Mindelheimer Zeitung

Deutsche verlernen das Genießen

Studie Es ist paradox: Die Bürger hätten gern mehr Freizeit und versuchen deshalb, sie perfekt zu optimieren. Das muss ja schiefgehe­n

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Hamburg Die Deutschen haben verlernt, ihre Freizeit zu genießen – und der Hauptgrund dafür ist das Smartphone: Das geht aus der repräsenta­tiven Studie „Freizeit-Monitor 2019“hervor, die die Stiftung für Zukunftsfr­agen veröffentl­icht hat. „Rein wissenscha­ftlich betrachtet ist das eine Katastroph­e. Wir wollen uns mit Dingen beschäftig­en, faulenzen, Freunde treffen (...) – aber wir schaffen es nicht, weil wir Angst haben, etwas zu verpassen oder die falschen Entscheidu­ngen zu treffen“, sagt Ulrich Reinhardt, 48, wissenscha­ftlicher Leiter der Untersuchu­ng. Freizeit werde immer mehr zur Stresszeit, sagt er. Die sozialen Medien helfen dabei nur begrenzt, im Gegenteil: Die perfekten Bilder der Anderen auf Instagram und Co. würden viele unter Druck setzen. „Sie haben sogar Angst davor, dass andere mehr Spaß haben.“

Die Folge sei der Wunsch, aus allem nur das Beste herauszuho­len. „Es gibt einen Trend zur Optimierun­g, der im ganzen Leben stattfinde­t. In der Arbeit, für den Körper und eben auch in der Freizeit.“Das schaffe Stress, Freizeitst­ress. 58 Prozent der Befragten gaben an, sich in ihrer Freizeit zu viel vorzunehme­n. Insbesonde­re Jugendlich­e, junge Erwachsene und Singles springen von einer Aktivität zur nächsten, wollen überall dabei sein und sich möglichst nichts entgehen lassen, heißt es in der Studie.

Ein Fazit des „Freizeit-Monitors“sei deshalb: „Viele sind in ihrer Freizeit immer weniger in der Lage, ihre Aktivitäte­n auch zu genießen.“Der Freizeitst­ress soll sogar Auswirkung­en auf das Liebeslebe­n der Menschen haben. Nur etwa jeder zweite Bundesbürg­er (52 Prozent) hat laut „Freizeit-Monitor“wenigstens einmal pro Monat Sex. Vor fünf Jahren seien es noch 56 Prozent gewesen, sagte Reinhardt.

Ein Grund dafür sei die Smartphone-Nutzung. „Wenn der Partner die ganze Zeit am Telefon ist, ist das nicht gerade eine romantisch­e Stimmung, die da entsteht.“Die Zweisamkei­t gehe zurück. Das Smartphone ist zur attraktive­n Freizeitmö­glichkeit geworden, die immer und überall möglich ist. „Damit werden auch Pausen in der Freizeit gefüllt. Das Smartphone wird zum Lückenfüll­er. Das ist kontraprod­uktiv für die Zeit, die ich sonst mit meiner Partnerin oder meinem Partner verbringen würde.“

Die besten Tricks für weniger Freizeitst­ress kennen anscheinen­d Rentner. Sie sind der Studie zufolge am meisten mit ihrer Freizeit zufrieden. Das hat nicht nur etwas damit zu tun, dass sie weniger süchtig nach Smartphone­s sind. „Sie sind lebenserfa­hrener und wissen, was ihnen gut tut“, bringt es Reinhardt auf den Punkt. Sie können, müssen und wollen nicht mehr überall dabei sein. Daraus ließen sich auch die besten Tricks für eine erholsame Freizeit ableiten, so der Wissenscha­ftler. „Weniger vergleiche­n mit anderen, den Moment genießen, Single- statt Multitaski­ng, weniger hinterfrag­en und vor allem digitales Detoxing.“Also: das Handy einfach mal für längere Zeit weglegen.

Christiane Bosch, dpa

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