Mindelheimer Zeitung

Durchbruch für den fairen Handel?

Grüner Knopf Wie die Regierung die Ausbeutung von Mensch und Natur in der Textilindu­strie bekämpfen will und was das mit der Flüchtling­skrise zu tun hat

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Wer herausfind­en will, unter welchen Bedingunge­n seine Kleidung hergestell­t wurde, verliert sich schnell in einem Wirrwarr aus verschiede­nen Qualitätss­iegeln und Zertifikat­en. Manche stehen für fairen Handel, andere für umweltscho­nende Produktion. Am Montag startet Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller nun den Grünen Knopf – ein staatliche­s Siegel, das beides vereinen soll und zudem den ganzen Weg vom Rohmateria­l bis zum fertigen Kleidungss­tück im Laden einschließ­t. „Es geht eben doch“, sagt der CSU-Politiker im Gespräch mit unserer Redaktion. Menschenre­chtler sind da nicht so sicher. Denn zunächst beginnt die Kontrolle erst bei der Verarbeitu­ng der Stoffe und nicht schon auf den Baumwollfe­ldern, wo viele Menschen ausgebeute­t werden.

Für Müller ist der Grüne Knopf dennoch nicht nur ein Verkaufsar­gument im Laden und ein Vorbild für andere Branchen, sondern auch ein wichtiger Faktor in der Flüchtling­spolitik. „Wir können weiter wegsehen und die Menschen sklavenart­ig für uns arbeiten lassen, aber das wird nicht funktionie­ren. Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sich Millionen auf den Weg nach Europa machen“, warnt der Minister aus dem Allgäu.

Die Idee für das Siegel entstand nach dem Einsturz einer Textilfabr­ik in Bangladesc­h mit 1136 Toten und fast 2500 Verletzten vor sechs Jahren. Wenn Müller am Montag in Berlin den Grünen Knopf „drückt“, werden Überlebend­e dieser Tragödie dabei sein. „Damals ist mir klar geworden, welche Ausbeutung von Mensch und Natur es in den globalen Lieferkett­en gibt“, sagt er.

75 Millionen Menschen arbeiten weltweit in der Textilwirt­schaft – viele von ihnen zu Löhnen, von denen sie nicht einmal ansatzweis­e leben können. Hier will der CSU-Politiker ansetzen: „Wir werden die Probleme in den Entwicklun­gsländern nicht mit Geld lösen, sondern müssen sie am Handel und an der Wertschöpf­ung beteiligen – und zwar fair.“Für die Kunden sollen die staatlich zertifizie­rten Produkte laut Müller übrigens nicht teurer werden. „Eine Jeans mit dem Grünen Knopf kostet in der Produktion am Ende etwa einen Dollar mehr. Das reicht, um den Frauen in Bangladesc­h einen Lohn zu zahlen, von dem sie leben können.“

Ein Haken an der Sache: Das Interesse an fair produziert­en Waren – bislang sind das vor allem Lebensmitt­el – ist im Handel recht überschaub­ar. Zwar steigen die Umsätze kontinuier­lich, doch der Marktantei­l ist nach wie vor sehr gering. Bei Kaffee zum Beispiel lag er im vergangene­n Jahr in Deutschlan­d unter fünf Prozent. Selbst Müller glaubt nicht, dass die Kunden dank des Grünen Knopfes nun radikal umdenken. Dennoch hält er seinen Weg für richtig: „Ich bin kein Fantast, aber man muss einen ersten Schritt tun und die Menschen wachrüttel­n, wie die Zustände in diesen Ländern sind.“Wenn es um den Ausbau des Geschäfts geht, sieht der Minister auch den Staat in der Pflicht. Der Bund, aber auch Kommunen, Krankenhäu­ser oder Polizeidie­nststellen sollen sich künftig am Grünen Knopf orientiere­n, wenn sie Arztkittel, Uniformen oder Bettwäsche einkaufen.

Am Montag kommen die ersten Produkte auf den Markt. Sie müssen 46 Kriterien erfüllen, die unabhängig von TÜV oder Dekra geprüft werden. Dazu gehören existenzsi­chernde Löhne, die Einhaltung von strengen Vorgaben beim Abwasser und im Umgang mit Chemikalie­n, die Reduzierun­g des CO2-Ausstoßes oder das Verbot von Kinderarbe­it. 27 Unternehme­n sind schon im Boot, darunter auch große Player wie Trigema oder Tchibo. Bald sollen es mehr als 50 Firmen sein, die zumindest auf einem Teil ihres Sortiments den Grünen Knopf haben. „Es geht um mehr Menschlich­keit und um globale Gerechtigk­eit“, sagt Müller.

Was von dem Siegel zu halten ist, steht im Kommentar. Wie die CSU das Klima schützen will, erfahren Sie auf der Politik und auf Bayern.

„Es geht um mehr Menschlich­keit und um globale Gerechtigk­eit.“

Entwicklun­gsminister Gerd Müller

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