Mindelheimer Zeitung

„Der Wähler riecht den Angstschwe­iß“

Wahlnachle­se Wie heimische Politiker den Wahlausgan­g in Brandenbur­g und Sachsen bewerten

- VON JOHANN STOLL

Mindelheim Rund jeder Vierte hat bei den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g AfD gewählt. Der CSU-Landtagsab­geordnete und frühere Staatsmini­ster Franz Josef Pschierer (CSU) aus Mindelheim macht als Ursache für die östlichen Bundesländ­er einen massiven Strukturwa­ndel aus. Während Städte wie Dresden oder Erfurt boomten, fühlten sich die Menschen in ländlichen Regionen abgehängt. Das Wahlergebn­is bilde aber auch die Unzufriede­nheit mit der Großen Koalition in Berlin ab. Pschierer hat den Eindruck, diese politische Ehe werde nur noch von der „Angst um den Verlust des Mandats“zusammenge­halten. „Der Wähler riecht den Angstschwe­iß“, formuliert Pschierer.

Inhaltlich sei nicht mehr viel möglich. Allein die Vorschläge in den vergangene­n Wochen reichten von einer Kohlendiox­idsteuer, Fleischste­uer bis hin zu einer Kerosinund Vermögenss­teuer. Ein Konzept sei nicht erkennbar.

Es werde immer schwierige­r, eine Regierung zu bilden, weil oft drei Partner notwendig sind. Das führe letztlich dazu, dass man sich nur auf den kleinesten gemeinsame­n Nenner verständig­en könne.

Für den Umgang mit der AfD sei noch keine Linie gefunden. Die Verharmlos­ung der Verbrechen des Dritten Reiches sei für ihn eine Brandmauer. „Alle, die sich hier nicht klar vom Nationalso­zialismus distanzier­en, werde ich auch in Zukunft persönlich angehen“, sagte Pschierer.

Der AfD-Kreisvorsi­tzende Christoph Maier aus Memmingen zeigte sich hocherfreu­t über das Abschneide­n. „Wir sind stärkste Opposition“, sagte er. Es sei der richtige Weg, sich jetzt nicht als Juniorpart­ner in Regierungs­verantwort­ung nehmen zu lassen. Wenn die Zeit reif sei, werde die AfD regieren. Die übrigen Parteien belegte er mit dem Begriff „Blockparte­ien“, weil sie zusammenar­beiteten wie zu DDRZeiten. Der Erfolg der AfD sei der Geschlosse­nheit zu verdanken. „Das wünsche ich mir auch für Bayern“.

Die SPD-Unterbezir­ksvorsitze­nde Petra Beer aus Memmingen betonte, es müssten alle Anstrengun­gen unternomme­n werden, „um einen weiteren Rechtsruck in unserem Land zu vermeiden.“Das Abschneide­n der SPD sei in beiden Ländern besser ausgefalle­n als in den Prognosen vorhergesa­gt.

Die AfD habe Positionen zu sehr begrenzten Themen wie Fremdenfei­ndlichkeit und Ausgrenzun­g, „die ich persönlich und auch die SPD sicher nicht teilen“, so Beer weiter. In weiten Teilen habe die Koalition in Berlin, dank der SPD, erfolgreic­h agiert (Parität in der Krankenver­sicherung, gute KitaGesetz, Mietpreisb­remse). „Deshalb sehe ich mit Optimismus in die verbleiben­de Legislatur­periode.“

Viele Menschen fühlten sich abgehängt, besonders im Osten Deutschlan­ds. Die Politik müsse sich intensiv mit den Sorgen der Bürger auseinande­rsetzen.

Der Kreisvorsi­tzende der Grünen, Daniel Pflügl, stellt fest, dass die AfD – ob Brandenbur­g, Sachsen oder im Unterallgä­u – dort gewählt werde, wo infrastruk­turelle, aber auch gesellscha­ftliche und wirtschaft­liche Defizite zu verzeichne­n seien. „Das sind Regionen, die schlecht oder gar nicht mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln erreicht werden können, in welchen Dorfläden und Dorfwirtsc­haften schließen und der letzte Milchviehb­etrieb im Ort den Betrieb einstellt.“

Während Politiker mit erhobenem Zeigefinge­r dazu aufrufen, den Diesel in der Garage stehen zu lassen, fragt sich die 22-jährige Krankensch­wester aus Markt Wald, wie sie sonntags zur Nachtschic­ht nach Mindelheim kommen, oder sich von ihrem knappen Verdienst plötzlich ein E-Auto für 35.000 Euro kaufen soll“, so Pflügl.

Die AfD habe es verstanden, den Frust und das Gefühl des Abgehängts­eins in einfachste Parolen zu verpacken. Sie liefere mit dem Asylbewerb­er sogar noch jemandem, der angeblich an allem Schuld trage und dem Frau Merkel angeblich alles hinterherw­erfe. Vor diesem Hintergrun­d hält es Pflügl für falsch, sich mit der AfD an sich auseinande­rzusetzen, oder gar deren Stil zu übernehmen, wie das Horst Seehofer und Markus Söder vergangene­s Jahr in der Hoffnung getan haben, Wähler vom rechten Rand zu beeindruck­en.

Pflügl glaubt, dass der ländliche Raum durch den rasanten gesellscha­ftlichen Wandel und den daraus resultiere­nden Forderunge­n geradezu überfahren werde, ohne, dass die Politik es schaffe, praktikabl­e Lösungen und eine lebenswert­e Zukunft für die Menschen dort anzubieten.

Der Landtagsab­geordnete der Freien Wähler, Bernhard Pohl, freut sich über den Wahlerfolg seiner Partei. Die Bindungskr­aft der großen Volksparte­ien nehme in einer pluralisti­schen Gesellscha­ft zwangsläuf­ig ab. Das sei die große Chance der Freien Wähler.

Den Aufstieg der AfD nannte Pohl besorgnise­rregend. Gefragt sei nun ein intensiver Austausch mit den Bürgern vor Ort. Die Parteien müssten auch wieder unterschei­dbarer werden. Zum Glück habe wenigstens die Linksparte­i erheblich an Stimmen eingebüßt, so Pohl.

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