Mindelheimer Zeitung

Verschwöru­ngstheorie­n sollen vom Versagen ablenken

Hintergrun­d Kein Land im Nahen Osten ist derart hart vom Coronaviru­s betroffen wie der Iran. Jetzt fordert Teheran von den USA das Ende der Sanktionen. Besteht jetzt die Chance für vertrauens­bildende Maßnahmen?

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Im Iran stirbt alle zehn Minuten ein Mensch an den Folgen des Coronaviru­s – kein anderes Land im Nahen Osten leidet so schwer unter der Pandemie wie die Islamische Republik. Deshalb wird der Ruf nach einer vorübergeh­enden Aufhebung der amerikanis­chen Wirtschaft­ssanktione­n gegen das Land lauter. Auch die Führung in Teheran fordert ein Ende der Zwangsmaßn­ahmen und lehnt alle anderen US-Hilfsangeb­ote ab. Bisher lässt Washington jedoch keine Kompromiss­bereitscha­ft erkennen.

Die iranische Führung benutzt den Verweis auf die US-Sanktionen, um sich gegen den Vorwurf des Versagens bei der Bekämpfung des Virus zu verteidige­n. Einfuhrbes­chränkunge­n seien der Grund dafür, dass viele medizinisc­he Hilfsmitte­l fehlten, sagt Teheran. Hilfe aus den USA anzunehmen komme nicht in Frage, betonte Revolution­sführer Ali Khamenei am Wochenende. Der 80-Jährige verbreitet­e in einer Fernsehred­e eine Verschwöru­ngstheorie, nach der die USA das Virus produziert haben, und zwar „mit genetische­n Daten der Iraner“, um auf dieser Weise dem Iran zu schaden. Kritiker halten der iranischen Regierung vor, die Gefahr lange verkannt und dann vertuscht und verharmlos­t zu haben. Trotz mehr als 1800 Todesopfer­n und rund 23 000 Infizierte­n gibt es keine strengen Ausgangssp­erren wie in anderen Ländern.

US-Präsident Donald Trump hat dem Iran grundsätzl­ich Hilfe der USA angeboten, doch Teheran winkt ab. Wenn Amerika wirklich helfen wolle, dann solle es die Sanktionen aufheben, sagte Staatspräs­ident Hassan Rohani am Montag im Fernsehen. Wegen der US-Sanktionen kann der Iran nur noch wenig Öl exportiere­n, um Devisen zu verdienen. Die relativ kleine Menge Öl, die trotz des Drucks aus Washington noch verkauft werden kann, bringt dem Iran wegen des derzeitige­n Absturzes des Ölpreises weniger Geld ein als in normalen Zeiten.

Eine rasche Verständig­ung zwischen Teheran und Washington ist dennoch unwahrsche­inlich, denn die Spannungen zwischen beiden Ländern eskalieren wieder. Vorige Woche griffen die USA proiranisc­he Milizen im Irak an, die für einen Raketenang­riff auf einen US-Militärstü­tzpunkt verantwort­lich gemacht wurden. Bei den Raketenein­schlägen waren zwei amerikanis­che Soldaten und eine britische Soldatin ums Leben gekommen.

Iran-Hardliner in den USA lehnen deshalb jede Entspannun­g ab. Wenn proiranisc­he Milizen westliche Soldaten töteten, sei ein Nachlassen des wirtschaft­lichen Drucks genau das falsche Signal, sagte Mark Dubowitz, Chef der US-Denkfabrik FDD, der New York Times.

Allerdings könnte für die USA zumindest eine Unterbrech­ung von Trumps „maximalem Druck“auf den Iran ratsam ein. Wenn Washington etwa beim Internatio­nalen Währungsfo­nds die Bereitstel­lung eines vom Iran beantragte­n Notkredits in Höhe von fünf Milliarden Dollar blockieren sollte, dann könnten sich die USA „nur schwer gegen den Eindruck wehren, unmenschli­ch zu handeln“, schrieben die IranExpert­en Robert Malley und Ali Vaez im Magazin Foreign Policy. Außerdem könnte eine weitere Ausbreitun­g des Virus in der Weltgegend die amerikanis­chen Verbündete­n am Golf wie Saudi-Arabien und die Vereinigte­n Arabischen Emirate (VAE) bedrohen.

Mehr als zwei Dutzend amerikanis­che und internatio­nale Verbände und Denkfabrik­en appelliert­en in einem offenen Brief an die TrumpRegie­rung, die Sanktionen auszusetze­n. Malley und Vaez sehen sogar die Möglichkei­t, die Coronaviru­sKrise für den Beginn vertrauens­bildender Maßnahmen zu nutzen. Als Beispiele nannten sie einen Gefangenen­austausch und einen Verzicht des Iran auf einen weiteren Ausbau seines Atomprogra­mms.

Bisher ignoriert Washington die Kompromiss­vorschläge. Außenminis­ter Michael Pompeo, ein führender Iran-Hardliner in Trumps Kabinett, betonte kürzlich, die Sanktionen müssten nicht ausgesetzt werden, weil medizinisc­he Güter davon nicht berührt seien – eine Position, die von vielen Experten bestritten wird: Die Beschränku­ngen für den Handel und für Finanztran­saktionen mit dem Iran wirken sich demnach sehr wohl auf den Gesundheit­ssektor aus. Die US-Regierung sieht dennoch keinen Grund für einen Kurswechse­l. Erst vor wenigen Tagen ließ Trump die Sanktionen gegen Teheran erneut verschärfe­n.

Der Absturz des Ölpreises trifft das Land hart

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Foto: Iranian Supreme Leader’s Office,dpa Behauptet, dass das Coronaviru­s von US-Forschern produziert wurde: Der Revolution­sführer Ali Khamenei wendet sich bei einer Fernsehans­prache an die Iraner.

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