Wo Liebherr-Aerospace aus Lindenberg überall mit an Bord ist
Unternehmen aus der Region Liebherr-Aerospace mit Sitz in Lindenberg ist einer der wichtigsten Zulieferbetriebe für die Luftfahrtindustrie. Ob Fahrwerke, Getriebe, Steuerungssysteme, Klimaanlagen oder Elektronik: Die Firma ist mit an Bord
Lindenberg Dass ein Unternehmer ein Visionär sei, wird oft behauptet und ist schnell aufgeschrieben. Doch Hans Liebherr war in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wirklich so eine prägende Persönlichkeit, die voraussah, welche Produkte die Menschen einmal brauchen. So erfand der 1915 in Kaufbeuren geborene Tüftler einen mobilen Turmdrehkran und den ersten Hydraulikbagger Europas. Ihm sei, sollte Professor Willy Weyres von der Universität Aachen einmal sagen, die Fähigkeit eigen gewesen, aus der Schar vorbeihuschender Ideen im entscheidenden Augenblick die richtige herauszugreifen.
So stieg der Mann, dessen Name vor allem für Bagger, Kräne und Kühlschränke steht, 1958 in die Luftfahrtindustrie ein, auch weil er glaubte, Baustellen könnten dereinst rationeller aus der Luft versorgt werden. Ein klarer Fall von Visionen eben. Dennoch ist sicher nur wenigen bekannt, dass die Firmengruppe Liebherr mit ihren gut 46000 Mitarbeitern und inzwischen mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz über eine starke und gerade in den vergangenen Jahrzehnten stürmisch gewachsene Luftfahrtsparte verfügt. Die größte Gesellschaft des Geschäftsbereichs sitzt in Lindenberg im Westallgäu, nicht weit von Lindau und damit dem Bodensee entfernt.
Die Kunden von Liebherr-Aerospace sind dafür umso bekannter: Das Unternehmen liefert nicht nur wichtige Bauteile an die großen Luftfahrtkonzerne Airbus und Boeing, sondern auch an den kanadischen Hersteller Bombardier oder russische wie chinesische FlugzeugProduzenten. Fertigte Liebherr in den 60er Jahren Teile in Lizenz und bewährte sich mit Reparaturarbeiten, werden heute mit Blick in die Berge komplexe Systeme entwickelt, gebaut und gewartet. Wer etwa bei einer Landung aus dem Fenster auf die Flügel schaut und sieht, wie die Landeklappen ausgefahren werden, hat es hier häufig mit Liebherr-Technik zu tun. Gleiches gilt etwa für die Fahrwerke – auch sie werden unter anderem für Boeing- und Airbus-Modelle von dem Unternehmen hergestellt.
Hinzu kommen Getriebe aller Art, Klimaanlagen, die beim Schwesterunternehmen LiebherrAerospace Toulouse SAS in Frankreich gefertigt werden, sowie Elektronik. Liebherr entwickelt auch die Software für all die Systeme in Lindau selbst. Flugzeugbauer wie Airbus und Boeing bekommen also ein Gesamtpaket – und schätzen genau das an dem Allgäuer Spezialisten.
Wenn Mitarbeiter von Flugzeugoder Hubschrauberherstellern nach Lindenberg oder in die Zweigwerke Friedrichshafen und Lindau kommen, wird es ihnen nicht viel anders ergehen als Journalisten, die durch den Betrieb geführt werden: Sie treten sozusagen einen Flug an, der mit Understatement beginnt und in technischer Raffinesse endet. Die vergleichbar kleine Empfangshalle in Holzoptik der 60er Jahre könnte auch den Weg zu einem mittelständischen Werkzeugbauer mit vielleicht 150 Mitarbeitern weisen. Noch deutet nichts darauf hin, dass die Firma an dem Standort seit 2010 mehr als 200 Millionen Euro investiert hat und heute allein in Lindenberg mehr als 2800 Mitarbeiter, darunter 120 Auszubildende und etwa 600 Ingenieure beschäftigt.
Josef Gropper, ein schlanker Mann, ist einer der Geschäftsführer und leitet mit Klaus Schneider und Arndt Schoenemann die Gesellschaft. Angesichts der vielen Ingenieure sagt er: „Wir sind eine kleine Universität.“Langsam, aber erst auf Nachfragen, fällt das Liebherr-typische Understatement von ihm ab. Es schimmert Stolz auf „Made in Süddeutschland“durch. Noch niemals, versichert der 65-Jährige, sei eine Liebherr-Klimaanlage in einem Flugzeug ausgefallen. Ebenso zuverlässig verhalte es sich mit den Fahrwerken. Die Geschäfte der Flugzeugsparte des Familienunternehmens laufen gut. Im Jahr 2018 erwirtschafteten weltweit 5800 Frauen und Männer, unter anderem auch an den Standorten in Brasilien, Bulgarien, USA, Singapur und Russland, konstant 1,38 Milliarden Euro für die Sparte Aerospace und Verkehrstechnik.
