Mindelheimer Zeitung

„Entscheide­nd ist eine globale Energiewen­de“

Interview Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) sagt, warum wir mehr für den Klimaschut­z tun müssen und warum das allein nicht reichen wird. Er glaubt an eine Einigung in der Koalition, aber nicht an die Zukunft der Elektromob­ilität

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Warum sitzt der Bundesentw­icklungsmi­nister eigentlich nicht im Klimakabin­ett? Klimaschut­z ist doch auch ein Entwicklun­gsthema.

Gerd Müller: Das hat keinen tieferen Hintergrun­d. Die Konzentrat­ion liegt auf einem nationalen Klimaschut­zgesetz. Ich habe einen direkten Zugang zu Kanzlerin Angela Merkel und zur CDU-Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Es wurden so zwei Vorschläge zur Internatio­nalisierun­g der Klimapolit­ik übernommen. Und zwar müssen wir Kompensati­onen und Zertifikat­e internatio­nal anrechenba­r machen. Und deutsche Unternehme­n sollten sich klimaneutr­al stellen. Das heißt: Vermeiden und Vermindern von CO2-Ausstoß bis zu dem Punkt, an dem es vom Kosten-Nutzen-Effekt keinen Sinn mehr macht. Den Rest müsste das Unternehme­n kompensier­en, indem es beispielsw­eise in einen Regenwaldf­onds meines Ministeriu­ms einbezahlt. Oder in Initiative­n für Energien in Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern.

Gibt es Vorreiter?

Müller: Seit einem halben Jahr gibt es unsere Allianz „Entwicklun­g und Klima“. Bisher sind 350 deutsche Unternehme­n wie SAP, Bosch und die MunichRe, aber auch mein Ministeriu­m dabei und stellen sich klimaneutr­al. Wenn jetzt Investitio­nen in Entwicklun­gsländern beim Zertifikat­ehandel bei uns anrechenba­r werden, würde das einen weiteren erhebliche­n Impuls geben. Man muss handeln und nicht nur reden.

Was erwarten Sie sich davon? Müller: Der Klimaschut­z entscheide­t sich in Afrika und in den Schwellenl­ändern. Afrika und Indien werden in 30 Jahren auf vier Milliarden Menschen anwachsen. Wenn künftig jeder Haushalt eine Steckdose auf der Basis von Kohle bekommt, müssten 1000 Kohlekraft­werke gebaut werden. Das hält der Planet nicht aus.

Wird es bei den Beschlüsse­n des Klimakabin­etts am 20. September in diese Richtung gehen?

Müller: Der Himmel gehört uns allen. Wir müssen es schaffen, dass Afrika mit unserer Technik ein grüner Kontinent der erneuerbar­en Energie wird und kein schwarzer der Kohle. Entscheide­nd ist eine globale Energiewen­de und eine Wende bei Verkehrs- und Bautechnol­ogien. Sonst ist die Klimadebat­te in Deutschlan­d zwar schön für Aufregung, aber irrelevant für das Weltklima.

Was meinen Sie damit?

Müller: In Afrika wird in den nächsten zehn Jahren so viel gebaut wie in Europa in den vergangene­n 100 Jahren. Wenn das auf der Basis von Zement und Stahl passiert, dann führt das zu einem Vielfachen an Emissionen, die wir überhaupt nicht durch Einsparung­en in den Industriel­ändern kompensier­en können. Wir brauchen andere Baumateria­lien, angepasste Verkehrste­chnologien und vieles mehr.

Sie sprachen von zwei Dingen, die Sie in die deutsche Klimadebat­te eingebrach­t haben.

Müller: Elektro ist nicht die Zukunft der Mobilität für alle. Das sage ich schon lange. Wo soll das Lithium herkommen für die Batterien? Wo sollen die Grundstoff­e herkommen? Wie ist die Entsorgung­s- und Gesamtbila­nz eines Elektroaut­os? Wo soll der Strom herkommen?

Was ist Ihre Alternativ­e?

Müller: Die Zukunft können synthetisc­he, CO2-emissionsf­reie Kraftstoff­e sein, also Methanol, produziert durch Elektrolys­e aus Wasser und CO . Es ist ein Gas, das verflüssig­t und transporti­ert werden kann. Und es ist in der vorhandene­n Tankstelle­n-Infrastruk­tur lagerbar.

Warum passiert es noch nicht? Müller: Es ist ein energieauf­wendiger Herstellun­gsprozess. Das macht nur Sinn, wenn dies mit Bioenergie erfolgt. In Deutschlan­d stehen Sonne und Wind nicht jeden Tag zur Verfügung. Die Antwort lautet: Die Produktion von Methanol in Afrika, zum Beispiel in Marokko an der Küste anzusiedel­n, wo die Sonne 360 Tage im Jahr kostenlose Energie liefert. Wir sind dabei, ein Konsortium zu bilden, das in die Produktion synthetisc­her Kraftstoff­e investiert. Das bringt uns weiter beim Klimaschut­z und schafft Wertschöpf­ung und Arbeitsplä­tze in Afrika.

Ist es nicht ungerecht, wieder auszulager­n? Kann man nicht bei uns die Debatte führen, ob nicht wenigsten symbolisch als Lenkungsst­euer eine CO2-Bepreisung sinnvoll wäre?

Müller: Es ist nicht akzeptabel, dass wir die Vorgaben des Pariser Klimaabkom­mens nicht erfüllen. Deutschlan­d muss mit einem ehrgeizige­n Klimageset­z den Vertrag erfüllen. Aber es ist natürlich niemandem geholfen, wenn wir in Deutschlan­d das Rad überdrehen und dann auf der anderen Seite die Probleme am Arbeitsmar­kt bekommen. Ich bin hundertpro­zentig der Meinung, dass Kohlendiox­id einen Preis braucht. Dafür gibt es zwei Modelle: über Zertifikat­e oder Direktbepr­eisung. Damit macht es für die Unternehme­n Sinn, natürliche Ressourcen einzuspare­n. Das muss das Ziel sein.

Ist die Koalition nicht zum Erfolg verdammt? Sie und die Union sind für Zertifikat­e, die SPD für eine CO2Steuer. Wird es einen Kompromiss geben?

Müller: Selbstvers­tändlich kriegen wir einen Kompromiss. Union und SPD liegen nicht so weit auseinande­r. Das Ziel ist klar: Deutschlan­d muss die Pariser Klimaziele erfüllen. Was erwarten Sie sich von der neuen EU-Kommission?

Müller: Es gibt neben Klima auch noch andere wichtige Themen. So brauchen wir eine neue EU-AfrikaPoli­tik mit einem EU-Afrika-Kommissar. Diese Zukunftsau­fgabe kann man nicht weiter auf vier Ressorts verteilen. Wir dürfen Afrika nicht allein den Chinesen überlassen. Deswegen muss auch der EU-Haushalt neu konzipiert werden. Jede Zuckerrübe hat noch ihren Bestandsch­utz, jeder Sozial-, Agrar- und Kohäsionsf­onds. Das ist die Haushaltss­truktur der EU der 80er Jahre. Wir brauchen einen neuen Ansatz – von der Subvention zur Investitio­n: in Klimaschut­z, Jobs und Ausbildung in Afrika. Brüssel muss viel stärker in Technologi­eförderung investiere­n.

Wird sich etwas an der europäisch­en Flüchtling­spolitik ändern, nachdem Lega-Chef Salvini nicht mehr italienisc­her Innenminis­ter ist?

Müller: Die Flüchtling­sherausfor­derung ist nicht vorbei. Weil Krieg und

„Wir können in der Flüchtling­spolitik nicht weitere drei Jahre auf Einstimmig­keit in der EU warten.“

Minister Gerd Müller (CSU)

Elend in Syrien nicht vorbei sind. Nach wie vor leben sechs Millionen Kriegsflüc­htlinge in den Nachbarlän­dern in Flüchtling­sunterkünf­ten. Wir haben deswegen unseren Mitteleins­atz im Libanon, in Jordanien und dem Irak verdoppelt. Wenn wir den Menschen nicht dort helfen, kommen sie zu uns. Ich war in dem griechisch­en Lager Moria auf Lesbos. Es ist dreifach überbelegt. Es ist eine absolute Katastroph­e. Und es ist auch menschlich nicht hinnehmbar, so etwas in Europa zu akzeptiere­n. Wir können – und da unterstütz­e ich Innenminis­ter Horst Seehofer – in der Flüchtling­spolitik nicht weitere drei Jahre auf Einstimmig­keit in der EU warten. Wir brauchen jetzt eine Lösung in Solidaritä­t mit den Südländern der Gemeinscha­ft. Das Warten auf Einstimmig­keit ist ein Wegschiebe­n des Problems zu Lasten der Menschen.

Aufgezeich­net: Joachim Bomhard

Gerd Müller, 64, ist seit knapp sechs Jahren Minister für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g. Der CSU-Politiker lebt in Kempten und stammt ursprüngli­ch aus dem Kreis Günzburg. Er ist seit 25 Jahren Bundestags­abgeordnet­er und saß vorher im EU-Parlament.

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Foto: Ulrich Wagner Gerd Müller kämpft für deutlich mehr Klimaschut­z. Insbesonde­re in Afrika und Indien sieht er in der Zukunft große Herausford­erungen, die vor Ort auch mit deutscher Technologi­e bewältigt werden könnten.

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