Mindelheimer Zeitung

„Der Draht nach oben muss stimmen“

Religion Am Sonntag Gottesdien­st, unter der Woche die Predigt vorbereite­n. Aber was macht ein Priester die restliche Zeit? Pfarrer Thomas Demel aus Klosterlec­hfeld schlüpft in viele Rollen – vom Seelsorger bis zum Lehrer

- VON DANIEL WEBER

Thomas Demels Beruf würde niemand erraten, der ihn auf der Straße trifft. Der schlanke 39-Jährige mit lichtem Haar und Brille könnte als Lehrer durchgehen oder als Seelsorger. Vielleicht arbeitet er auch in der Verwaltung. Tatsächlic­h ist er ein bisschen von alldem: Die Aufgaben von Pfarrer Demel sind vielseitig.

Demel ist keiner der Geistliche­n, die man sofort an dem weißen Kollar am Kragen erkennt: Mit weißem Hemd unter schwarzem Pullover sitzt der Pfarrer am Freitagvor­mittag völlig weltlich gekleidet im Klosterläd­le. Einmal im Monat treffen sich hier Menschen zum gemütliche­n Beisammens­ein, berichtet Demel. Vor allem Alleinsteh­ende oder Trauernde nehmen das Angebot an. Heute ist er jedoch nicht zum Plaudern hier. Auf dem Tisch vor ihm liegen ein Stapel Papier und sein Handy. Letzteres wird er die nächste Stunde nur aus der Hand legen, um die jeweils nächste Nummer aus seinen Unterlagen herauszusu­chen.

Das erste Telefonat gilt einem befreundet­en Pfarrer: Demel sucht für seinen Urlaub eine Gottesdien­stvertretu­ng. Doch so einfach scheint das nicht zu sein: Zuerst landet der Anruf im Pfarrbüro des Kollegen, dann gibt sein Telefon die Musik einer Warteschle­ife zum Besten. Der Pfarrer erträgt sie mit regungslos­er Miene. Sein Tonfall bleibt auch freundlich, nachdem ihm die Frau am anderen Ende der Leitung vertrösten muss. Sie versichert ihm aber, dem Kollegen einen Zettel ins Fach zu legen.

Demel legt auf, blättert durch die zahlreiche­n Notizzette­l, die die beiden Damen im Pfarrbüro in Klosterlec­hfeld ihm geschriebe­n haben, und zieht zielstrebi­g einen heraus. Er wählt die Nummer der verletzten Mesnerin, dann die der Seniorin, die nicht mehr in die Kirche gehen kann und eine Krankenkom­munion braucht – sie ist nicht erreichbar. Die nächste Notiz erinnert ihn an eine Trauerbegl­eitung.

Während sich Demels Stimme bei den vorangegan­genen Telefonate­n stets zwischen freundlich und fröhlich bewegt, spricht er diesmal zurückhalt­end. Er erkundigt sich nach dem Befinden der Frau, deren Mutter bald an einer unheilbare­n Krankheit sterben wird. Dann hört er lange aufmerksam zu. Ob sie einen Ansprechpa­rtner habe, mit dem sie über die Sache reden könne? Die Frau bejaht. Demel nimmt sich viel Zeit. Gegen Ende des Gesprächs klingt seine Stimme belegt. Zuletzt wünscht er viel Kraft und Gottes Segen. Dann legt er auf. Ein Blick auf die Uhr verrät ihm, dass er noch drei Minuten Zeit hat, um in die zwei Kilometer entfernte Schule in Untermeiti­ngen zu kommen. Er wird sich also verspäten. Als er im Auto sitzt und mit wild baumelndem Kruzifix am Rückspiege­l in Richtung Untermeiti­ngen fährt, hat er die Trauerstim­mung abgestreif­t. Ob ihn solche Gespräche belasten? „Manche Fälle gehen mir schon nahe“, sagt Demel. Deshalb bereite er sich immer gut vor: „Heute bin ich mit einem halbstündi­gen Gebet in den Tag gestartet. Gerade für so schwierige Gespräche wie dieses muss der Draht nach oben stimmen.“Es komme vor, dass er bei Trauergesp­rächen mitweine.

„Eigentlich wollte ich Lehrer für Latein, Griechisch und Religion werden“, erinnert sich Demel. Ins Priesterse­minar habe er nie gewollt, doch dann sei er genau dort gelandet. „Ich will mehr Seelsorger sein als Verwaltung­smensch, weil es genug Menschen mit zerbrochen­em Leben gibt“, sagt er. Doch die vielen Aufgaben in Lagerlechf­eld, Klosterlec­hfeld, Obermeitin­gen, Untermeiti­ngen und Graben machen ihm das schier unmöglich. Hat er dann einmal Zeit für die Nöte seiner Schäfchen, ist sie viel zu knapp: „Wenn ich einem Menschen helfe, muss ich zwei andere enttäusche­n, für die ich dann keine Zeit habe.“

Im Klassenzim­mer angekommen zeigt an der Stirnwand ein großes Holzkreuz mit einem sterbenden Heiland den Zweck der kommenden Doppelstun­de an. Die dritte Klasse begrüßt ihren Religionsl­ehrer stehend mit einem lang gezogenen „Guten Morgen, Herr Pfarrer Demel.“Dann geht es weiter mit „Vater unser“und „Gegrüßet seist Du, Maria“. Begrüßung und Gebete leiern die Schüler im gleichen teilnahmsl­osen Tonfall herunter. Anschließe­nd packt Demel eine Probe aus, geprüft werden das Schuldbeke­nntnis und der Aufbau eines Gottesdien­stes. Nach diesem dreivierte­lstündigen Pflichtpro­gramm geht es endlich los mit dem eigentlich­en Unterricht. Die Kinder können ihren Herrn Pfarrer Demel gut leiden. Sie sind interessie­rt bei der Sache, als es um die Geschichte vor der Geburt Jesu geht. Demel fragt und erklärt, macht immer wieder Witze, gestikulie­rt wild herum und sichert sich mit seinem lebendigen Unterricht die Aufmerksam­keit der Klasse. Nur wenn er einen Schüler zurechtwei­st, wird seine Stimme plötzlich ernst und sein Blick streng.

Im Unterricht geht es zum ersten Mal an Demels Arbeitstag um Glaubensin­halte. Die kommen seiner Ansicht nach viel zu kurz in seinem Beruf. „Wir sollten zum Kerngeschä­ft kommen, über Christus reden“, sagt er. Stattdesse­n gehe es in der öffentlich­en Debatte nur um Strukturen wie den Zölibat, Priesterin­nen und Missbrauch­sskandale. Die Gottesdien­ste und die seelsorger­ische Begleitung von der Wiege bis zur Bahre gefallen ihm am besten in seinem Beruf. Doch am meisten hat er mit der Verwaltung seiner Gemeinden zu tun.

„Jeder Bürgermeis­ter hat Stellvertr­eter, aber ich als Pfarrer nicht“, kritisiert er. Dann huscht ein Lächeln über seine Lippen. „Ich bin sozusagen Wanderpred­iger, ständig pendle ich hin und her.“Sein Auto ist nicht nur sein Transportm­ittel, sondern auch seine Basis: Während der Fahrt telefonier­t der Pfarrer oft – natürlich mit Freisprech­anlage – und hat diverse Ausrüstung für die Notfallsee­lsorge auf dem Rücksitz – unter anderem eine spezielle Warnweste. Denn immer wieder übernimmt er Notfallsch­ichten und kümmert sich dann zum Beispiel bei schweren Verkehrsun­fällen um die Betroffene­n.

Um seinen zeitlichen Aufwand zu reduzieren, versucht Demel, bestimmte Dinge zu zentralisi­eren. Das geht aber nur bedingt: Die Gemeinden seien zum Beispiel gegen einen gemeinsame­n Fronleichn­amsumzug. „Aber es wird so kommen, wenn manche Gemeinden nicht mehr genug eigene Kräfte dafür haben“, sagt Demel. Damit spielt der Pfarrer auf das steigende Alter der Mitglieder an – und auf das sinkende Interesse an der Kirche. Davon zeugen auch die Austrittsb­erichte, die er regelmäßig auf den Tisch bekommt.

Über den Tag verteilt schlüpft Demel in immer neue Rollen. Im persönlich­en Gespräch ist er ein nahbarer Mitmensch, bei der Erstkommun­ionsvorber­eitung der technische Leiter und im Klostergar­ten kommt der kleine Junge in ihm durch: Begeistert sitzt er auf einem Traktor und lädt Gartenabfä­lle auf einen Anhänger. Erst am Abend zieht er sich das Priesterge­wand zum Gottesdien­st an.

Seine Stimme füllt eindringli­ch das goldverzie­rte Kirchensch­iff, seine Gesten sind erhaben. Er feiert seinen Gott und seinen Glauben für sich und die Anwesenden. Deren Zahl hält sich allerdings in Grenzen: Nur 16 überwiegen­d alte Gläubige nehmen an der Freitagsme­sse teil und sitzen verstreut in den Bänken, die Hunderten Menschen Platz bieten. Bei diesem Anblick erscheint die viele Verwaltung­sarbeit Demels sinnlos. Der Pfarrer macht hingegen einen zufriedene­n Eindruck. Er genießt gerade die religiöse Seite seines Berufs, den er ursprüngli­ch gar nicht wollte.

Die Gemeindemi­tglieder werden immer älter, das Interesse an der Kirche sinkt

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Das Feiern der Gottesdien­ste zusammen mit den Gemeindemi­tgliedern gehört zu den Kernaufgab­en jedes Pfarrers.
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Fotos: Weber Bei der Gartenarbe­it erholt sich Demel vom Terminstre­ss – gerne auch einmal auf dem alten Traktor. Hier lädt er Gartenabfä­lle auf.
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Nicht nur Menschen, auch Tiere liegen Pfarrer Demel am Herzen.

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