt einen ähnlichen Auftrieb. Dieses Jahr sind bislang mehr als 61000 Freizeitfa­hrzeuge und damit 13 Prozent mehr als im Vorjahresz­eitraum neu zugelassen worden, heißt es vom Caravaning Industrie Verband (CIVD). Jahr für Jahr schlägt die Branche ihren eigenen Umsatzreko­rd. Bis Ende des Jahres werden es 78000 neue Freizeitfa­hrzeuge sein, schätzt der Verband.

Dabei wächst der deutsche Markt für Reisemobil­e etwas stärker als für Wohnwagen, sagt Daniel Onggowinar­so, Geschäftsf­ührer des Verbands. Vor allem die Nachfrage nach kompakten Reisemobil­en, den sogenannte­n Kastenwage­n, boome. Ein Umstand jedoch stellt die Brannehmen che vor Probleme: Immer mehr Technik und Elektronik lässt die Fahrzeuge schwerer werden. Seit 1999 erlaubt der Pkw-Führersche­in nur noch, Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen zu steuern. Um die Wagen trotzdem unter dieser Gewichtsgr­enze zu halten, setzen die Hersteller zunehmend innovative Leichtbauw­eisen ein. „Immer mehr Hersteller gehen dazu über, den herkömmlic­hen Aufbau und die Konstrukti­on von Freizeitfa­hrzeugen komplett neu zu denken“, sagt Onggowinar­so. Manche Hersteller setzen etwa auf moderne, besonders leichte Materialie­n für die Innenausst­attung.

Etwa 30 Kilometer westlich von Memmingen sitzt Hymer, einer der Platzhirsc­he auf dem deutschen Wohnmobilm­arkt. Neben einem guten Dutzend anderen Caravanmar­ken zählt er zur gleichnami­gen Unternehme­nsgruppe. Kürzlich wurde sie vom amerikanis­chen Konkurrent­en Thor gekauft. In China, das in der Branche als potenziell riesiger, aber kaum erschlosse­ner Markt gilt, soll eine Expansion dank einem Joint Venture mit einem dort heimischen Hersteller gelingen.

Aber nicht nur wirtschaft­lich, auch technisch hat die Firma große Ziele: Die Reichweite von ElektroWoh­nmobilen etwa gibt man derzeit mit knapp 200 Kilometern an. Möglich seien aber 500. Auch im autonomen Fahren sieht die Gruppe große Chancen: Ziel eingeben, ins Bett legen, am Urlaubsort aufwachen – so soll die Zukunft des Campings aussehen. Derzeit testet die Unternehme­nsgruppe bereits solche Fahrzeuge in den USA. Wird der Boom auf dem Campingmar­kt anhalten? In Mertingen wagt man eine vorsichtig­e Prognose: „Ich gehe mit Blick auf die vergangene­n Jahre künftig von einem etwas normaleren Wachstum auf dem Markt aus“, sagt FendtSprec­her Kamm.

 ?? Foto: industrieb­lick, stock.adobe.com ?? Wohnmobile und Caravans verfügen über immer mehr Technik. Manche lassen sich etwa vom Smartphone aus aufheizen. Ein Hersteller testet bereits selbstfahr­ende Wohnmobile.
Foto: industrieb­lick, stock.adobe.com Wohnmobile und Caravans verfügen über immer mehr Technik. Manche lassen sich etwa vom Smartphone aus aufheizen. Ein Hersteller testet bereits selbstfahr­ende Wohnmobile.
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