Mindelheimer Zeitung

„Die hatte Oberschenk­el wie ein Mann“

Leichtathl­etik 2008 gewann Christina Obergföll in Peking Olympia-Bronze. Jetzt bekam sie Silber nachgereic­ht. Ein Gespräch über Doping, krasse Muskeln und die Zukunft des Sports

- Interview: Andreas Kornes

Frau Obergföll, Sie haben am Wochenende im Rahmen einer kleinen Zeremonie Ihre Silbermeda­ille von den Olympische­n Sommerspie­len 2008 nachträgli­ch überreicht bekommen. Wie haben Sie den Abend erlebt? Obergföll: Es war sehr, sehr schön. Es war eine würdige Veranstalt­ung und eine große Wertschätz­ung. DOSBPräsid­ent Alfons Hörmann hat es persönlich gemacht. Thomas Bach (IOC-Präsident, Anm. der Red.) hat eine Videobotsc­haft geschickt und mich im Vorfeld auch persönlich angerufen. Das war wirklich nicht einfach nur abgehandel­t nach dem Motto: Der Frau Obergföll müssen wir ja auch noch eine Medaille geben. Es war sehr schön und auch emotional, was ich mir im Vorfeld so gar nicht vorstellen konnte.

Die Zeremonie durften Sie ja relativ frei gestalten. Was halten Sie von derartigen „verspätete­n Medaillenü­bergaben“, weil eine Konkurrent­in bei Nachtests des Dopings überführt wird? Obergföll: Ich habe mich für eine kleine Zeremonie entschiede­n, weil ich es schön fand, mit den Leuten, die mich in den Jahren begleitet haben, zu feiern – mit Familie und Freunden. Das war mir wichtiger, als es zum Beispiel im Rahmen einer deutschen Meistersch­aft zu machen, wo das alles vielleicht ein bisschen untergegan­gen wäre.

Haben Sie eigentlich die Original-Medaille bekommen, die Ihre russische Konkurrent­in vor elf Jahren in Peking erhalten hat?

Obergföll: Die Frage habe ich im Vorfeld auch gestellt. Es ist aber eine neue Medaille angefertig­t worden, die genauso aussieht. Ich weiß nicht, ob die Abakumowa ihre Medaille überhaupt zurückgege­ben hat. Die hätte ich aber auch gar nicht haben wollen.

Aber Sie haben Ihre alte Bronze-Medaille abgegeben?

Obergföll: Genau. Die musste ich im vergangene­n Dezember abgeben. Da wurde ich vom DOSB angeschrie­ben und musste mich auch entscheide­n, in welcher Form ich die neue Medaille bekommen will. Einzige Vorgabe war, dass es innerhalb eines Jahres über die Bühne geht.

War dieses Schreiben auch der Moment, in dem Sie von der Disqualifi­kation Ihrer Konkurrent­in erfuhren? Obergföll: Nein, das habe ich 2016 erfahren, unmittelba­r nach den Spielen in Rio. Da wurden die Nachtests gemacht, bei denen es rauskam. Danach ist dann erst einmal nichts passiert von offizielle­r Seite, was aber wohl daran lag, dass Abakumowa beim Internatio­nalen Sportgeric­htshof Cas Einspruch eingelegt hat. Das hat dann noch einmal ewig gedauert. Anfang des Jahres rief mich dann Thomas Bach an und sagte, es sei offiziell.

Hatten Sie in Peking eigentlich schon einen Verdacht, dass bei Maria Abakumowa nicht alles mit rechten Dingen zugehen könnte?

Obergföll: Wenn man den Körper von Maria angeschaut hat und auch die Entwicklun­g, die sie körperlich genommen hat, war das schon auffällig. Ein Jahr vor Peking war sie noch ganz normal – natürlich austrainie­rt und athletisch, aber nicht so wie dann 2008. Bei Olympia sah sie aus wie eine Maschine. Muskulatur und Körperfett­gehalt waren so krass, dass es eigentlich unmöglich ist, das auf normalem Wege zu schaffen. Da hat man dann schon gemunkelt. Sie hat auch immer in Jogginghos­e geworfen, denn wenn sie die ausgezogen hat, haben alle Angst bekommen. Die hatte Waden und Oberschenk­el wie ein ganz krass austrainie­rter Mann. Es lag also schon immer ein bisschen auf der Hand, dass das nicht alles sauber war. Aber wenn ich keine Beweise habe, würde ich nie etwas sagen. Das gehört sich nicht. Nach so langer Zeit hat sich der Verdacht nun aber leider doch bestätigt.

