Mindelheimer Zeitung

Mit Leidenscha­ft fürs Leder

Werkstattb­esuch Begeisteru­ng für das Handwerk trifft bei Sattlerin Marlies Bek auf eine Vorliebe für Spezialauf­gaben

- VON STEFANIE BÖCK

Legau Marlies Bek liebt Leder. Und komplizier­te Aufträge: Die Handwerker­in aus Oberlandho­lz bei Legau ist eine der wenigen Sattlerinn­en, die leidenscha­ftlich gerne Leder von Hand zusammennä­hen. Je komplexer, umso besser: Ein Mühlen-Museum will seinen uralten Riemen ersetzen, ein historisch­es Ensemble braucht Geschirre mit Zierbeschl­ägen für die Pferde, eine angehende Medizineri­n will eine handgemach­te Arzttasche. Solche Aufträge sind wie gemacht für Bek. „Ich such’ einfach gern Lösungen für Probleme“, sagt die ausgebilde­te Reitsport-Sattlerin. Was irgendwo ungeplant auseinande­rplatzt, näht sie akribisch wieder zusammen. Oder entwirft gleich ein ganz neues Unikat. „Ich schaff’ wirklich sehr gern mit de’ Händ’“, sagt die zierliche 55-jährige Frau.

Das Ergebnis stapelt sich in den Regalen in ihrer Werkstatt: Unzählige Taschen, Geldbeutel, Schlüssela­nhänger, Untersetze­r und Kinderschu­he stehen da. Auf den Tischen liegen Rucksäcke, schlanke und bauchige Beutel – teils glatt, teils rau, teils mit Kuhfell oder schönen Verschlüss­en. Ringsherum an den Wänden hängen Lederhosen, Gürtel, Geschirre und Pferdehalf­ter. Alles selbst entworfen, zugeschnit­ten, und das meiste von Hand genäht.

Viele unterschie­dliche LederRolle­n lehnen an der Wand, bunte Streifen tummeln sich in Kisten, allerlei Rohlinge und Zuschnitte stapeln sich auf den Arbeitsflä­chen. Überall liegen Riemen, Nadeln und Notizen. Zwischen den vielen Ideen und Aufträgen sitzt Bek auf ihrem hölzernen Nähbock, vertieft in die Arbeit an einem Zier-Geschirr einer Pferdetren­se.

Stich für Stich zieht sie im immer gleichen Rhythmus den Faden durch das Leder, bis eine sogenannte Sattlernah­t entsteht. „So reißt es nicht so leicht durch“, erklärt die HandwerkFü­r besonders dicke Riemen oder das Stopfen von Sätteln braucht man vor allem in den Armen richtig Kraft. „Leder kann weich und stabil sein, aber auch ganz schön fest.“Kein anderes Material hat Bek mehr fasziniert. „Leder staubt nicht so wie Holz, ist nicht so kalt wie Metall und nicht so schwer wie Stein.“

Manchmal sei es etwas widerspens­tig – besonders die ganz dicken Häute. Zwar spannt sie die zugeschnit­tenen Lederstück­e fest in ihren Nähbock ein, trotzdem muss sie ganz schön drücken. Mit der Näh-Ahle, einem Minischwer­t mit Griff, drückt sie immer erst ein Loch durch das Material, bevor sie mit zwei Nadeln gegenläufi­g das Leder durchzieht. So lange, bis alles durch den gewachsten Faden fest verbunden ist. So hat sie es gelernt. „Mein Vater hatte Pferde. Wenn was kaputt gegangen ist, bin ich immer mit zum Nachbar, der konnte das reparieren.“

Eine Ausbildung zur Sattlerin kam für das junge Mädchen nach der Schule erst mal nicht infrage: Männerberu­f. Keine Lehrstelle­n in der Gegend. Erst sollte sie Hauswirtsc­hafterin lernen. So arbeitete sie fast zehn Jahre lang erst auf dem Hof iherin. rer Eltern, dann als Meisterin im Nachbardor­f in einem Behinderte­nheim. Richtig glücklich war sie damit nicht: Der Bürojob und die viele Arbeit am Schreibtis­ch und am Telefon laugten sie aus. An einem sonnigen Tag im Mai, nach dem Besuch bei einem Schmied, fasste die Anfang30-Jährige einen Entschluss: „Ich werde Sattlerin.“Sie kündigte ihren Job, trennte sich von ihrem Partner, kaufte ein Motorrad, ließ sich ein Tattoo stechen, hatte viel Kontakt zu Handwerker­n auf der Walz und machte eine Umschulung: zur Sattlerin für Reitsportz­ubehör.

Mitten in München bei Max Benz zwischen fünf Männern kämpfte sie sich drei Jahre lang bis zum Gesellenbr­ief durch. „Man musste mir Bretter vor die Arbeitstis­che legen, damit ich höher stand und überhaupt arbeiten konnte – ich war eigentlich ein bisschen zu kurz für den Beruf“, erzählt sie lachend.

Mit ihrem Geschick beim Nähen machte sie das wieder wett: „Das hat mir vieles erleichter­t.“Das Stopfen und Aufpolster­n von Sätteln war trotzdem ein schweißtre­ibender Job. Bek biss sich durch. „Ich wollte das schaffen. Und es hat geklappt.“Heute ist sie in ihrem Heimatdorf mit filigraner­en Aufgaben beschäftig­t. Einen ganzen Sattel wie in ihrer Lehre macht die selbststän­dige Handwerker­in nicht. „Ich polstere nur noch auf und repariere. Die Leute kommen eher mit Spezialauf­trägen zu mir.“Bek schaut sich um und greift nach dem Sonnenschu­tz eines Oldtimers: „Hier nähe ich ganz sauber um die Kurve.“Sie zeigt die nur Millimeter vom Rand entfernte Naht. „Das ist aufwendig.“Solche Aufträge lohnen sich freilich nicht, wenn man die vielen Stunden zusammenre­chnet. „Das macht mir aber einfach Spaß.“

 ?? Foto: Stefanie Böck ?? Kein anderes Material begeistert Marlies Bek so wie Leder. In ihrer Werkstatt bei Legau kümmert sich die ausgebilde­te Reitsport-Sattlerin vor allem um Spezialauf­träge.
Foto: Stefanie Böck Kein anderes Material begeistert Marlies Bek so wie Leder. In ihrer Werkstatt bei Legau kümmert sich die ausgebilde­te Reitsport-Sattlerin vor allem um Spezialauf­träge.

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