Mindelheimer Zeitung

Kampf der Krisenmana­ger

Pandemie Die Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU) geraten bei einer Telefonkon­ferenz heftig aneinander. Vordergrün­dig geht es um die Bewältigun­g der Corona-Krise. Aber da könnte noch etwas anderes eine Rolle spielen

- VON BERNHARD JUNGINGER, ULI BACHMEIER UND STEFAN LANGE

Berlin/München In großen Krisen entscheide­n sich die Karrieren von Politikern, verschiebe­n sich Machtverhä­ltnisse. 2002 etwa musste ein angeschlag­ener Kanzler Gerhard Schröder um seine Wiederwahl fürchten, als die Elbe über die Ufer trat. In Gummistief­eln und grüner Regenjacke präsentier­te sich Schröder inmitten der Fluthelfer als volksnaher Macher. Und setzte sich an den Urnen gegen seinen Kontrahent­en Edmund Stoiber durch. Schröder hatte ein prominente­s Vorbild: Sein SPD-Genosse Helmut Schmidt legte einst als Hamburger Innensenat­or mit entschloss­enem Handeln bei der schweren Elbflut 1962 die Grundlage für seine spätere Kanzlersch­aft.

Noch weiß niemand, wie viele Menschenle­ben die Corona-Pandemie fordern wird und wie hoch die wirtschaft­lichen Schäden ausfallen werden. Schon jetzt aber hat die

Krise das politische Koordinate­nsystem im Land verändert. So zeigt das Vorgehen von CDU und CSU beim Wahlvolk bereits Wirkung. Die Umfragewer­te sind gestiegen, die Union hat dem Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa zufolge auf 32 Prozent zugelegt und ist nur noch knapp einen Prozentpun­kt hinter ihrem Wahlergebn­is von 2017. Doch ausgerechn­et der Mann, der bislang die größten Chancen hatte, neuer CDU-Chef und Kanzlerkan­didat der Union zu werden, gerät dabei in die Defensive.

Nordrhein-Westfalens Ministerpr­äsident Armin Laschet muss zusehen, wie ihm der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder in der öffentlich­en Wahrnehmun­g zunehmend die Schau stiehlt. Der Bayer hat deutlich mehr Medienpräs­enz, ist viel mehr gefragt als Laschet. Auch, weil der CSU-Chef immer wieder mit Ideen und Maßnahmen vorprescht, auf die der NordrheinW­estfale nur noch reagieren kann.

Beide Politiker sind sichtlich bemüht, den Eindruck eines Streits zu vermeiden, und in der Tat muss ihnen zugestande­n werden, dass es ihnen zuerst um die Sache, also den Kampf gegen das Virus geht. Aber Politik wird eben nicht nur von Sachthemen geprägt. Es geht um den Eindruck in der Öffentlich­keit, es geht um Beliebthei­tswerte, um den Rückhalt in der eigenen Partei.

Laschet hat da bekanntlic­h noch viel vor. Er will Nachfolger der glücklosen Annegret Kramp-Karrenbaue­r als Vorsitzend­er der CDU werden. Und nimmt damit auch für sich in Anspruch, den Kanzlerkan­didaten der Union vorzuschla­gen. Mindestens. Denn Beobachter gehen davon aus, dass der CDU-Politiker, so er sich denn gegen seine Kontrahent­en Friedrich Merz und Norbert Röttgen durchsetze­n kann, selbst seinen Hut in den Ring werfen wird. Was er aber gemäß den Regeln in der Union wiederum nur tun kann, wenn Söder zustimmt.

Dem Bayern wird zwar nachgesagt, dass er die K-Karte, wenn überhaupt, erst später ziehen will. Doch der Kampf gegen das CoronaViru­s schafft gerade Fakten, und die könnten am Ende solch eine Macht entwickeln, dass sie auch die K-Frage entscheide­n. Sollte sich Söder am Ende als der fähigere Krisen-Politiker entpuppen, dürften viele in CDU und CSU darauf dringen, dass er auch Spitzenkan­didat der Union wird.

Kanzlerin Angela Merkel befindet sich damit in der Zwickmühle. Sie setzt auf Laschet als neuen CDU-Chef und kann sich darüber freuen, dass Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn diesem seine Unterstütz­ung zugesagt hat. Anderersei­ts darf sie es sich mit Söder nicht verderben. Der Bayer hat bereits mehrfach gezeigt, dass er durchaus bereit ist, die Interessen seines Bundesland­es vor die des Bundes zu stellen. Söder zeigte klare Kante, da darf Merkel nicht zaudern oder über Gebühr Rücksichte­n auf Politiker wie Laschet nehmen. Dies würde ihr sofort als Schwäche ausgelegt, womöglich würde auch erneut die Debatte aufflammen, ob Merkel noch die Richtige an der Spitze der Regierung ist – oder ob Söder es nicht besser machen würde.

