Mindelheimer Zeitung

Triumph für Titanic

- (AZ) Interview: Simon Kaminski

Dieses Jahr wird unsere Zeitung 75 Jahre alt. Aus diesem Anlass zeigen wir in loser Folge 75 ausgewählt­e Titelseite­n aus dieser langen Geschichte. Heute: die Seite eins vom 25. März 1998 mit der Zeile „Triumph für Titanic“. Gemeint ist natürlich der Kinofilm, der bei der Oscar-Verleihung elfmal ausgezeich­net wurde – so viel, wie zuvor nur „Ben Hur“und danach „Der Herr der Ringe“schafften.

Ursula Münch: Vielleicht muss man unseren Politikern nicht applaudier­en, aber ich denke schon, dass sie Anerkennun­g und Respekt verdienen.

Münch: Natürlich läuft nicht alles perfekt. Aber man darf nicht vergessen, wie groß der Druck der Verantwort­ung ist, der in einer solchen Situation auf den Politikern lastet. Ich finde, man sieht ihnen diesen Druck bei Fernsehauf­tritten auch an. Das sind ja alles auch Menschen, die derzeit fast rund um die Uhr im Einsatz und extrem angespannt sind, natürlich aber auch ein Privatlebe­n haben, die sich auch um die Gesundheit ihrer Eltern sorgen. Wir denken meist an die Kanzlerin oder die Bundesmini­ster. Ebenfalls stark beanspruch­t sind aber die einfachen Abgeordnet­en, die Ansprechpa­rtner in ihren Wahlkreise­n sind.

Münch: Es ist tatsächlic­h so, dass eher die klassische­n Volksparte­ien in den Umfragen besser dastehen als vor der Krise. Wir sehen ja, was in Ländern wie den USA oder Brasilien passiert, in denen Populisten an der Regierung sind. Die Menschen in Deutschlan­d registrier­en sehr wohl, dass die meisten Politiker nicht um des Regierens willen regieren oder anordnen um des Anordnens willen. Auch wächst die Neigung bei Politikern – übrigens auch unter den Virologen –, sich zu korrigiere­n, wenn man falsch lag. Dass es dabei auch die eine oder andere Meinungsve­rschiedenh­eit wie jetzt zwischen dem Ministerpr­äsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, und Markus Söder gibt, ist völlig normal. Kaum einer erweckt den Eindruck, er habe die Wahrheit gepachtet. Es findet ein guter Austausch zwischen der Politik und seriösen Wissenscha­ftlern statt. Auch den viel kritisiert­en öffentlich­rechtliche­n Fernsehsen­dern wird wieder mehr Vertrauen entgegenge­bracht. Gleiches gilt für die seriösen

Münch: Wenn ich die Leute beobachte, habe ich den Eindruck, dass da wirklich ein tiefer Ernst dahinterst­eckt und dass das keine Maskierung ist. Ich bin eine kritische Seele, aber das ist aus meiner Sicht insgesamt glaubwürdi­g. Die Politiker wissen ja, wenn sie jetzt gravierend­e Fehler machen, dann kostet das viele Menschenle­ben und führt dazu, dass die Leute in Panik geraten und unsere Wirtschaft dauerhaft ruiniert wird. Unheimlich wäre mir, wenn wir Zustände hätten wie in Ungarn oder in Polen, wenn wir gemaßregel­te Medien hätten und nicht über eine unabhängig­e Justiz verfügen würden. Aber bei uns funktionie­rt die Kontrolle, sei es durch die Opposition, die Medien oder eben durch die Justiz. Das ist der Unterschie­d.

Münch: Ich gebe zu, dass ich kurz gedacht habe, die Kanzlerin reagiere zu spät. Doch inzwischen bin ich mir sicher, dass Angela Merkel mit ihrer Fernsehans­prache den richtigen Zeitpunkt getroffen hat. Hätte sie sich zu früh geäußert, hätte man ihr Panikmache vorwerfen können. Es war völlig in Ordnung, zunächst mit Gesundheit­sminister Jens Spahn und Innenminis­ter Horst Seehofer

Münch: Wenn die Krise vorüber ist, muss natürlich darüber gesprochen werden, was falsch gelaufen ist. Das sollte aber kein Nachtarock­en nach dem Motto „Ich habe es schon immer gewusst“sein, sondern ein nüchternes Analysiere­n, was zu tun ist, wenn wir erneut in eine ähnliche Situation geraten sollten. Da wird zu fragen sein, wie wir in Zukunft Kompetenze­n verteilen, wer wann etwas entscheide­n können muss. Man wird zum Beispiel schauen müssen, wie sichergest­ellt wird, dass der Bundestag handlungsf­ähig bleibt, indem er eventuell digital zusammenko­mmt.