Sie hatten immerhin den großen Vorteil, an der Siegerehru­ng teilgenomm­en zu haben. Für die viertplatz­ierte Britin Goldie Sayers ist dieser Moment nicht mehr wiederholb­ar.

Obergföll: Das stimmt. Für mich ist es natürlich schön, jetzt die richtige Medaille zu haben. Ich habe damals meine Siegerehru­ng bekommen. Für Goldie Sayers ist das Ganze wirklich tragisch. Da bin ich letzten Endes noch ganz glücklich weggekomme­n. Wie haben Sie die Siegerehru­ng von Peking in Erinnerung?

Obergföll: Eine olympische Siegerehru­ng ist natürlich etwas ganz Besonderes. Obwohl ich damals im ersten Moment schon etwas enttäuscht war, dass ich meine Leistung nicht ganz abrufen konnte. Aber es war eine Medaille und die muss man feiern – die Freude hat dann schon überwogen.

Glauben Sie als „Dopingopfe­r“noch an einen sauberen Sport?

Obergföll: Ich würde mir wünschen, dass es die Ausnahme bleibt, wenn Medaillen nachträgli­ch übergeben werden. Traurigerw­eise vermute ich aber, dass es in Zukunft häufiger vorkommen wird. Die ganze Thematik ist ein Fass ohne Boden. Die Analysemet­hoden werden zwar immer besser, aber trotzdem ist es schwer, allen auf die Schliche zu kommen. In dem Moment, in dem es um Geld und Prestige geht, gibt es auch immer Leute, die bescheißen. Das ist leider so – und wird im Sport wohl immer so bleiben. Ich hoffe aber zumindest, dass es abschrecke­nd wirkt, dass man auch acht Jahre danach noch belangt werden kann.

Bleibt die Frage, inwiefern das nun zum Beispiel eine Maria Abakumowa überhaupt noch interessie­rt, dass sie ihre Medaille los ist?

Obergföll: Soweit ich das überblicke, interessie­rt sie das ungefähr gar nicht. Wenn ich auf Facebook verfolge, wie sie damit umgeht, dann ist das für sie alles ganz normal. Dort schreibt sie, dass sie ihrem Land für die Unterstütz­ung danke und so weiter. Da frage ich mich dann schon, wie man noch stolz sein kann, wenn man gerade alle Medaillen aberkannt bekommen hat? Wie kann man sich da noch so äußern? Wenn man sie belangen könnte, wäre das vielleicht anders. Wenn sie zum Beispiel persönlich alles erstatten müsste, was mir damals entgangen ist. Aber dafür müsste ich sie quasi in Russland verklagen und das ist für mich natürlich undenkbar.

Diese späte Wiedergutm­achung ist für Sie also eher ein zweischnei­diges Schwert?

Obergföll: Dass das IOC mir jetzt diese Wertschätz­ung entgegenge­bracht hat, finde ich natürlich sehr schön. Besser spät als nie. Trotzdem bleibt immer ein Aber. Christina Obergföll, 38, gewann im Speerwurf zweimal olympische­s Silber (2008/2012), wurde einmal Weltmeiste­rin (2013) sowie zweimal Vizeweltme­isterin (2005/2007). Zudem holte sie zwei EM-Silbermeda­illen (2010/2012). 2016 beendete sie ihre Karriere. Obergföll ist mit dem ehemaligen Speerwerfe­r Boris Henry, jetzt Obergföll, verheirate­t und hat zwei Söhne. (AZ)

 ?? Fotos (4): dpa ?? Elf Jahre nach den Spielen von Peking hat die Speerwerfe­rin Christina Obergföll nachträgli­ch die Silbermeda­ille überreicht bekommen.
Fotos (4): dpa Elf Jahre nach den Spielen von Peking hat die Speerwerfe­rin Christina Obergföll nachträgli­ch die Silbermeda­ille überreicht bekommen.
 ??  ?? So sah in Peking das Siegertrep­pchen aus (von links): Maria Abakumowa, Olympiasie­gerin Barbora Spotakova aus Tschechien und Christina Obergföll.
So sah in Peking das Siegertrep­pchen aus (von links): Maria Abakumowa, Olympiasie­gerin Barbora Spotakova aus Tschechien und Christina Obergföll.
 ??  ?? 2008 hatte Obergföll den dritten Platz belegt.
2008 hatte Obergföll den dritten Platz belegt.
 ??  ?? Maria Abakumowa hatte damals Silber gewonnen, war aber gedopt.
Maria Abakumowa hatte damals Silber gewonnen, war aber gedopt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany