(K)ein Ende des Sommermärchen-Albtraums
Prozess Im Verfahren rund um die Vergabe der WM 2006 gibt es wohl nie ein Urteil. Ex-DFB-Präsident Niersbach hatte sich anders als andere Angeklagte vor Gericht persönlich gestellt. Ihn dürfte die Affäre weiter verfolgen
Bellinzona/Frankfurt am Main Am 13. Juli 2014 ging es Wolfgang Niersbach richtig gut. Im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro ließ er sich feiern – für Deutschlands vierten WM-Titel. Ob es ihm nun auch gut geht, weil ihm in der Sommermärchen-Affäre um die Vergabe der WM 2006 genauso wie den Mitangeklagten Ex-Funktionären kein Urteil droht? Fraglich.
Niersbach stellte sich vor Gericht persönlich. Theo Zwanziger, 74, und der frühere DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, 78, erschienen dagegen nicht. Lediglich der Ex-Generalsekretär des Weltverbandes Fifa, Urs Linsi, 70, war ebenfalls in der Verhandlung aufgetreten. Den früheren Funktionären wird Betrug beziehungsweise im Fall von Niersbach Gehilfenschaft zum Betrug vorgeworfen. Alle kommen nun wohl ohne Urteil davon. Der Prozess ist wegen des Coronavirus nämlich bis zum 20. April ausgesetzt. Eine Woche später verjähren die vermeintlichen Straftaten.
Ende 2015 trat der heute 69-jährige Niersbach als DFB-Präsident zurück, weil er in die Affäre um die Vergabe der WM 2006 im eigenen Land verwickelt gewesen sein soll. Sein miserables Krisenmanagement, die Widersprüche und offenen Fradie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung und die Durchsuchungen bei ihm zu Hause in Dreieich, südlich von Frankfurt: Niersbach war nicht mehr zu halten. „Ich habe für mich erkannt, dass der Zeitpunkt gekommen ist, die politische Verantwortung zu übernehmen“, sagte er damals.
Niersbachs Werdegang bis dahin war ungewöhnlich. Er war Journalist beim Sport-InformationsDienst, als er 1988 zum DFB wechselte und rasch aufstieg. Er wurde Pressechef für die EM 1988 und arbeitete sich dann beim DFB hoch: zum Mediendirektor, zum Vizepräsidenten des Organisationskomitees für die WM 2006, zum DFB-Generalsekretär. Ab 2. März 2012 stand er an der Spitze des größten Sportfachverbands der Welt.
Eine Basis des Niersbach-Erfolgs liegt offenbar in seinen Charakterzügen: Wegbegleiter beschreiben den geschiedenen Vater zweier erwachsener Töchter als witzig, chargen, mant und liebenswürdig. Darüber hinaus sei er rhetorisch in der Lage, seine Trümpfe geschliffen auszuspielen. Überrascht hat er zuletzt mit seinem Auftritt im nun unterbrochenen Sommermärchen-Prozess. Er wolle sich endlich von seinem Albtraum befreien, so seine Begründung. Daraus wird nun vermutlich nichts.
Tatsächlich geht es im Verfahren auch um Niersbachs tiefen Fall: Mehrfach verwickelte er sich bei der Frage in Widersprüche, wann genau er, von welchen Details des Skandals rund um die Vergabe der WM 2006 erfahren haben wollte. Vor allem eine Zahlung von 6,7 Millionen Euro des DFB an die Fifa aus dem Jahr 2005 beschäftigt die Justiz. Die Summe war als Beitrag zu einer Galaveranstaltung bei der WM 2006 deklariert. Sie ging aber an den Unternehmer Robert Louis-Dreyfus.
Angesichts der neuen Situation im Prozess droht das unwürdige Ende einer der größten Sport-Affären, die Deutschland je gesehen hat. Am Bestreben, seinen Ruf zu retten, könnte Niersbach dann trotz seines großen Charmes und seiner Eloquenz scheitern – und damit auch daran, aus seinem schlimmsten Albtraum aufzuwachen.
Der DFB reagierte verhalten auf die Prozess-Aussetzung. „Die (…) Entscheidung des Bundesstrafgerichts haben wir zur Kenntnis zu nehmen“, sagte Schatzmeister Stephan Osnabrügge. „Mit Blick auf die Lage in ganz Europa und die Gesundheit aller Beteiligter ist es die richtige Entscheidung und für uns absolut nachvollziehbar. Wir wissen gleichwohl, dass es nun sehr schwierig sein wird, das Verfahren fristgerecht zu einem geordneten Ende zu führen.“Der Verband wird wohl keinen Befreiungsschlag mehr landen können. Das hat er mit Wolfgang Niersbach gemeinsam.