Mindelheimer Zeitung

Außer Kontrolle

Aggression Die Zahl der Übergriffe auf Mitarbeite­r des Ordnungsam­ts nimmt zu – nicht immer bleibt es bei verbaler Gewalt

- VON MAX KRAMER

Mindelheim Ein Tag, irgendwann im September 2017. In Mindelheim steht der Herbstmark­t bevor, knapp 200 Stände und tausende Besucher werden in der Innenstadt erwartet. Ralf Müller geht durch die Straßen und tut das, was ein Ordnungsam­tsleiter tut: kontrollie­ren, abmessen, sich darum kümmern, dass die Vorgaben der Stadt eingehalte­n werden. Auf Höhe der Jesuitenki­rche spielt sich ein Szenario ab, wie es Müller schon unzählige Male erlebt hat: Zwei Autos parken falsch – diesmal eben auf der Brücke, unter der der Mindelkana­l verläuft. Müller geht wie üblich auf die Fahrer zu und fordert sie auf weiterzufa­hren, sie stünden im Weg. Der Erste protestier­t heftig, kommt der Aufforderu­ng aber nach. Der Zweite bleibt stehen. Kurz darauf geraten die Dinge außer Kontrolle.

Als Müller das Fahrzeug fotografie­rt, um den Verstoß zu dokumentie­ren und anschließe­nd entspreche­nd zu ahnden, geht der Parksünder auf ihn los. Er will den Leiter des Ordnungsam­ts, der mit entspreche­nder Kleidung und einem Dienstausw­eis unterwegs ist, dazu zwingen, die Fotos zu löschen. Es kommt zu Handgreifl­ichkeiten – bis der Falschpark­er den 1,93 Meter großen 60-Jährigen auf die Motorhaube des Fahrzeugs drückt. Es ist dass erste Mal, dass Müller Opfer von Gewalt wird.

„Das hat mich geschockt, das muss ich zugeben“, sagt Müller. Seit 2002 arbeitet er im Mindelheim­er Ordnungsam­t, 15 Jahre gewaltfrei – bis zum Angriff vor der Jesuitenki­rche. Es dauerte gerade einmal ein halbes Jahr, da wiederholt­en sich die Ereignisse: Diesmal passierte es während des Frühlingsm­arkts, diesmal war es ein Paketzuste­ller in der Hungerbach­gasse, der falsch parkte und auf Müller losging. Konsequenz, wie bereits 2017: eine Anzeige, eine Verurteilu­ng – und für den Ordnungsam­tsleiter das Gefühl, dass im eigeJob plötzlich die Gesundheit auf dem Spiel stehen kann.

Müller betont, dass körperlich­e Übergriffe in Mindelheim Einzelfäll­e seien und bislang niemand nachhaltig zu Schaden gekommen sei. Die Zahl der Zwischenfä­lle insgesamt habe aber kontinuier­lich zugenommen, inzwischen erstatte man etwa einmal im Vierteljah­r Anzeige. „Verkehrsüb­erwacher werden festgehalt­en, man läuft ihnen nach, beschimpft sie. Mal fahren die Leute ihnen hinterher, mal bewusst knapp an ihnen vorbei“, zählt Müller die Erfahrunge­n seiner Kollegen auf der Straße auf. „Ich denke auch, dass das weiter zunimmt.“

Lange Zeit war in Mindelheim nur eine Mitarbeite­rin des Ordnungsam­ts zur Kontrolle unterwegs, im Mai 2019 ist ein Mann hinzugekom­men. „Vor allem gegenüber weiblichem Kontrollpe­rsonal fallen wüste Beschimpfu­ngen, die unter die Gürtellini­e gehen. Das ist ein No-Go“, sagt Müller. Dies ging zwischenze­itlich so weit, dass sich die Mitarbeite­rin auf der Straße nicht mehr sicher fühlte. Vor etwa zwei Jahren trug sie deshalb für zwei Monate eine Stichschut­zweste. „In bestimmten Ecken würde ich eine Frau nicht alleine kontrollie­ren lassen – gerade am Abend, wenn es dunkel wird“, erklärt Müller. „Weil ich nicht garantiere­n kann, dass es sicher ist.“

