„Der Wähler riecht den Angstschweiß“
Wahlnachlese Wie heimische Politiker den Wahlausgang in Brandenburg und Sachsen bewerten
Mindelheim Rund jeder Vierte hat bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg AfD gewählt. Der CSU-Landtagsabgeordnete und frühere Staatsminister Franz Josef Pschierer (CSU) aus Mindelheim macht als Ursache für die östlichen Bundesländer einen massiven Strukturwandel aus. Während Städte wie Dresden oder Erfurt boomten, fühlten sich die Menschen in ländlichen Regionen abgehängt. Das Wahlergebnis bilde aber auch die Unzufriedenheit mit der Großen Koalition in Berlin ab. Pschierer hat den Eindruck, diese politische Ehe werde nur noch von der „Angst um den Verlust des Mandats“zusammengehalten. „Der Wähler riecht den Angstschweiß“, formuliert Pschierer.
Inhaltlich sei nicht mehr viel möglich. Allein die Vorschläge in den vergangenen Wochen reichten von einer Kohlendioxidsteuer, Fleischsteuer bis hin zu einer Kerosinund Vermögenssteuer. Ein Konzept sei nicht erkennbar.
Es werde immer schwieriger, eine Regierung zu bilden, weil oft drei Partner notwendig sind. Das führe letztlich dazu, dass man sich nur auf den kleinesten gemeinsamen Nenner verständigen könne.
Für den Umgang mit der AfD sei noch keine Linie gefunden. Die Verharmlosung der Verbrechen des Dritten Reiches sei für ihn eine Brandmauer. „Alle, die sich hier nicht klar vom Nationalsozialismus distanzieren, werde ich auch in Zukunft persönlich angehen“, sagte Pschierer.
Der AfD-Kreisvorsitzende Christoph Maier aus Memmingen zeigte sich hocherfreut über das Abschneiden. „Wir sind stärkste Opposition“, sagte er. Es sei der richtige Weg, sich jetzt nicht als Juniorpartner in Regierungsverantwortung nehmen zu lassen. Wenn die Zeit reif sei, werde die AfD regieren. Die übrigen Parteien belegte er mit dem Begriff „Blockparteien“, weil sie zusammenarbeiteten wie zu DDRZeiten. Der Erfolg der AfD sei der Geschlossenheit zu verdanken. „Das wünsche ich mir auch für Bayern“.
Die SPD-Unterbezirksvorsitzende Petra Beer aus Memmingen betonte, es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, „um einen weiteren Rechtsruck in unserem Land zu vermeiden.“Das Abschneiden der SPD sei in beiden Ländern besser ausgefallen als in den Prognosen vorhergesagt.
Die AfD habe Positionen zu sehr begrenzten Themen wie Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung, „die ich persönlich und auch die SPD sicher nicht teilen“, so Beer weiter. In weiten Teilen habe die Koalition in Berlin, dank der SPD, erfolgreich agiert (Parität in der Krankenversicherung, gute KitaGesetz, Mietpreisbremse). „Deshalb sehe ich mit Optimismus in die verbleibende Legislaturperiode.“
Viele Menschen fühlten sich abgehängt, besonders im Osten Deutschlands. Die Politik müsse sich intensiv mit den Sorgen der Bürger auseinandersetzen.
Der Kreisvorsitzende der Grünen, Daniel Pflügl, stellt fest, dass die AfD – ob Brandenburg, Sachsen oder im Unterallgäu – dort gewählt werde, wo infrastrukturelle, aber auch gesellschaftliche und wirtschaftliche Defizite zu verzeichnen seien. „Das sind Regionen, die schlecht oder gar nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht werden können, in welchen Dorfläden und Dorfwirtschaften schließen und der letzte Milchviehbetrieb im Ort den Betrieb einstellt.“
Während Politiker mit erhobenem Zeigefinger dazu aufrufen, den Diesel in der Garage stehen zu lassen, fragt sich die 22-jährige Krankenschwester aus Markt Wald, wie sie sonntags zur Nachtschicht nach Mindelheim kommen, oder sich von ihrem knappen Verdienst plötzlich ein E-Auto für 35.000 Euro kaufen soll“, so Pflügl.
Die AfD habe es verstanden, den Frust und das Gefühl des Abgehängtseins in einfachste Parolen zu verpacken. Sie liefere mit dem Asylbewerber sogar noch jemandem, der angeblich an allem Schuld trage und dem Frau Merkel angeblich alles hinterherwerfe. Vor diesem Hintergrund hält es Pflügl für falsch, sich mit der AfD an sich auseinanderzusetzen, oder gar deren Stil zu übernehmen, wie das Horst Seehofer und Markus Söder vergangenes Jahr in der Hoffnung getan haben, Wähler vom rechten Rand zu beeindrucken.
Pflügl glaubt, dass der ländliche Raum durch den rasanten gesellschaftlichen Wandel und den daraus resultierenden Forderungen geradezu überfahren werde, ohne, dass die Politik es schaffe, praktikable Lösungen und eine lebenswerte Zukunft für die Menschen dort anzubieten.
Der Landtagsabgeordnete der Freien Wähler, Bernhard Pohl, freut sich über den Wahlerfolg seiner Partei. Die Bindungskraft der großen Volksparteien nehme in einer pluralistischen Gesellschaft zwangsläufig ab. Das sei die große Chance der Freien Wähler.
Den Aufstieg der AfD nannte Pohl besorgniserregend. Gefragt sei nun ein intensiver Austausch mit den Bürgern vor Ort. Die Parteien müssten auch wieder unterscheidbarer werden. Zum Glück habe wenigstens die Linkspartei erheblich an Stimmen eingebüßt, so Pohl.