Mit Leidenschaft fürs Leder
Werkstattbesuch Begeisterung für das Handwerk trifft bei Sattlerin Marlies Bek auf eine Vorliebe für Spezialaufgaben
Legau Marlies Bek liebt Leder. Und komplizierte Aufträge: Die Handwerkerin aus Oberlandholz bei Legau ist eine der wenigen Sattlerinnen, die leidenschaftlich gerne Leder von Hand zusammennähen. Je komplexer, umso besser: Ein Mühlen-Museum will seinen uralten Riemen ersetzen, ein historisches Ensemble braucht Geschirre mit Zierbeschlägen für die Pferde, eine angehende Medizinerin will eine handgemachte Arzttasche. Solche Aufträge sind wie gemacht für Bek. „Ich such’ einfach gern Lösungen für Probleme“, sagt die ausgebildete Reitsport-Sattlerin. Was irgendwo ungeplant auseinanderplatzt, näht sie akribisch wieder zusammen. Oder entwirft gleich ein ganz neues Unikat. „Ich schaff’ wirklich sehr gern mit de’ Händ’“, sagt die zierliche 55-jährige Frau.
Das Ergebnis stapelt sich in den Regalen in ihrer Werkstatt: Unzählige Taschen, Geldbeutel, Schlüsselanhänger, Untersetzer und Kinderschuhe stehen da. Auf den Tischen liegen Rucksäcke, schlanke und bauchige Beutel – teils glatt, teils rau, teils mit Kuhfell oder schönen Verschlüssen. Ringsherum an den Wänden hängen Lederhosen, Gürtel, Geschirre und Pferdehalfter. Alles selbst entworfen, zugeschnitten, und das meiste von Hand genäht.
Viele unterschiedliche LederRollen lehnen an der Wand, bunte Streifen tummeln sich in Kisten, allerlei Rohlinge und Zuschnitte stapeln sich auf den Arbeitsflächen. Überall liegen Riemen, Nadeln und Notizen. Zwischen den vielen Ideen und Aufträgen sitzt Bek auf ihrem hölzernen Nähbock, vertieft in die Arbeit an einem Zier-Geschirr einer Pferdetrense.
Stich für Stich zieht sie im immer gleichen Rhythmus den Faden durch das Leder, bis eine sogenannte Sattlernaht entsteht. „So reißt es nicht so leicht durch“, erklärt die HandwerkFür besonders dicke Riemen oder das Stopfen von Sätteln braucht man vor allem in den Armen richtig Kraft. „Leder kann weich und stabil sein, aber auch ganz schön fest.“Kein anderes Material hat Bek mehr fasziniert. „Leder staubt nicht so wie Holz, ist nicht so kalt wie Metall und nicht so schwer wie Stein.“
Manchmal sei es etwas widerspenstig – besonders die ganz dicken Häute. Zwar spannt sie die zugeschnittenen Lederstücke fest in ihren Nähbock ein, trotzdem muss sie ganz schön drücken. Mit der Näh-Ahle, einem Minischwert mit Griff, drückt sie immer erst ein Loch durch das Material, bevor sie mit zwei Nadeln gegenläufig das Leder durchzieht. So lange, bis alles durch den gewachsten Faden fest verbunden ist. So hat sie es gelernt. „Mein Vater hatte Pferde. Wenn was kaputt gegangen ist, bin ich immer mit zum Nachbar, der konnte das reparieren.“
Eine Ausbildung zur Sattlerin kam für das junge Mädchen nach der Schule erst mal nicht infrage: Männerberuf. Keine Lehrstellen in der Gegend. Erst sollte sie Hauswirtschafterin lernen. So arbeitete sie fast zehn Jahre lang erst auf dem Hof iherin. rer Eltern, dann als Meisterin im Nachbardorf in einem Behindertenheim. Richtig glücklich war sie damit nicht: Der Bürojob und die viele Arbeit am Schreibtisch und am Telefon laugten sie aus. An einem sonnigen Tag im Mai, nach dem Besuch bei einem Schmied, fasste die Anfang30-Jährige einen Entschluss: „Ich werde Sattlerin.“Sie kündigte ihren Job, trennte sich von ihrem Partner, kaufte ein Motorrad, ließ sich ein Tattoo stechen, hatte viel Kontakt zu Handwerkern auf der Walz und machte eine Umschulung: zur Sattlerin für Reitsportzubehör.
Mitten in München bei Max Benz zwischen fünf Männern kämpfte sie sich drei Jahre lang bis zum Gesellenbrief durch. „Man musste mir Bretter vor die Arbeitstische legen, damit ich höher stand und überhaupt arbeiten konnte – ich war eigentlich ein bisschen zu kurz für den Beruf“, erzählt sie lachend.
Mit ihrem Geschick beim Nähen machte sie das wieder wett: „Das hat mir vieles erleichtert.“Das Stopfen und Aufpolstern von Sätteln war trotzdem ein schweißtreibender Job. Bek biss sich durch. „Ich wollte das schaffen. Und es hat geklappt.“Heute ist sie in ihrem Heimatdorf mit filigraneren Aufgaben beschäftigt. Einen ganzen Sattel wie in ihrer Lehre macht die selbstständige Handwerkerin nicht. „Ich polstere nur noch auf und repariere. Die Leute kommen eher mit Spezialaufträgen zu mir.“Bek schaut sich um und greift nach dem Sonnenschutz eines Oldtimers: „Hier nähe ich ganz sauber um die Kurve.“Sie zeigt die nur Millimeter vom Rand entfernte Naht. „Das ist aufwendig.“Solche Aufträge lohnen sich freilich nicht, wenn man die vielen Stunden zusammenrechnet. „Das macht mir aber einfach Spaß.“