Der Versuch, aus Gropper herauszubekommen, wie schwarz die Zahlen nun seien, also wie viel Gewinn abfällt, bleibt erfolglos. Das ist wiederum typisch Liebherr. Dafür spricht der Geschäftsführer lieber über die Technik und vor allem die Menschen der „Unternehmensfamilie“, wie er immer wieder sagt, also über die vielen Liebherr-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Lindenberg wurde etwa ein Ventilblock für ein Airbus-Flugzeug im 3D-Druck entwickelt und gebaut. Gropper meint dazu nur: „Das 3D-Druck-Teil ist 35 Prozent leichter als ein herkömmliches und es fliegt auch im Gegensatz zu Produkten anderer Hersteller.“
Der Weg führt nun von einer geordneten Halle zur nächsten. Der Chef kennt viele Mitarbeiter mit Namen. „Grias di“, sagt er zu einem Facharbeiter und „Wie geht’s?“zu einer Reinigungskraft. Dann zeigt Gropper den Gästen den Arbeitsplatz von Anna-Katharina Rudhart, die ein Teil für den Airbus A320 sorgsam begutachtet. Der Geschäftsführer nickt und sagt: „Die Dame ist gut.“Wohin der seit mehr als 40 Jahren für Liebherr-Unternehmen arbeitende Mann auch bei seinem Rundgang kommt, begegnet ihm ein Lächeln der Mitarbeiter. Das kann nicht inszeniert sein. Doch Gropper legt Wert darauf, hier nur seinen Job zu machen.
Das Unternehmen macht jedenfalls vieles anders als andere Firmen. Auch Bewerber mit über 50, ja selbst mit 58 Jahren haben hier eine Chance. Gropper ist überzeugt: „In jeder Lebensphase hat man bestimmte Stärken. Wir können sowohl die Qualitäten eines 30-Jährigen als auch eines über 50-Jährigen in unserem Unternehmen brauchen und schätzen diese Qualitäten.“
Der Geschäftsführer ist auch einer der Vorreiter in der Region, wenn Migranten eine Chance im Arbeitsleben gegeben werden soll: „Sind sie einmal da, müssen wir sie integrieren. Das geht gar nicht anders.“Jedes Jahr bekommen im Schnitt zwei Flüchtlinge die Chance, in dem Hightech-Betrieb eine Lehre zu machen. Gropper will sich dafür aber gar nicht groß selbst als Menschenfreund loben. Er entpuppt sich nun als Philosoph mit einem Hang zur Pflicht-Ethik: „Das Leben ist
Mitarbeiter bauen Wunsch-Arbeitsplätze mit Kartons auf
eigentlich einfach. Zwischen Wollen und Tun liegen Welten. Also tun wir etwas.“
Das etwas andere Allgäuer Unternehmen bezieht auch die Mitarbeiter früh in Entscheidungen ein. Sie konnten ihre Wunsch-Arbeitsplätze selbst mit Kartons aufbauen. Dabei kam heraus, dass viele Beschäftigte gerne Tische hätten, die in der Höhe verstellt werden können. Diese und andere Ideen wurden bei der Neugestaltung der Prozesse in der Firma umgesetzt. Ein derart gutes Betriebsklima hilft aber nichts, wenn Aufträge wie für das auslaufende Airbus-Großraumflugzeug A380 wegbrechen. Das ist natürlich ein bitterer Rückschlag für Liebherr. Doch Gropper ist überzeugt: „Wir können das durch Bestellungen für andere Airbus-Flieger und einen großen Erfolg bei Boeing kompensieren.“Die Allgäuer haben nämlich für das neue LangstreckenFlugzeug der Amerikaner, die 777X, ein dickes Auftragspaket gewonnen. Am kleineren Boeing-Problem-Modell, der für Schlagzeilen sorgenden 737 Max, sind sie nicht beteiligt. All das zeigt: In der Branche können schnell Turbulenzen aufkommen. Besser, eine Firma ist wie Liebherr breit aufgestellt.
Da fügt es sich gut, mit Vertretern der Familie Liebherr Gesellschafter im Rücken zu wissen, die ihre Geschäfte betont langfristig anlegen und „luftfahrtaffin“sind, wie Gropper sagt. Der 1993 verstorbene Hans Liebherr gab diese Strategie des langen Atems vor: „Mit festem Willen zu guter Arbeit kann man auch an fast unerreichbar scheinende Ziele gelangen.“Gropper beschreibt es so: „Durch die Familie sind wir mental gut abgestützt.“