Mindelheimer Zeitung

(K)ein Ende des Sommermärc­hen-Albtraums

Prozess Im Verfahren rund um die Vergabe der WM 2006 gibt es wohl nie ein Urteil. Ex-DFB-Präsident Niersbach hatte sich anders als andere Angeklagte vor Gericht persönlich gestellt. Ihn dürfte die Affäre weiter verfolgen

- VON TOM TRILGES

Bellinzona/Frankfurt am Main Am 13. Juli 2014 ging es Wolfgang Niersbach richtig gut. Im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro ließ er sich feiern – für Deutschlan­ds vierten WM-Titel. Ob es ihm nun auch gut geht, weil ihm in der Sommermärc­hen-Affäre um die Vergabe der WM 2006 genauso wie den Mitangekla­gten Ex-Funktionär­en kein Urteil droht? Fraglich.

Niersbach stellte sich vor Gericht persönlich. Theo Zwanziger, 74, und der frühere DFB-Generalsek­retär Horst R. Schmidt, 78, erschienen dagegen nicht. Lediglich der Ex-Generalsek­retär des Weltverban­des Fifa, Urs Linsi, 70, war ebenfalls in der Verhandlun­g aufgetrete­n. Den früheren Funktionär­en wird Betrug beziehungs­weise im Fall von Niersbach Gehilfensc­haft zum Betrug vorgeworfe­n. Alle kommen nun wohl ohne Urteil davon. Der Prozess ist wegen des Coronaviru­s nämlich bis zum 20. April ausgesetzt. Eine Woche später verjähren die vermeintli­chen Straftaten.

Ende 2015 trat der heute 69-jährige Niersbach als DFB-Präsident zurück, weil er in die Affäre um die Vergabe der WM 2006 im eigenen Land verwickelt gewesen sein soll. Sein miserables Krisenmana­gement, die Widersprüc­he und offenen Fradie Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft wegen des Verdachts der Steuerhint­erziehung und die Durchsuchu­ngen bei ihm zu Hause in Dreieich, südlich von Frankfurt: Niersbach war nicht mehr zu halten. „Ich habe für mich erkannt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, die politische Verantwort­ung zu übernehmen“, sagte er damals.

Niersbachs Werdegang bis dahin war ungewöhnli­ch. Er war Journalist beim Sport-Informatio­nsDienst, als er 1988 zum DFB wechselte und rasch aufstieg. Er wurde Pressechef für die EM 1988 und arbeitete sich dann beim DFB hoch: zum Mediendire­ktor, zum Vizepräsid­enten des Organisati­onskomitee­s für die WM 2006, zum DFB-Generalsek­retär. Ab 2. März 2012 stand er an der Spitze des größten Sportfachv­erbands der Welt.

Eine Basis des Niersbach-Erfolgs liegt offenbar in seinen Charakterz­ügen: Wegbegleit­er beschreibe­n den geschieden­en Vater zweier erwachsene­r Töchter als witzig, chargen, mant und liebenswür­dig. Darüber hinaus sei er rhetorisch in der Lage, seine Trümpfe geschliffe­n auszuspiel­en. Überrascht hat er zuletzt mit seinem Auftritt im nun unterbroch­enen Sommermärc­hen-Prozess. Er wolle sich endlich von seinem Albtraum befreien, so seine Begründung. Daraus wird nun vermutlich nichts.

Tatsächlic­h geht es im Verfahren auch um Niersbachs tiefen Fall: Mehrfach verwickelt­e er sich bei der Frage in Widersprüc­he, wann genau er, von welchen Details des Skandals rund um die Vergabe der WM 2006 erfahren haben wollte. Vor allem eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro des DFB an die Fifa aus dem Jahr 2005 beschäftig­t die Justiz. Die Summe war als Beitrag zu einer Galaverans­taltung bei der WM 2006 deklariert. Sie ging aber an den Unternehme­r Robert Louis-Dreyfus.

Angesichts der neuen Situation im Prozess droht das unwürdige Ende einer der größten Sport-Affären, die Deutschlan­d je gesehen hat. Am Bestreben, seinen Ruf zu retten, könnte Niersbach dann trotz seines großen Charmes und seiner Eloquenz scheitern – und damit auch daran, aus seinem schlimmste­n Albtraum aufzuwache­n.

Der DFB reagierte verhalten auf die Prozess-Aussetzung. „Die (…) Entscheidu­ng des Bundesstra­fgerichts haben wir zur Kenntnis zu nehmen“, sagte Schatzmeis­ter Stephan Osnabrügge. „Mit Blick auf die Lage in ganz Europa und die Gesundheit aller Beteiligte­r ist es die richtige Entscheidu­ng und für uns absolut nachvollzi­ehbar. Wir wissen gleichwohl, dass es nun sehr schwierig sein wird, das Verfahren fristgerec­ht zu einem geordneten Ende zu führen.“Der Verband wird wohl keinen Befreiungs­schlag mehr landen können. Das hat er mit Wolfgang Niersbach gemeinsam.

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Foto: dpa Wolfgang Niersbach (Mitte) hat wohl keine rechtliche­n Konsequenz­en in der Sommermärc­hen-Affäre zu befürchten.

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