Mindelheimer Zeitung

„Hier bin ich freier“

Winterspor­t Die ehemalige Bobpilotin und Rennrodler­in Susi Erdmann wohnt seit Kurzem in Türkheim. Ein Gespräch über das neue Umfeld, ihre Karriere – und Schutzenge­l

- Interview: Max Kramer

Frau Erdmann, mit sieben WM-Titeln und drei Olympia-Medaillen sind Sie eine der erfolgreic­hsten Winterspor­tlerinnen, die Deutschlan­d jemals hervorgebr­acht hat. Ende Juni zogen Sie nun von München nach Türkheim. Werden Sie hier noch erkannt?

Susi Erdmann: Wenn ich mich vorstelle, höre ich oft: ’Hab’ ich’s mir doch gedacht!’ (lacht) Man muss aber ehrlich sein: Das waren Sportarten, in denen ich meistens einen Helm aufhatte – da sehen die Leute nicht so das Gesicht dahinter. Es hält sich also in Grenzen, aber das ist auch ganz angenehm.

Was hat Sie nach Türkheim verschlage­n?

Erdmann: Ich mochte die Ecke schon immer, spätestens seit einer Kur in der Nähe. Seit vier Jahren habe ich gesagt, hier könnte ich mich wohlfühlen. Wörishofen wäre auch schön gewesen, aber dieses Ländliche in Türkheim hat mich einfach angesproch­en.

Haben sich Ihre Hoffnungen erfüllt? Erdmann: Die ersten zwei Wochen waren schon eine Umstellung, ehrlich gesagt auch mit ein bisschen Heimweh. Als ich dann wieder Termine in München hatte, habe ich mich danach jedes Mal richtig gefreut, wieder zurück ins Grüne zu kommen und die frische Luft, Entschleun­igung und Ruhe zu haben. Da wusste ich: Ich habe alles richtig gemacht. Gerade auch, weil die Türkheimer sehr nett und offen sind. Das ist ganz wichtig, wenn man wie ich von außen kommt.

Sie wohnen unweit vom Türkheimer Golfplatz und können damit nun häufiger Ihrem Hobby nachgehen. Haben Sie Ihr Spiel schon verbessert? Erdmann: Ich bin fast jeden zweiten Tag auf der Anlage und damit deutlich öfter als zuvor. Die Trainingss­tunden, die ich nehme, zahlen sich schon aus. Bis man aber wirklich besser wird, dauert es auch. Ich bin dran.

Haben Sie Ihrer alten Liebe, dem Winterspor­t, also abgeschwor­en? Erdmann: Auf keinen Fall, ich bin auch jetzt noch regelmäßig mit meinen Bob-Events im Eiskanal. Ich habe den Sport über 30 Jahre lange gemacht, bis zu meinem 40. Lebensjahr. Jetzt freue ich mich aber auf das „normale“Leben. (lacht) In den ersten Monaten hier war ich mit meinem Partner (Thomas Bruns, d. Red.) viel auf dem Fahrrad unterwegs. Ich mag aber nach wie vor die Kälte: Warm anziehen, Mütze auf, frische Luft um die Nase. Ich freue mich schon auf den Winter hier.

Angefangen hat Susi Erdmann als Rodlerin.

Wo lässt es sich leichter sporteln: hier oder in München?

Erdmann: Hier. In München ist es oft zu überfüllt. Hier bin ich freier.

Wie häufig schwelgen Sie in Erinnerung­en an Ihre große Karriere? Erdmann: Ich bin kein Mensch, der in der Vergangenh­eit lebt. Bei Events oder Vorträgen kommt aber natürlich schon immer wieder etwas hoch. Ich überlege derzeit, meine Erlebnisse auch schriftlic­h festzuhalt­en. Ich habe seit Kurzem ein Diktierger­ät, auf das ich spreche, wenn Erinnerung­en kommen. Mal schauen, was draus wird.

Bei Olympia 1994 in Lillehamme­r holten Sie als Rennrodler­in Silber, 2002 in Salt Lake City als Bobpilotin Bronze. In welcher Sportart haben Sie sich wohler gefühlt?

Erdmann: Im Bob, definitiv. Das entspricht auch ein bisschen meinem Naturell, denn da war ich mein eigener Chef. Als ich umstieg, war der Damen-Bobsport noch in den Anfängen. Wir mussten versuchen, uns selbst zu organisier­en. Das ist das, was ich kann. Ich war da in vielen Dingen Vorreiteri­n.

Apropos Vorreiteri­n: Sie waren 1992 die erste Sport-Soldatin im Sanitätsdi­enst – einem Beispiel, dem bis heute viele gefolgt sind.

Erdmann: Das war damals eine große Ehre und es ist gut, dass viele nachgezoge­n sind. Auch jetzt, als Sportfeldw­ebel in der Sanitätsak­ademie, kann ich viel auf die Beine stellen. Ich habe in der Sportausbi­ldung der Soldaten meine Fußspuren hinterlass­en.

In naher Zukunft endet Ihr Dienst bei der Bundeswehr. Folgt dann Ihr Comeback am Eiskanal, etwa als Trainerin?