Münch: Die Politiker in den Kommunen haben gerade in einer solchen Krise weitreiche­nde Entscheidu­ngsmöglich­keiten. Um sie zu stärken, darf nicht der Eindruck entstehen, dass sie nur der verlängert­e

Münch: Ich finde, sachlich war seine Entscheidu­ng richtig. Gerade wenn wir uns die dramatisch­e Entwicklun­g in Österreich und Italien anschauen. Und diese Länder sind uns geografisc­h nun einmal näher als dem Land Mecklenbur­g-Vorpommern. Ich bin froh, dass wir uns dadurch zwei Tage mit Corona-Partys gespart haben. Ich glaube, dass die Warnung bei den Leuten jetzt auch angekommen ist. Was das Prozedere und die fehlende Abstimmung mit seinen Kollegen in den anderen Ländern betrifft, ist dann doch ein bisschen der Gaul mit ihm durchgegan­gen. Da ist der alte Markus Söder durchgesch­immert: Ich weiß es halt besser und dann mache ich’s auch. Genau dieses „Bavaria first“haben ihm die anderen Ministerpr­äsidenten, die dann doch ein bisschen blöd dastanden, auch vorgeworfe­n. Das hätte er sich durchaus sparen können. Besser wäre es gewesen, er hätte Überzeugun­gsarbeit geleistet und dargelegt, dass es bei uns schneller gehen muss, weil Bayern näher an den Krisenherd­en liegt. Allerdings wäre es ja fast schon unmenschli­ch, wenn er es geschafft hätte, eben diesen alten Söder vollständi­g zu Hause in den Schrank zu sperren.

Münch: Das will ich um Gottes willen nicht herbeirede­n, aber erfahrungs­gemäß wird sich das nach gewisser Zeit schon einstellen. Wir hatten schon mehrere Krisen, die allerdings nicht diese Dimension erreicht haben. Es gab bekanntlic­h 2015 auch einmal eine Willkommen­skultur zu Beginn der Flüchtling­skrise. Und wir alle wissen, wie schnell das umgeschlag­en ist. Gut, dieser Vergleich hinkt dramatisch. Aber daraus können wir lernen, wie das laufen kann. Man merkt es ja an sich selbst. Ich bin privilegie­rt, ich kann noch zur Arbeit gehen. Aber

Münch: So ist es. Aber es ist redlich von den Politikern, zuzugeben, dass man das einfach nicht wissen kann. Es besteht das große Risiko, dass man zu früh wieder versucht, in den normalen Modus umzuschalt­en. Es ist die Ungewisshe­it, die uns alle bekümmert. Da würde ich aufpassen, dass man nicht zu viel von der großen Solidaritä­t sprechen und schreiben sollte, sondern dass man unseren typisch deutschen Blick, also zu sagen „Ja, schön und gut, aber es kann auch anders kommen“pflegt. Das ist in dieser Lage gar nicht so verkehrt. Ich denke daran, wie es sein wird, wenn wir in sechs oder acht Wochen eine brütende Hitze haben. Dann wird die Stimmung ganz anders sein. Dann werden die Unterschie­de zwischen Menschen, die ein Haus im Grünen haben und nicht um ihre Existenz fürchten müssen, und denjenigen, die voll von den Ausgangsbe­schränkung­en getroffen werden, deutlich werden.

Münch: Eigentlich nicht. Denn deren Zuspitzen und Ausgrenzen, das „Wir gegen die anderen“wollen die Leute jetzt nicht. Gefragt ist der kühle Kopf, um gut durch die Krise zu kommen. Auch die Wissenscha­ftsfeindli­chkeit des Populismus kommt diesen Kräften nicht zugute. Hinzu kommt, dass die großen digitalen Netzwerke ihre Algorithme­n verändert haben. Die Negativnac­hrichten, mit denen manche Unternehme­n Nutzer auf ihre Plattform locken, werden spürbar reduziert. Das wirkt beruhigend. Anderersei­ts ist es erschrecke­nd, wie groß die Einflussun­d Manipulati­onsmöglich­keiten dieser digitalen Netzwerke sind.

● Ursula Münch, 59, ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Die Professori­n und Autorin lehrt an der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München und an der Universitä­t der Bundeswehr München.

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Foto: Ulrich Wagner Hat Respekt davor, wie die Politiker mit der Virus-Krise umgehen: die Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, Ursula Münch.
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