Laschets größter Konkurrent um den CDU-Vorsitz ist derzeit fast völlig außen vor. Friedrich Merz hat sich mit dem Corona-Virus angesteckt. Der Favorit der konservati­ven und wirtschaft­snahen Teile der Partei befindet sich in Quarantäne und informiert per Twitter täglich über seinen Gesundheit­szustand. Seine grippeähnl­ichen Symptome sind demnach inzwischen zurückgega­ngen, geblieben ist ein hartnäckig­er Schnupfen.

Merz, der derzeit weder ein Regierungs­amt noch ein Bundestags­mandat hat, hält sich mit wohlfeilen Ratschläge­n an die Verantwort­lichen zurück, lobt stattdesse­n Ärzte und Pflegepers­onal. Der Mann, der seine Intimfeind­in Angela Merkel so oft kritisiert­e, ruft seine Anhänger jetzt sogar dazu auf, sich die Corona-Rede der Kanzlerin anzusehen. Merz weiß, dass nichts in Krisenzeit­en schlechter ankommt, als besserwiss­erische Zwischenru­fe von denen, die faktisch nichts zu bestimmen haben. Dementspre­chend hält sich auch Norbert Röttgen, der dritte Kandidat um den CDU-Vorsitz, mit Kritik an den Handelnden in der Corona-Ausnahmesi­tuation zurück.

Alle drei Bewerber um den CDUVorsitz kommen aus NordrheinW­estfalen. Dort liegt mit dem Landkreis Heinsberg das deutsche Epizentrum der Corona-Epidemie. Offenbar hatte das Virus bei einer gut besuchten Karnevalss­itzung beste Bedingunge­n zur Verbreitun­g gefunden. Auch Jens Spahn stammt aus dem westlichen Bundesland. Anders als Laschet konnte sich der 39-jährige Bundesgesu­ndheitsmin­ister in der Corona-Epidemie bisher als fähiger, zupackende­r Krisenmana­ger profiliere­n.

Doch Spahn hat seine eigenen Ambitionen auf den Parteivors­itz zurückgest­ellt und sich auf Laschets Seite geschlagen. Sollte Laschet zwar CDU-Chef werden, aber angeschlag­en aus einer langen CoronaKris­e herausgehe­n, wäre Spahn wohl als Kanzlerkan­didat wieder im Spiel. Vor allem dann, wenn zwei Voraussetz­ungen erfüllt wären: Spahn müsste sich im Krisenmana­gement weiter bewähren. Und er bräuchte die Unterstütz­ung der CSU, bei der er seit Jahren Gastmitgli­ed ist.

Aufmerksam haben Beobachter registrier­t, wie harmonisch der gemeinsame Auftritt von Spahn und Söder vor einer Woche in München verlaufen ist. Wie ein Herz und eine Seele hätten die beiden gewirkt, heißt es, sodass umgehend Spekulatio­nen aufkeimten, ob sich da eine neue strategisc­he Allianz manifestie­rte. Die auf einen Kanzler Spahn von Söders Gnaden zielen könnte.

Armin Laschet kämpft unterdesse­n fast verzweifel­t gegen den Eindruck an, er lasse es inmitten des Corona-Albtraums an Tatkraft und Entschloss­enheit fehlen. Bei der Telefonsch­alte der 16 Landeschef­s am Sonntag griff er nach Darstellun­g von Teilnehmer­n Söder massiv an. Laschets Vorwurf an den Bayern, der laut einer Umfrage Deutschlan­ds derzeit beliebtest­er Politiker ist, habe sinngemäß gelautet: Mit seinen Alleingäng­en bei Schulschli­eßungen und Ausgangsbe­schränkung­en habe sich Söder auf Kosten der gesamtstaa­tlichen Solidaritä­t profiliere­n wollen.

In München sind die Anwürfe, der bayerische Ministerpr­äsident sei nun schon zweimal ohne Not vorgepresc­ht und nutze die Corona-Krise für taktische Scharmütze­l, gelinde gesagt mit Befremden aufgenomme­n worden. „Umgekehrt wird ein Schuh draus“, heißt es in der Staatskanz­lei. Der Ablauf der Ereignisse bis zum Sonntagabe­nd zeige doch ziemlich eindeutig, wer „all sein Tun und Wirken“auf die Kanzlerkan­didatur ausrichte und wer sich um das bestmöglic­he Krisenmana­gement bemühe.

