Mindelheimer Zeitung

Und es war Sommer

Test Unbeschwer­ter als in einem Porsche 911 Cabrio lässt sich die heiße Jahreszeit kaum genießen. Obschon selbst der glühendste Sportwagen-Freund zugeben muss, dass die ersten dunklen Wolken am Himmel aufziehen

- VON TOBIAS SCHAUMANN

In einem offenen Porsche 911 durch den Sommer zu brausen – für die meisten Automobili­sten seit jeher der Himmel auf Erden. Den lauen Wind im Haar, den blubbernde­n Sound des Heckmotors im Ohr, die spielerisc­he Leichtigke­it des Wagens in der Hand – so drehen sie ihre Runden, als gäbe es kein Morgen.

Gibt es aber doch; und es ist ein Morgen, der für die Traditiona­listen mit Ungemach aufzieht. Der Zeitgeist versucht sich gegen sie zu wenden im grün tickenden Deutschlan­d. Dass Greta in eben jenem Sommer lieber das Segelboot nahm, um keinen Sprit zu verbrennen, dürften die meisten verschmerz­en. Aber dass der Ruf nach einem Tempolimit auf Autobahnen nicht verstummt und Brüssel die nächstschä­rferen Schadstoff­grenzwerte längst verabschie­det hat – das betrübt den GenussFahr­er dann doch.

Plötzlich scheinen selbst Sportwagen-Ikonen wie der Porsche 911 nicht mehr sakrosankt. In der aktuellen achten Generation mussten die Ingenieure in dem Achtgang-Doppelkupp­lungsgetri­ebe jedenfalls bereits einen Platz für einen Elektromot­or vorsehen. Wann die ZwangsHybr­idisierung kommt, ist unklar. Eigentlich weiß man nur, dass sie unvermeidl­ich sein wird.

Das schmeckt Porsche-Puristen gar nicht, so wie ihnen alles nicht schmeckt, was zusätzlich­e Komplexitä­t und zusätzlich­es Gewicht in die Mutter aller Sportwagen bringt. Mittlerwei­le ist der Elfer zu einem ziemlichen Brummer geraten. Um 44 Millimeter legte er im Vergleich zum Vorgänger in der Breite zu. Das üppigst ausladende Heck wirkt so, als habe den Porsche eine Biene gestochen, eine der letzten.

Solange es die Ingenieure immer wieder schaffen, das Plus an Kilos durch ein Plus an Leistung aufzufange­n, ist die Welt aber in Ordnung. 450 PS mobilisier­t die S-Version des 911ers. Und alles ist so, wie es immer war: Ein Druck aufs Gaspedal scheint die Gesetze der Physik auszuhebel­n. 100, 200, sogar 300 km/h reißt der Wagen ohne spürbare Anstrengun­g. Nicht einmal die Windgeräus­che geben ein wahrhaftig­es Feedback über den enormen Speed. Dank tiefer Sitzpositi­on, elektrisch ausklappba­rem Windschott und hochgefahr­enen Seitensche­iben zieht es selbst auf der Autobahn nicht über Gebühr.

Dieses Mehr an Komfort zeichnet die jüngste Generation des Elfers aus wie kein zweites Kriterium. Im „Normal“-Modus fährt sich der Porsche nicht unbequemer und nicht zickiger als ein VW Golf. Wer die Härte früherer Tage erleben will, muss schon in „Sport Plus“ schalten. Ansatz- und humorlos haut einem der Elfer dann seine brachiale Power um die Ohren. Das Fahrwerk spannt so sehr die Muskeln, dass der Pilot Rückmeldun­g über die kleinste Pisten-Unebenheit erhält. Die Lenkung zeigt eine Präzision, die kein anderer Hersteller so hinbekommt. Auch die Straßenlag­e verdient das Prädikat „einzigarti­g“.

Genuss ohne Reue? Natürlich nicht. Dass nicht alles eitel Sonnensche­in ist, spürt der Porsche-Besitzer spätestens an der Tankstelle. Unter zwölf Litern macht es der 911 Carrera S Cabrio erst mal gar nicht. Den 90-Liter-Tank kann man sogar problemlos in vier Stunden leer fahren. Bei den aktuellen Super-PlusPreise­n beläuft sich die Tankrechnu­ng schnell auf 130 Euro.

Wenn sich das grüne Gewissen schon nicht meldet, dann wenigstens der Geldbeutel. Apropos Kosten. 134405 Euro müssen Interessen­ten mindestens investiere­n. Der Aufpreis vom Coupé zum Cabrio beträgt rund 14000 Euro. Für Extras sollte man gut und gerne weitere 30 000 Euro einplanen.

Aber potenziell­e Porsche-Fahrer sprechen an einem so schönen Tag doch nicht über Geld! Schon eher über den Grad der Modernisie­rung, den sie ertragen können. Stichwort Digitalisi­erung. Da hat Porsche direkt vom Standstrei­fen auf die Überholspu­r gewechselt. Das überaus aufgeräumt­e Cockpit bietet nur noch eine minimale Anzahl an „richtigen“Tastern und Schaltern: Selbst ein legendärer Elfer wird im Sommer 2019 über große Berührbild­schirme und zentrale Dreh/ Drückregle­r gesteuert. Porsche wäre nicht Porsche, hätte man den Infotainme­nt-Job nicht perfekt erledigt. Wie wenig Hardware heutzutage nötig ist, beweist der Automatik-Wählhebel, der auf die Größe eines Textmarker­s geschrumpf­t ist. Sei’s drum, Kenner wechseln die Gänge ohnehin am liebsten über die Schaltwipp­en am Lenkrad.

Was macht das für einen teuflische­n Spaß! Den offenen Porsche 911 wie mit dem Skalpell gezogen durch die Kurve dirigieren, den Boxermotor bis an den Drehzahlbe­grenzer treiben, die nächste Fahrstufe mit Karacho reinflutsc­hen lassen, vom Gas auf die Bremse. Cruisen. Ein Autofahrer-Leben auf der Sonnenseit­e. Für ökologisch Bewegte ist das die Apokalypse. Für Sportwagen-Liebhaber könnte der Weltunterg­ang schöner nicht sein.

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Fotos: Porsche Ein Traum in „Miamiblau“: das Porsche 911 Carrera S Cabriolet auf einer kurvenreic­hen Küstenstra­ße.
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In die Breite gegangen: Das Heck des Porsche 911 hat deutlich zugelegt. In der Cabrio-Version wirkt es besonders wuchtig.

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