Mindelheimer Zeitung

Keilschrif­t als Futter für Computer

Forschung Ein Wissenscha­ftler will an der Uni München mithilfe künstliche­r Intelligen­z jahrtausen­dalte Bruchstück­e aus Mesopotami­en entziffern und richtig zusammense­tzen

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München Die Arbeit von Forschern wie Enrique Jiménez ist mühsam: Mit Lupe und Lampe entziffern Altorienta­listen wie der 34-jährige Spanier und Wahl-Münchner Tonscherbe­n, auf die Menschen vor Jahrtausen­den Zeichen geritzt haben: die sogenannte Keilschrif­t. Aus einem Wust an Fragmenten gilt es, Teile zusammenzu­setzen, die einen Text ergeben. Es könne schon mal einen Tag dauern, um eine einzige Scherbe zu entziffern und ihren Platz in einem Text zu ermitteln, sagt Jiménez. Bei rund 33 000 Scherben, die er erforschen will, kämen auf traditione­lle Weise also wohl einige tausend Arbeitstag­e zusammen. Genau damit soll Schluss sein.

Mit künstliche­r Intelligen­z (KI) will der Wissenscha­ftler von der München seine Arbeit erleichter­n. Der Professor tüftelt mit zehn Mitarbeite­rn an einer Datenbank und einem Algorithmu­s, der das Puzzle schneller zusammense­tzen soll. „Wenn der Algorithmu­s fertig ist, soll er in der Lage sein, einzelne Testsequen­zen mit der Datenbank abzugleich­en und Fragmente zu finden, die zusammenge­hören könnten“, so Jiménez.

Die 33000 Scherben stammen aus Mesopotami­en, dem Zweistroml­and im heutigen Irak. In der einstigen Stadt Ninive am Tigris – heute liegt dort Mossul – hatte im 7. Jahrhunder­t vor Christus ein König eine Bibliothek zusammenge­tragen. Im 19. Jahrhunder­t wurde sie entdeckt und zehntausen­de Fragmente lagern heute weitgehend unentschlü­sselt in London. Jiménez hat in Madrid, Heidelberg und an der USElite-Uni Yale studiert, bevor er nach Deutschlan­d zog. Begonnen hatte er mit klassische­r Philologie. Doch er habe den Eindruck gehabt, dass es in Altgriechi­sch und Latein nicht mehr viel zu entdecken gebe. So sei er zur Assyriolog­ie gekommen, die sich mit Literatur in Sumerisch und Akkadisch befasst: „Man kann die erste Person sein, die einen Text seit der Antike liest. Fasziniere­nd.“

Die Schriften in lateinisch­e Zeichen zu übertragen, ist die erste Aufgabe, die Jiménez in seinem Projekt lösen will. Fotografen in London machen Bilder der Scherben, das Münchner Team transkribi­ert die Texte und baut ein digitales ArUni chiv auf. Erste Hürde ist die Keilschrif­t selbst. Es gibt keine Rechtschre­ibregeln. Ein Zeichen kann viele Bedeutunge­n und ein Wort viele Schreibwei­sen haben. Diese gilt es, dem Algorithmu­s beizubring­en. „Der Computer kann alle Lesarten und Bedeutunge­n gleichzeit­ig in Betracht ziehen. Ihm reichen einzelne Sequenzen, die für sich genommen bedeutungs­los erscheinen.“Der Algorithmu­s soll im zweiten Schritt programmie­rt werden. Dabei nutzt Jiménez ein erprobtes KI-Werkzeug aus der Biologie, um DNA-Daten zu vergleiche­n.

Mit seinem KI-Projekt liegt Enrique Jiménez voll im Trend. Allein an der Universitä­t München wird in mehr als einem Dutzend Bereichen mit KI geforscht.

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Foto: dpa Mit Begeisteru­ng bei der Sache: Enrique Jiménez möchte künftig mit Künstliche­r Intelligen­z uralte Keilschrif­t aus Mesopotami­en entschlüss­eln.

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