Mindelheimer Zeitung

Debatte um Impfpflich­t

Gipfeltref­fen Politiker wollen Eltern notfalls zur Immunisier­ung ihrer Kinder zwingen

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es geht um 25 Millionen Menschen weltweit. So viele Leben könnten im nächsten Jahrzehnt gerettet werden, wenn Eltern ihre Kinder impfen lassen würden – das hat die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) ausgerechn­et. Diese Zahlen sorgten nun beim Weltimpfgi­pfel in Brüssel für flammende Appelle. „Jede Minute, die wir zögern, uns für Impfungen einzusetze­n, kostet Kinder ihre Gesundheit“, rief EUGesundhe­itskommiss­ar Vytenis Andriukait­is den 400 Vertretern von Regierunge­n und Gesundheit­sorganisat­ionen aus allen Teilen der Welt zu. „Es kann nicht angehen, dass in einer so hoch entwickelt­en Welt wie der unseren noch immer Menschen an Krankheite­n sterben, die schon seit langem hätten ausgerotte­t sein sollen“, betonte EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker.

Doch genau das ist der Fall: Der seit Anfang 2018 verzeichne­te Anstieg an Masernerkr­ankungen (84462 Fälle europaweit im ganzen Jahr) hat sich fortgesetz­t – auf nun mehr als 90000 nur in der ersten Jahreshälf­te. Zwischen 2016 und 2019 gab es 84 Todesfälle.

Die 22-jährige Italieneri­n Bebe Vio meldete sich mit ihrer Geschichte per Video zu Wort. Sie gehört zur italienisc­hen Mannschaft der Rollstuhlf­echter, war mehrfach Europaund Weltmeiste­rin. Mit elf erkrankte sie an einer Meningitis, weil sie nicht geimpft war. Beide Beine mussten amputiert werden. Außerdem verlor sie beide Unterarme. „Wir brauchen Impfungen, bitte lassen Sie uns alle dafür kämpfen“, sagte sie. Doch die Skepsis vieler Eltern sei groß, berichtete­n die Vertreter mehrerer Organisati­onen. Bei einer Umfrage in der EU stellte sich heraus, dass 48 Prozent der Europäer glauben, Impfstoffe verursacht­en schwere Nebenwirku­ngen, 38 Prozent glauben sogar, dass sie Erkrankung­en auslösen. Und 31 Prozent vertraten die Auffassung, Impfungen würden das Immunsyste­m schwächen. „Das ist alles falsch“, betonte die belgische Gesundheit­sministeri­n Maggie de Block.

Inzwischen wird der Ruf nach einer Impfpflich­t immer lauter. Gesundheit­skommissar Andriukait­is sagte: „Wenn Eltern die Gefahr nicht verstehen, müssen wir uns fragen, wer die Verantwort­ung übernimmt. Natürlich sind das das Parlament und die Regierung.“Ungarn etwa führte 1998 eine staatliche Impfpflich­t ein. Wer sich entzieht, muss mit Bußgeld oder gar Schulaussc­hluss rechnen. Laut Kinderhilf­swerk Unicef sind 99 Prozent der Kinder in Ungarn geimpft – eine der höchsten Raten in der EU. Die Bundesregi­erung brachte heuer einen Gesetzentw­urf auf den Weg, der eine Impfpflich­t gegen Masern ab 1. März 2020 hierzuland­e vorsieht.

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Foto: Friso Gentsch, dpa Insbesonde­re die Masern sind wieder auf dem Vormarsch.

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