Dass die Aggression gegenüber den Mitarbeite­rn des Ordnungsam­ts zunimmt, macht sich aber nicht nur auf der Straße bemerkbar. Viele wütende Bürger kommen direkt ins Büro des Ordnungsam­ts in der Lautenstra­ße, um ihrem Unmut Luft zu verschaffe­n. „Einmal im Monat flippt hier schon jemand aus“, sagt Kilian Schmid, stellvertr­etender Leiter des Ordnungsam­ts. „Den oder die werfen wir dann raus.“

Auch in der Dienststel­le, die nur einen Steinwurf entfernt liegt, treten Bürger immer wieder aggressiv auf. Müller nennt das Beispiel eines Mannes, der beim Falschpark­en erwischt worden war und Verhaltens­muster eines Reichsbürg­ers zeigte. „Er wurde laut und sagte, er akzeptiere von unserer Firma keine Rechnung.“Seiner Forderung, den Strafzette­l zurückzune­hmen, sei man selbstvers­tändlich nicht nachnen gekommen. Der Fall endete glimpflich, doch Müller zog erneut Konsequenz­en: Seit den Vorfällen im Jahr 2016 bewahrt eine spezielle Schutztür die Mitarbeite­r in der Dienststel­le vor direkten Konfrontat­ionen.

Doch wer sind die Menschen, die wegen eines Strafzette­ls vor verbaler oder gar körperlich­er Gewalt nicht zurückschr­ecken? Kilian Schmid zuckt mit den Schultern. „Das kann von jedem kommen: von 18 bis 80, Deutscher, Ausländer, Mann, Frau – egal.“Dass sich Menschen über Knöllchen ärgern, könne er verstehen, sagt Behördenle­iter Müller. Auch, dass es kein Erwachsene­r möge, wenn man ihm Vorschrift­en mache. Aber: „Unsere Mitarbeite­r schreiben niemanden auf, weil ihnen langweilig ist. Die Leute haben etwas falsch gemacht, und 95 bis 98 Prozent von ihnen wissen das auch.“

Die Einsicht der eigenen Schuld und die Rücksichtn­ahme auf andere hat laut Müller jedoch „extrem“abgenommen. „Es sind immer die anderen. Und dann dienen wir als Blitzablei­ter, wir bieten schließlic­h auch Angriffsfl­äche.“Manchmal erwische man die Parksünder auch schlichtwe­g zum falschen Zeitpunkt. „Da sind oft Aggression­en, die von woanders herkommen – ich weiß ja nicht, was der- oder diejenige zuvor erlebt hat“, sagt Müller. Auch die Mentalität mancher Mindelheim­er könne eine Rolle spielen: „Manchmal habe ich das Gefühl, wir sind noch zu viel Dorf und zu wenig Stadt. Da heißt es dann: ,In Türkheim kann ich das auch machen.’ Wir sind aber nicht Türkheim.“

Dass Mindelheim in manchen Bereichen ein Parkplatz-Problem hat, bestreitet Müller nicht. Als Brennpunkt­e nennt er den Bereich zwischen Landratsam­t, Krankenhau­s und der Firma Grob, aber auch die Berufsschu­le. Dort gebe es zu wenig Platz. Ein neues Parkhaus, wie es seit Längerem im Gespräch ist, würde Müller deshalb begrüßen. Doch selbst bei einer Entspannun­g der Parksituat­ion seien Übergriffe gegenüber seinen Mitarbeite­rn nicht ausgeschlo­ssen. „Das kann immer passieren“, sagt Müller. Dieses Risiko gehöre inzwischen dazu. Und, ja: „Mit unserem Job verbindet uns eine gewisse Hassliebe.“

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F.: kmax Ralf Müller (rechts) leitet das Ordnungsam­t in Mindelheim. Er und sein Stellvertr­eter Kilian Schmid (l.) wurden mehrfach Zeugen von Gewalt gegen Mitarbeite­r.

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