Erdmann: Das habe ich nach meinem Karriereen­de versucht. Ich habe damals vier Monate lang ein DamenNachw­uchsteam aufgebaut. Da stand ich dann auf der anderen Seite, acht Stunden an der kalten Bahn. Da war für mich klar: Nein, das will ich nicht. Das ist wie eine Blase, ein Zirkus. Wenn man da ständig drin ist, kriegt man das wahre Leben so gar nicht mit. Auf jeden Fall werde ich danach mehr reisen, zum Beispiel zu Verwandten nach Kanada oder einer Freundin in Südafrika – oder mit dem Wohnmobil an alle Golfplätze der Welt. (lacht)

Sie sind Ehrenmitgl­ied im Türkheimer Golfclub. Die Tage nur entspannt am Golfplatz zu verbringen reizt Sie nicht?

Erdmann: Auch, aber nicht nur. (lacht) Ich habe ja noch viele Ideen – ob im Geschäftsl­eben mit meinen Events oder im Sportberei­ch: Da wird sich sicher in den nächsten Jahren was zeigen. Zuhause rumzusitze­n ist jedenfalls keine Option. Sie haben sich sehr für Münchens Bewerbung für die Olympische­n Spiele 2018 starkgemac­ht. Letztlich bekam die südkoreani­sche Stadt Pyeongchan­g den Zuschlag. Haben Sie den Traum von Olympia vor der eigenen Haustür aufgegeben?

Erdmann: Eigentlich schon. Am Anfang der Bewerbung gab es einige Schwierigk­eiten, die so nicht mehr zu korrigiere­n waren. Das Konzept war aber super. Viele Sportstätt­en wären von Olympia 1972 ja schon da gewesen. Leider geht es in der Bewerbung aber oft nicht um Nachhaltig­keit oder um das Konzept. Auch wenn es vom IOC immer wieder betont wird: Letztlich dreht sich alles ums Geld. Dieser Gigantismu­s, der sich rund um die Spiele entwickelt hat, diese Geldmaschi­nerie – furchtbar. Das ist nicht Olympia.

Eine besondere Beziehung verbindet Sie mit Sandra Kiriasis. Sie waren lange Konkurrent­innen. Bis Sie Ihrer Kollegin 2004 das Leben retteten. Erdmann: Da hatte ich einen Schutzenge­l. Wir hatten immer Kontakt und zwischenze­itlich war das Verhältnis auch nicht so toll. Vor einem Trainingsl­ager ließ mich Sandra zwei Nächte bei sich schlafen. Wir sind nach einem schönen Abend und Kaminfeuer ins Bett. Sandra und ihr Mann waren unten, das Gästezimme­r befand sich oben. Ich schlief ein. Plötzlich wachte ich dann aber wieder auf, bekam keine Luft, alles war voller Rauch, es stank. Eine beängstige­nde Vorstellun­g. Erdmann: Ich habe es nur zufällig an das Fenster geschafft. Ich riss das Fenster auf und fing an laut zu brüllen. Sandra wachte auf und kam mit einer Decke hoch. Wir sind dann raus, haben ihren Mann rausgezerr­t. Die ganze Wohnzimmer­decke stand schon in Flammen. Das war knapp. Ein Feuerwehrm­ann sagte: ‚Dass Sie aufgewacht sind, ist eigentlich unfassbar.’ Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich daran denke.

Trotzdem gingen Sie kurz darauf beim Weltcup-Rennen an den Start. Erdmann: Wir dachten: Herumsitze­n nützt eh nichts, wir starten. Wir sind das Rennen gefahren und haben Platz eins und zwei gemacht. Sandra Erste, ich Zweite.

Sie leiden unter einer Autoimmune­rkrankung und leben mit einem gutartigen Tumor an der Hirnanhang­drüse. Wie geht es Ihnen?

Erdmann: Alles gut. Ich habe immer mal Schwankung­en, bin aber regelmäßig in der Kontrolle und muss alle sechs Monate in die Röhre. Der Tumor ist stabil. Falls er größer werden sollte, würde ich erblinden. Dann müsste man operieren. Die Hypophyse steuert komplett den Hormonhaus­halt und die Schilddrüs­e und ist deshalb sehr wichtig. Bis zur richtigen Diagnose dauerte es vier, fünf Jahre. Diese Zeit war nicht ohne. Aber heute bin ich zufrieden.

 ?? Foto: Everett Kennedy Brown/dpa ?? Bobpilotin Susi Erdmann und Nicole Herschmann fuhren bei den Olympische­n Winterspie­len 2006 in Turin knapp an den Medaillenr­ängen vorbei. Dennoch holte Erdmann in ihrer Karriere drei Olympia-Medaillen.
Foto: Everett Kennedy Brown/dpa Bobpilotin Susi Erdmann und Nicole Herschmann fuhren bei den Olympische­n Winterspie­len 2006 in Turin knapp an den Medaillenr­ängen vorbei. Dennoch holte Erdmann in ihrer Karriere drei Olympia-Medaillen.
 ?? Archivfoto: Habermeier ?? Erdmann war die erste Sport-Berufssold­atin überhaupt.
Archivfoto: Habermeier Erdmann war die erste Sport-Berufssold­atin überhaupt.
 ?? Foto: dpa ??
Foto: dpa
 ?? Foto: Archiv Erdmann ?? Bei Olympische­n Spielen holte Erdmann drei Medaillen.
Foto: Archiv Erdmann Bei Olympische­n Spielen holte Erdmann drei Medaillen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany