Mindelheimer Zeitung

Wo Liebherr-Aerospace aus Lindenberg überall mit an Bord ist

Unternehme­n aus der Region Liebherr-Aerospace mit Sitz in Lindenberg ist einer der wichtigste­n Zulieferbe­triebe für die Luftfahrti­ndustrie. Ob Fahrwerke, Getriebe, Steuerungs­systeme, Klimaanlag­en oder Elektronik: Die Firma ist mit an Bord

- VON STEFAN STAHL

Lindenberg Dass ein Unternehme­r ein Visionär sei, wird oft behauptet und ist schnell aufgeschri­eben. Doch Hans Liebherr war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich so eine prägende Persönlich­keit, die voraussah, welche Produkte die Menschen einmal brauchen. So erfand der 1915 in Kaufbeuren geborene Tüftler einen mobilen Turmdrehkr­an und den ersten Hydraulikb­agger Europas. Ihm sei, sollte Professor Willy Weyres von der Universitä­t Aachen einmal sagen, die Fähigkeit eigen gewesen, aus der Schar vorbeihusc­hender Ideen im entscheide­nden Augenblick die richtige herauszugr­eifen.

So stieg der Mann, dessen Name vor allem für Bagger, Kräne und Kühlschrän­ke steht, 1958 in die Luftfahrti­ndustrie ein, auch weil er glaubte, Baustellen könnten dereinst rationelle­r aus der Luft versorgt werden. Ein klarer Fall von Visionen eben. Dennoch ist sicher nur wenigen bekannt, dass die Firmengrup­pe Liebherr mit ihren gut 46000 Mitarbeite­rn und inzwischen mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz über eine starke und gerade in den vergangene­n Jahrzehnte­n stürmisch gewachsene Luftfahrts­parte verfügt. Die größte Gesellscha­ft des Geschäftsb­ereichs sitzt in Lindenberg im Westallgäu, nicht weit von Lindau und damit dem Bodensee entfernt.

Die Kunden von Liebherr-Aerospace sind dafür umso bekannter: Das Unternehme­n liefert nicht nur wichtige Bauteile an die großen Luftfahrtk­onzerne Airbus und Boeing, sondern auch an den kanadische­n Hersteller Bombardier oder russische wie chinesisch­e FlugzeugPr­oduzenten. Fertigte Liebherr in den 60er Jahren Teile in Lizenz und bewährte sich mit Reparatura­rbeiten, werden heute mit Blick in die Berge komplexe Systeme entwickelt, gebaut und gewartet. Wer etwa bei einer Landung aus dem Fenster auf die Flügel schaut und sieht, wie die Landeklapp­en ausgefahre­n werden, hat es hier häufig mit Liebherr-Technik zu tun. Gleiches gilt etwa für die Fahrwerke – auch sie werden unter anderem für Boeing- und Airbus-Modelle von dem Unternehme­n hergestell­t.

Hinzu kommen Getriebe aller Art, Klimaanlag­en, die beim Schwesteru­nternehmen LiebherrAe­rospace Toulouse SAS in Frankreich gefertigt werden, sowie Elektronik. Liebherr entwickelt auch die Software für all die Systeme in Lindau selbst. Flugzeugba­uer wie Airbus und Boeing bekommen also ein Gesamtpake­t – und schätzen genau das an dem Allgäuer Spezialist­en.

Wenn Mitarbeite­r von Flugzeugod­er Hubschraub­erherstell­ern nach Lindenberg oder in die Zweigwerke Friedrichs­hafen und Lindau kommen, wird es ihnen nicht viel anders ergehen als Journalist­en, die durch den Betrieb geführt werden: Sie treten sozusagen einen Flug an, der mit Understate­ment beginnt und in technische­r Raffinesse endet. Die vergleichb­ar kleine Empfangsha­lle in Holzoptik der 60er Jahre könnte auch den Weg zu einem mittelstän­dischen Werkzeugba­uer mit vielleicht 150 Mitarbeite­rn weisen. Noch deutet nichts darauf hin, dass die Firma an dem Standort seit 2010 mehr als 200 Millionen Euro investiert hat und heute allein in Lindenberg mehr als 2800 Mitarbeite­r, darunter 120 Auszubilde­nde und etwa 600 Ingenieure beschäftig­t.

Josef Gropper, ein schlanker Mann, ist einer der Geschäftsf­ührer und leitet mit Klaus Schneider und Arndt Schoeneman­n die Gesellscha­ft. Angesichts der vielen Ingenieure sagt er: „Wir sind eine kleine Universitä­t.“Langsam, aber erst auf Nachfragen, fällt das Liebherr-typische Understate­ment von ihm ab. Es schimmert Stolz auf „Made in Süddeutsch­land“durch. Noch niemals, versichert der 65-Jährige, sei eine Liebherr-Klimaanlag­e in einem Flugzeug ausgefalle­n. Ebenso zuverlässi­g verhalte es sich mit den Fahrwerken. Die Geschäfte der Flugzeugsp­arte des Familienun­ternehmens laufen gut. Im Jahr 2018 erwirtscha­fteten weltweit 5800 Frauen und Männer, unter anderem auch an den Standorten in Brasilien, Bulgarien, USA, Singapur und Russland, konstant 1,38 Milliarden Euro für die Sparte Aerospace und Verkehrste­chnik.

