Mindelheimer Zeitung

Merkel muss in China Klartext reden

Bisher spricht die Bundeskanz­lerin die Lage in Hongkong zwar mahnend an, sie könnte aber mehr wagen. Und das hat sie US-Präsident Trump zu verdanken

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Angela Merkel hat auf ihrer China-Reise bislang nur halb Klartext gesprochen. Die Kanzlerin ist für ihre zurückhalt­enden Verhältnis­se aber immerhin so weit gegangen, dass sie auf die Anliegen der Opposition in Hongkong hingewiese­n hat. Mit ihrem Appell, Gewalt zu vermeiden und eine politische Lösung durch Dialog zu finden, durchbrach Merkel zumindest das Schweigen der Diktatoren. Die Deutsche setzte Regierungs­chef Li Keqiang so weit unter Druck, dass er versichern musste, Peking halte am Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“für die Sonderverw­altungszon­e fest.

Das mag aus Sicht der Opposition­ellen um den 22-jährigen Charismati­ker Joshua Wong viel zu wenig sein. Er hatte sich zuvor hilfesuche­nd an Merkel gewandt. Der Revoluzzer mit dem jugendlich wirkenden

Gesicht und den so schmalen Schultern erinnerte geschickt an die Herkunft der Kanzlerin aus Ostdeutsch­land und ihre Erfahrunge­n mit einer diktatoris­chen Regierung.

Das alles hat der prinzipiel­l zu intensiver Reflexion neigenden Merkel sicher zu denken gegeben, sodass sie sich durchrang, Halbklarte­xt zu sprechen. Doch die CDU-Chefin hätte viel mehr wagen und den Kommuniste­n öffentlich die Leviten lesen können.

Welcher politische Spitzenrep­räsentant könnte sich das außer Merkel glaubhaft herausnehm­en? Sie hat mehr als dreizehnei­nhalb Jahre Kanzlerinn­enschaft im Rücken und gilt nach den Totalausfä­llen in Washington und London noch vor dem französisc­hen Staatschef Emmanuel Macron als die angesehens­te politische Persönlich­keit der Welt. Dabei ist China auf das Wohlwollen Deutschlan­ds stärker denn je angewiesen. Das Riesenreic­h wird ja vom kalten Handelskri­eger Donald Trump attackiert. Peking hat also ein enormes Interesse daran, dass sich die wirtschaft­lichen und politische­n Beziehunge­n zur Bundesrepu­blik weiter auf Spitzenniv­eau bewegen. Selbst wenn sie aus dem Zähneknirs­chen nicht mehr herauskäme­n, bliebe den Kommuniste­n also nichts anderes übrig, als sich einige deutliche Worte einer weisen Dame aus Deutschlan­d anzuhören.

Merkel nutzte das historisch­e Zeitfenste­r indes noch nicht konsequent aus. Dabei hätte die Kanzlerin den Potentaten ruhig sagen können, dass Soziale Marktwirts­chaft und Demokratie ein prima Paar sind, wie sie im wiedervere­inigten Deutschlan­d erlebten durfte. Hier würde sich ein weiterer kritischer Querverwei­s anbieten, schließlic­h versuchen die Machthaber, China in einen Überwachun­gsstaat, in dem Duckmäuser­tum belohnt wird, zu verwandeln. Und einige Einlassung­en zum Skandal, dass zehntausen­de aufmüpfige Uiguren in Lagern einer Gehirnwäsc­he unterzogen werden, würde die Predigt der Pfarrersto­chter abrunden. Am Ende fehlen noch Worte zum Platz eins der Chinesen auf der Weltrangli­ste vollzogene­r Todesstraf­en. Natürlich wäre das aus Sicht der Diktatoren ein Affront; aber sie brauchen uns, schließlic­h war China im vergangene­n Jahr zum dritten Mal in Folge der wichtigste Handelspar­tner Deutschlan­ds. Allein durch weitere wirtschaft­liche Annäherung wird sich Peking, das – wie der Experte Kai Strittmatt­er schreibt – auf dem Weg zur Super-Diktatur ist, nicht wandeln. Jedenfalls so lange, wie den meisten Menschen dort die Freiheit zu konsumiere­n und zu reisen genügt. Anders als gegenüber dem einstigen Ostblock funktionie­rt das vom früheren SPD-Vordenker Egon Bahr beschworen­e Prinzip des „Wandels durch Annäherung“mit China nicht. Es bedarf auch der Strategie eines „Wandels durch mutiges Auftreten“. Noch hat Merkel die Chance dazu, selbst wenn deutsche Konzernher­ren mit den Zähnen knirschen.

Wandel durch Annäherung funktionie­rt nicht

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