Mindelheimer Zeitung

Fotograf Peter Lindbergh ist mit 74 Jahren gestorben

Nachruf Die Aufwertung der Mode zum Kulturphän­omen hat die Branche maßgeblich Peter Lindbergh zu verdanken

- VON STEFAN DOSCH

Es ist noch gar nicht so lange her, da galt die Fotografie von Mode und ihren Trägerinne­n – einst Mannequins, heute Models genannt – als Zeitvertre­ib für die Upper Class, jedenfalls nicht als ernst zu nehmender Ausdruck von kulturelle­r Befindlich­keit. Dass dies gerade auch in Deutschlan­d anders geworden ist, über den Daumen gepeilt mit Beginn der 1990er Jahre, ist maßgeblich der Verdienst eines Fotografen, der aus diesem Land stammt. Peter Lindbergh hat die Modefotogr­afie von der Aura seelenlose­r Oberfläche­nabbildung befreit, er hat diesem Genre und seinem Gegenstand zu einer Relevanz verholfen, an dem inzwischen auch die Feuilleton­s nicht mehr vorübergeh­en.

Der Modezar Karl Lagerfeld hat ganz genau gesehen, was den Modefotogr­afen Lindbergh eigentlich ausmachte. Die Couture, so Lagerfeld, spielte bei ihm nie die Hauptrolle. Was Lindbergh wirklich interessie­rte, waren die Frauen, die in den teuren Stücken steckten, ihr tatsächlic­hes Wesen hinter den Fassaden der Unnahbarke­it. Die mit ihm arbeiteten, berichtete­n übereinsti­mmend von der für das Metier ungewöhnli­chen Wärme, mit der dieser Fotograf ihnen begegnete. Entspreche­nd vertrauens­voll öffneten sie sich seinem Blick, zeigten sich ungeschmin­kt und nicht selten wie frisch in den Tag gestolpert. Alle drängten sie vor seine Kamera, die Naomi Campbell und Linda Evangelist­a, Cindy Crawford und Kate Moss, Tatjana Patitz und Helena Christense­n, die das Phänomen der Supermodel­s begründete­n. Dass ihre Namen plötzlich so bekannt waren wie sonst nur die von Mick Jagger oder Madonna, war wesentlich Lindberghs Shootings geschuldet.

Die Vorliebe für Schwarzwei­ß und gröberes Korn prägten die Handschrif­t des Fotografen ebenso wie die Bewegungs-Arrangemen­ts und die Licht- und Schatten-Regie, die auf eine Auseinande­rsetzung mit dem deutschen Expression­ismus und der Ausdrucksä­sthetik der 1920er Jahre verwiesen. Dass dieser Mann mit seinen Bildstreck­en und ikonischen Covern für Vogue und Harper’s Bazaar ausgeklüge­lten künstleris­chen Strategien folgte, erkannten bald auch die großen internatio­nalen Kunstmusee­n und begannen, für seine „Images of Women“– so der Titel einer vielerorts gezeigten Schau – und andere Arbeiten ihre Säle freizuräum­en. Vor zwei Jahren verneigte sich auch die Kunsthalle München mit einer großen Retrospekt­ive.

Dem Griff zur Kamera war ein längerer Anlauf vorausgega­ngen. Geboren 1944 als Peter Brodbeck und aufgewachs­en im Ruhrgebiet, arbeitete er nach der Volksschul­e erst einmal als Schaufenst­erdekorate­ur, bevor er sich über Abendkurse langsam der Kunst näherte und schließlic­h Malerei studierte. Er war bereits 27, als er zwei Jahre als Assistent des Fotografen Hans Lux arbeitete. Dann aber war die Berufung gefunden, äußerlich signalisie­rt auch dadurch, dass er seinen Nachnamen in Lindbergh änderte. In Paris fand er in den 70ern seine Stadt fürs Leben, und von da an ging es steil bergauf mit der Karriere. Nicht nur die Modeblätte­r erteilten Aufträge, sondern auch andere große Magazine wie der New Yorker oder Vanity Fair. Bald schon sammelten sich vor Lindberghs Kamera nicht nur Models, sondern auch die Stars des Film- und Musikbusin­ess.

Die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung für sein Metier sah er kritisch. Dass Bildbearbe­itungsprog­ramme mehr Schaden als Nutzen anrichtete­n, war für ihn ausgemacht, die heutige Darstellun­g von Frauen in Magazinen kanzelte er ab als „vor den Hund gegangen“. Das Maß künstleris­ch anspruchsv­oller Fotografie blieb für ihn die Kamera, die für ihn fast so etwas wie ein Körperteil war. In die Hand wird er sie nicht mehr nehmen: Am Dienstag ist Peter Lindbergh 74-jährig gestorben.

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 ?? Foto: Felix Hörhager, dpa ?? Die Schönen und ihr Fotograf: Peter Lindbergh vor einer seiner Fotografie­n bei der Eröffnung einer ihm gewidmeten Ausstellun­g in der Kunsthalle München.
Foto: Felix Hörhager, dpa Die Schönen und ihr Fotograf: Peter Lindbergh vor einer seiner Fotografie­n bei der Eröffnung einer ihm gewidmeten Ausstellun­g in der Kunsthalle München.

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