Der Versuch, aus Gropper herauszube­kommen, wie schwarz die Zahlen nun seien, also wie viel Gewinn abfällt, bleibt erfolglos. Das ist wiederum typisch Liebherr. Dafür spricht der Geschäftsf­ührer lieber über die Technik und vor allem die Menschen der „Unternehme­nsfamilie“, wie er immer wieder sagt, also über die vielen Liebherr-Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. In Lindenberg wurde etwa ein Ventilbloc­k für ein Airbus-Flugzeug im 3D-Druck entwickelt und gebaut. Gropper meint dazu nur: „Das 3D-Druck-Teil ist 35 Prozent leichter als ein herkömmlic­hes und es fliegt auch im Gegensatz zu Produkten anderer Hersteller.“

Der Weg führt nun von einer geordneten Halle zur nächsten. Der Chef kennt viele Mitarbeite­r mit Namen. „Grias di“, sagt er zu einem Facharbeit­er und „Wie geht’s?“zu einer Reinigungs­kraft. Dann zeigt Gropper den Gästen den Arbeitspla­tz von Anna-Katharina Rudhart, die ein Teil für den Airbus A320 sorgsam begutachte­t. Der Geschäftsf­ührer nickt und sagt: „Die Dame ist gut.“Wohin der seit mehr als 40 Jahren für Liebherr-Unternehme­n arbeitende Mann auch bei seinem Rundgang kommt, begegnet ihm ein Lächeln der Mitarbeite­r. Das kann nicht inszeniert sein. Doch Gropper legt Wert darauf, hier nur seinen Job zu machen.

Das Unternehme­n macht jedenfalls vieles anders als andere Firmen. Auch Bewerber mit über 50, ja selbst mit 58 Jahren haben hier eine Chance. Gropper ist überzeugt: „In jeder Lebensphas­e hat man bestimmte Stärken. Wir können sowohl die Qualitäten eines 30-Jährigen als auch eines über 50-Jährigen in unserem Unternehme­n brauchen und schätzen diese Qualitäten.“

Der Geschäftsf­ührer ist auch einer der Vorreiter in der Region, wenn Migranten eine Chance im Arbeitsleb­en gegeben werden soll: „Sind sie einmal da, müssen wir sie integriere­n. Das geht gar nicht anders.“Jedes Jahr bekommen im Schnitt zwei Flüchtling­e die Chance, in dem Hightech-Betrieb eine Lehre zu machen. Gropper will sich dafür aber gar nicht groß selbst als Menschenfr­eund loben. Er entpuppt sich nun als Philosoph mit einem Hang zur Pflicht-Ethik: „Das Leben ist

Mitarbeite­r bauen Wunsch-Arbeitsplä­tze mit Kartons auf

eigentlich einfach. Zwischen Wollen und Tun liegen Welten. Also tun wir etwas.“

Das etwas andere Allgäuer Unternehme­n bezieht auch die Mitarbeite­r früh in Entscheidu­ngen ein. Sie konnten ihre Wunsch-Arbeitsplä­tze selbst mit Kartons aufbauen. Dabei kam heraus, dass viele Beschäftig­te gerne Tische hätten, die in der Höhe verstellt werden können. Diese und andere Ideen wurden bei der Neugestalt­ung der Prozesse in der Firma umgesetzt. Ein derart gutes Betriebskl­ima hilft aber nichts, wenn Aufträge wie für das auslaufend­e Airbus-Großraumfl­ugzeug A380 wegbrechen. Das ist natürlich ein bitterer Rückschlag für Liebherr. Doch Gropper ist überzeugt: „Wir können das durch Bestellung­en für andere Airbus-Flieger und einen großen Erfolg bei Boeing kompensier­en.“Die Allgäuer haben nämlich für das neue Langstreck­enFlugzeug der Amerikaner, die 777X, ein dickes Auftragspa­ket gewonnen. Am kleineren Boeing-Problem-Modell, der für Schlagzeil­en sorgenden 737 Max, sind sie nicht beteiligt. All das zeigt: In der Branche können schnell Turbulenze­n aufkommen. Besser, eine Firma ist wie Liebherr breit aufgestell­t.

Da fügt es sich gut, mit Vertretern der Familie Liebherr Gesellscha­fter im Rücken zu wissen, die ihre Geschäfte betont langfristi­g anlegen und „luftfahrta­ffin“sind, wie Gropper sagt. Der 1993 verstorben­e Hans Liebherr gab diese Strategie des langen Atems vor: „Mit festem Willen zu guter Arbeit kann man auch an fast unerreichb­ar scheinende Ziele gelangen.“Gropper beschreibt es so: „Durch die Familie sind wir mental gut abgestützt.“

 ?? Foto: Christoph Kölle ?? Josef Gropper ist einer der Geschäftsf­ührer von Liebherr-Aerospace. Unser Bild zeigt ihn im Gespräch mit der Mitarbeite­rin Anna-Katharina Rudhart im Lindenberg­er Werk. Der Standort ist stürmisch gewachsen.
Foto: Christoph Kölle Josef Gropper ist einer der Geschäftsf­ührer von Liebherr-Aerospace. Unser Bild zeigt ihn im Gespräch mit der Mitarbeite­rin Anna-Katharina Rudhart im Lindenberg­er Werk. Der Standort ist stürmisch gewachsen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany