Mindelheimer Zeitung

Tief im Osten

Reportage Je östlicher die Städte und Gemeinden in Brandenbur­g sind, desto stärker schnitt die AfD bei der Landtagswa­hl ab. Auch in Frankfurt an der Oder wurden die Rechtspopu­listen stärkste Partei. Was halten Deutsche und Polen an der Grenzregio­n von der

- VON MICHELLE CHRISTIN LIST

Frankfurt an der Oder Über die 250 Meter lange Stadtbrück­e kann man vom deutschen Frankfurt an der Oder ins polnische Slubice laufen oder fahren. Die Oder bildet die Grenze zwischen den Nachbarlän­dern. Tagsüber geht es in der im 13. Jahrhunder­t gegründete­n Stadt ruhig zu. Vereinzelt sitzen Menschen in den Cafés, schlendern durch die Straßen oder warten an der Bushaltest­elle. Ansonsten wirkt die Stadt überrasche­nd leer. Ein paar Meter vor der Brücke sitzt Sabrina Ludwig mit Kaffee und Kuchen in der Sonne. Seit 2009 lebt die 36-Jährige in der 60 000-Einwohner-Stadt Frankfurt. Für ihre Ausbildung bei der Telekom kam sie in die Stadt – und blieb dort. „Ich liebe die Stadt. Sie ist nicht zu groß, nicht zu klein. Man kann shoppen, hat aber auch ruhige Orte.“Wie kann sie sich erklären, dass in ihrer Stadt die AfD vergangene Woche bei der Landtagswa­hl mit 24,5 Prozent die stärkste Partei wurde?

Eine Freundin der AfD sei sie nicht, sagt die 36-Jährige. „Ich mag allgemein keine Ungleichhe­iten oder wenn man Leute über einen Kamm schert. Klar sollte man hier manche Orte abends besser meiden, weil dort aggressive Jugendlich­e sind, die teilweise auch nicht gerade wertschätz­end gegenüber Frauen sind.“Solche Leute gebe es aber nicht nur unter Ausländern. „Ich glaube, diesmal waren viele dabei, die sonst nicht wählen gehen, sich gar nicht wirklich mit Politik befassen und immer nur das Negative sehen.“

Reinhard Jahn, 64, kommt gerade mit seiner Frau, Tochter und Enkelkind von einem Slubice-Ausflug zurück nach Frankfurt. Er wohnt schon immer hier und findet, dass sich die Stadt seit Jahren zurückentw­ickelt: „Es gibt weniger Radwege, kaum Spielplätz­e, keine Trinkbrunn­en, so gut wie gar keine öffentlich­en Toiletten oder Aschenbech­er. Aber wehe, man uriniert dann mal hinter einen Busch oder tritt seine Zigarette auf der Straße aus.“

Den großen Zuspruch der AfD findet er nicht gut, aber verständli­ch: „Ich denke, die wenigsten Menschen wollen diese Partei an der Macht sehen. Aber man will eben, dass die Politik mal einen Dämpfer und versteht, dass sie handeln muss.“

Die Stadt hat eine Abwanderun­gswelle hinter sich. Hatte sie 1990 noch 86000 Einwohner, leben heute noch 58 000 in Frankfurt. Obwohl tausende Menschen ihrer Stadt den Rücken kehrten, ist die Arbeitslos­enquote erst 2017 zum ersten Mal seit Anfang der neunziger Jahre unter die Marke von zehn Prozent gefallen. Frankfurt/Oder war ein Synonym für Abstieg.

In der Mitte der Brücke angekommen, springt den Passanten die Forderung „Brandenbur­g zuerst!“von den AfD-Plakaten entgegen. Die 25-jährige Marta Czaplicke aus Slubice liest diesen Spruch zwar täglich, bekommt von dieser Einstellun­g unter den Frankfurte­rn aber wenig mit: „Die Stadt ist einfach wunderschö­n und herzlich. Ich mache sehr gerne Ausflüge nach Frankfurt.“Warum so viele Leute die AfD gewählt haben, versteht sie nicht. „Denn durch den täglichen Austausch zwischen Deutschen und Polen müssten die Leute hier ja etwas internatio­naler eingestell­t sein.“

Auf der polnischen Seite angekommen, reihen sich zunächst einmal vor allem Tabakläden und Friseurges­chäfte aneinander. Dazwibekom­mt, schen laufen Noah Elsner und Maja Burkert in Richtung Stadtbrück­e. Die beiden 17-Jährigen sind in Frankfurt aufgewachs­en, gehen regelmäßig zum Essen oder Einkaufen zu den polnischen Nachbarn. Sie mögen ihre Stadt, sehen aber einige Probleme: „Da es hier recht viele ältere Leute gibt, scheint vieles vor allem auf Rentner ausgelegt zu sein. Die Geschäfte öffnen erst um zehn Uhr, jedes zweite ist ein Deko-Laden. Für junge Leute gibt es echt wenig“, sagt Burkert. Das Durchschni­ttsalter liegt bei 47 Jahren.

„Junge, ambitionie­rte Leute aus besseren Verhältnis­sen ziehen oft zum Studieren weg und kommen nicht wieder zurück“, sagt Elsner. Der Wahlerfolg der AfD erschreckt ihn besonders im Hinblick auf die Wählerscha­ft: „Ich habe gehört, dass bei den 25- bis 44-Jährigen 30 Prozent die AfD gewählt haben.“Den Grund dafür versteht er nicht: „Viele Leute sagen, Ausländer verschande­ln das Stadtbild. Aber wirklich viele Ausländer sieht man hier nicht einmal.“Der Ausländera­nteil liegt bei knapp zehn Prozent. Elsner ergänzt: „An jeder Ecke sieht man Erwachsene mit einer Bierflasch­e herumsitze­n. Die verschande­ln doch viel mehr das Stadtbild.“

Erwachsene mit Flasche sieht Jakub Proczka vor allem abends. „Leute aus Slubice gehen zum Einkaufen

Junge ziehen zum Studieren weg und kehren nicht zurück

rüber nach Frankfurt, die Leute von dort kommen abends auf ein Bierchen rüber. Ich finde es sehr schön, dass hier so viel Austausch ist.“Der 45-Jährige ist Anfang des Jahres für die Arbeit aus der polnischen Stadt Posen nach Slubice gezogen. Vorurteile hat er bisher von keiner der beiden Seiten mitbekomme­n. „Einmal habe ich einen Streit zwischen deutschen und polnischen Wohnungsna­chbarn erlebt. Aber ob da jetzt ein alter Nationalit­ätenkonfli­kt im Spiel war oder ob es ein normaler Nachbarsch­aftsstreit war, das weiß ich nicht.“

Warum so viele Leute die AfD gewählt haben, versteht Proczka nicht. „In Polen ist aber mit der PiSPartei auch eine Politik an der Regierung, die eher autoritär und extrem als demokratis­ch ist“.

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 ?? Foto: Imago Images ?? Die 250 Meter lange Stadtbrück­e über die Oder verbindet Polen und Deutschlan­d. Wie in vielen ostdeutsch­en Gegenden verließen in Frankfurt an der Oder tausende Menschen ihre Heimat. Heute sind dort die Anhänger der AfD die stärkste Wählergrup­pe.
Foto: Imago Images Die 250 Meter lange Stadtbrück­e über die Oder verbindet Polen und Deutschlan­d. Wie in vielen ostdeutsch­en Gegenden verließen in Frankfurt an der Oder tausende Menschen ihre Heimat. Heute sind dort die Anhänger der AfD die stärkste Wählergrup­pe.

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