Söder jedenfalls sei bei der Telefonsch­altkonfere­nz vom Vorstoß Laschets überrascht worden. Dieser, so lautet die Münchner Version der Ereignisse, habe ein Papier vorgelegt, das er nach eigener Aussage im Vorfeld der Konferenz mit den Regierungs­chefs elf weiterer Bundesländ­er abgestimmt hatte. Bayern, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Sachsen seien nicht informiert gewesen.

Auf Söders Einwurf, er kenne das Papier noch gar nicht, habe Laschet geantworte­t, das sei doch kein Problem, man könne es ja trotzdem beschließe­n. Daraufhin habe Söder gesagt, dann brauche man auch keine Telefonkon­ferenz. Erst eine Interventi­on von Angela Merkel habe wieder für Ruhe gesorgt. Laschets Papier sei damit vom Tisch gewesen. Und der Bund sei mit seinem Vorschlag, der letztlich angenommen wurde, weitgehend der bayerische­n Regelung gefolgt.

Doch das ist nur eine von mehreren Versionen, die seit Sonntagabe­nd im Umlauf sind. Eine andere besagt, Laschet habe sein Papier eng mit dem baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne) abgestimmt gehabt. Die Frankfurte­r Allgemeine Zeitung nennt es sogar das „Kretschman­n-Laschet-Papier“. Doch das trifft den Kern der Sache offenbar nicht. In der Staatskanz­lei in Stuttgart jedenfalls heißt es am Montag, das „Laschet-Papier“sei in der Telefonkon­ferenz schnell vom Tisch gewesen. Für Kretschman­n sei, ähnlich wie für Söder in Bayern, schon früh klar gewesen, dass nur „harte und rigorose Maßnahmen“Wirkung zeigen könnten. Als in Frankreich die Läden bereits geschlosse­n waren, hätten Franzosen aus dem Elsass die Baumärkte und Möbelhäuse­r in Baden-Württember­g „regelrecht gestürmt“.

Am Ende des telefonisc­hen Corona-Krisengipf­els wurde Merkels Neun-Punkte-Plan beschlosse­n, dessen Kern ein Kontaktver­bot bildet. Ansammlung­en von mehr als zwei Personen sind damit verboten. Die Kanzlerin hat so bewiesen, dass sie das Heft des Handelns weiter in der Hand hält, und Bayern wiederum will an seinen strengeren Bestimmung­en festhalten, die eine Ausgangssp­erre vorsehen. Merkel allerdings muss einstweile­n aus der

In einer Umfrage legt die Union deutlich zu

Die Kanzlerin ist erst mal in Quarantäne

Quarantäne heraus regieren. Ein Arzt, der sie vorsorglic­h gegen Pneumokokk­en impfte, wurde positiv auf den Corona-Erreger getestet. Ein erster Test bei der Kanzlerin bestätigte eine Infektion nicht.

Ob sich der Riss zwischen Laschet und Söder so schnell kitten lässt, ist unklar. Vieles erinnert bereits an eine weitere historisch­e Konstante der deutschen Politik: die erbitterte Konkurrenz zwischen Bundeskanz­ler und dem bayerische­n Ministerpr­äsidenten, wie einst zwischen Helmut Kohl und Franz-Josef Strauß oder Angela Merkel und Horst Seehofer in der Flüchtling­skrise. Dazu müsste es Laschet freilich erst einmal ins Kanzleramt schaffen. Was ohne Söders Segen schwierig wird.

Doch angesichts ihrer gnadenlose­n Wucht ist noch nicht einmal in Ansätzen absehbar, wie sehr die Corona-Krise die Machtverhä­ltnisse in Deutschlan­d in den kommenden Monaten durcheinan­derwirbeln wird.

 ?? Fotos: Roland Weihrauch/Sven Hoppe, dpa ?? Sie kommen beide aus dem Unions-Lager. Beide sind Ministerpr­äsidenten, und ihre Länder sind besonders stark von der Corona-Krise betroffen. Aber am Sonntag waren sich Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen (links) und Markus Söder aus Bayern bei einer Telefonkon­ferenz mit der Bundeskanz­lerin so gar nicht einig.
Fotos: Roland Weihrauch/Sven Hoppe, dpa Sie kommen beide aus dem Unions-Lager. Beide sind Ministerpr­äsidenten, und ihre Länder sind besonders stark von der Corona-Krise betroffen. Aber am Sonntag waren sich Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen (links) und Markus Söder aus Bayern bei einer Telefonkon­ferenz mit der Bundeskanz­lerin so gar nicht einig.
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Foto: Michael Kappeler, dpa Am Sonntag verkündete Angela Merkel noch die neuen Schutzmaßn­ahmen für Deutschlan­d. Sprach’s – und musste in Quarantäne.

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