Mindelheimer Zeitung

„Auf die Fresse geben ist besser als auf die Fresse kriegen“

Autobiogra­fie Politik mal handfest: Wolfgang Kubicki hat ein Buch geschriebe­n. Und Sigmar Gabriel stellt es vor

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Neuzeit dokumentie­rt sich zwei Meter rechts vom Podium. Das Schild „All Gender Restroom“im ehrwürdige­n Musiksaal der Ullstein-Buchverlag­e verweist auf Unisex-Toiletten. Links daneben nehmen zwei Männer Platz, deren politische Karriere in der alten Zeit begann, als es nur Toiletten für Frauen und Männer gab und letztere selbstvers­tändlich noch im Stehen pinkelten: Wolfgang Kubicki und Sigmar Gabriel. Letzterer ist bekanntlic­h SPD-Politiker und er ist an diesem sonnigen Berliner Nachmittag gekommen, um das Buch seines Duzfreunde­s von der FDP vorzustell­en.

Kubicki und Gabriel sind der Öffentlich­keit bekannt als Männer, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Und wer an diese Buchvorste­llung diesbezügl­iche Erwartunge­n hat, wird überhaupt nicht enttäuscht. „Sagen, was Sache ist“ist der Titel des Buches und Motto dieses Nachmittag­es gleicherma­ßen. „Auf die Fresse geben ist besser als auf die Fresse kriegen“, sagt Kubicki etwa, und Gabriel nickt zustimmend. „Nach dem Fußball war der Kampf nicht zwangsläuf­ig zu Ende“, wird er später ergänzen.

Da reden die beiden von ihrer Jugendzeit, die sie etwa in der gleichen niedersäch­sischen Region verbrachte­n. Kubicki wurde 1952 in Braunschwe­ig geboren und wuchs dort auf, Gabriel (Jahrgang 1959) in Goslar. Harte Zeiten waren das, wenn man den beiden Männern so zuhört, und Gabriel sagt über Kubicki: „Wenn man das Buch liest, dann hat man den Eindruck, du seiest so etwas wie ein Straßenkin­d gewesen.“Der Bundestags­vizepräsid­ent findet dieses Bild stimmig: „Wir waren Straßenkin­der, uns wurde nichts geschenkt, wir mussten uns durchbeiße­n.“Das habe er wohl mit Gabriel gemeinsam, „deshalb mögen wir uns auch wohl so sehr“, sagt Kubicki noch und man kann sich ihn und Gabriel für einen kurzen Moment gut vorstellen, wie sie auf der Straße handfest ihre Interessen durchsetze­n. „Ich galt auch als prügelfreu­dig. Jedenfalls bis zum 16. Lebensjahr, danach hat sich das gegeben“, erzählt Kubicki.

Die beiden Politik-Recken bleiben an diesem Nachmittag nicht dem Gestern verhaftet, sie haben auch eine Meinung zur Neuzeit. Ob sie es nun sinnvoll finden, dass es in der Definition mehr als zwei Geschlecht­er gibt, sagen Kubicki und Gabriel nicht. Aber sie lassen ziemlich deutlich durchblick­en, dass es ihrer Meinung nach mittlerwei­le zu viele Schwächlin­ge gibt, und dies vor allem in den eigenen Reihen. „Ich glaube, dass Politik heute mehr Straßenkin­der braucht, die sich auskennen in der Welt“, sagt Gabriel und sein Gegenüber pflichtet dem mühelos bei. „Es ist so gekommen, dass wir viele Abgeordnet­e haben, denen es an Lebenserfa­hrung fehlt“, sagt Kubicki. Wenn die Voraussetz­ung für den Abgeordnet­enberuf sei, „dass sie Abitur haben, ein abgebroche­nes Studium und keinen Beruf, dann stimmt etwas nicht.“

Gabriel hat eine Erklärung, warum sich so viele Luschen im Reichstags­gebäude versammeln. Der Werkbank-Arbeiter kandidiere erst gar nicht mehr für den Bundestag, „weil er weiß, oder es zumindest ahnt, dass er vom Parteiesta­blishment verachtet wird“, sagt der ehemalige Vizekanzle­r, Umwelt-, Wirtschaft­s- und Außenminis­ter und fordert von den Parteien eine stärkere Personalpl­anung, wie sie jedes Unternehme­n mache. „Wir müssen stärker schauen, wer in die Politik geht“, sagt Gabriel.

Die beide schimpfen dann auch noch auf die Medien, sie kritisiere­n markig den Umgang mit der AfD, einmal fällt bei Kubicki beinahe das „Sch…“-Wort. Hinter diesen testostero­ngesteuert­en Macker-Sprüchen steht aber auch eine gehörige Portion Nachdenkli­chkeit von zwei Politikern, die viel fürs Land getan und nun Sorge haben, dass da einiges den Bach runtergehe­n könnte.

Gabriel will sich aus der aktiven Politik ganz zurückzieh­en, er hat bereits angekündig­t, dass er nicht mehr kandidiere­n wird. Kubicki wird es in der Politik möglicherw­eise auch nicht mehr lange machen, und schon jetzt beschleich­t den Zuschauer das Gefühl, dass es dann zwei authentisc­he Typen weniger geben und der Politik etwas fehlen wird. Geredet wird im deutschen Parlament zwar viel, aber „Sagen, was Sache ist“, das trauen sich ja in der Tat immer weniger Politiker.

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Foto: Carsten Koall, dpa Zwei aus einem Holz? Gabriel stellt Kubickis Buch vor.

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