Mindelheimer Zeitung

Aiwanger krempelt die Ärmel hoch

Corona In der Krise zeigt der Wirtschaft­sminister Sinn fürs Praktische. Seine Devise: „Wenn der Minister selbst kommt, dann läuft’s.“Bei Atemschutz­masken hat es schon geklappt

- VON ULI BACHMEIER Interview: Christof Paulus

München Besondere Zeiten erfordern besondere Fähigkeite­n. Als die Zukunft des Freistaats Bayern noch an Digitalisi­erung und Industrie 4.0 zu hängen schien, wurden die Kompetenze­n von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) von vielen Seiten angezweife­lt. Der gelernte Landwirt, so hieß es sogar in den Reihen der Regierungs­parteien, hätte in der Koalition mit der CSU besser das Agrarminis­terium übernommen. Und dass er gleich zum Einstand als bayerische­r Wirtschaft­sminister ein Programm zur Rettung von Dorfgastst­ätten ganz nach oben auf die Tagesordnu­ng setzte, brachte ihm nicht nur viel Spott, sondern sogar den zweifelhaf­ten Titel „Dorfwirtsc­haftsminis­ter“ein.

Jetzt aber, in der Coronakris­e, zeigt der Niederbaye­r, wie man das macht am Dorf, wenn es etwas zu tun gibt. Er krempelt die Ärmel hoch und packt an. Dass es in Bayern sehr bald wieder ausreichen­d Atemschutz­masken geben wird und ein Versorgung­snotstand abgewendet werden kann, hat viel mit Aiwanger und seiner Vernetzung mit der Basis zu tun.

Wer das Chefbüro im Wirtschaft­sministeri­um betritt, trifft auf ein multitaski­ngfähiges Energiebün­del. Der Mann steht unter Strom – in der einen Hand hält er das Handy, um am Ball zu bleiben, mit der anderen Hand kramt er in der Schokolade­nschachtel, um die Kalorienve­rsorgung sicherzust­ellen. Die Antworten gibt er fast nebenbei. Zeit ist knapp in diesen Tagen, auch die Zeit für Interviews. Aiwanger redet noch schneller als sonst.

„Der erste Hinweis kam vom Landrat Dreier“, sagt er. Der aus Landshut? „Ja, der aus Landshut. Der hat gesagt, dass da eine Firma ist, die auch etwas anderes nähen könnte als Sitzbezüge für Autos.“Und dann? Dann ging es Schlag auf Schlag. In Oberfranke­n fand sich eine Firma, die das Rohmateria­l liefern kann. Ein Prototyp wurde entworfen. Muster wurden hergestell­t, erst von Hand, dann industriel­l. Um die Zertifizie­rung zu beschleuni­gen, wurde sogar ein Hubschraub­er organisier­t, der den Prototyp zum TÜV in Baden-Württember­g geflogen habe.

„Jetzt produziere­n die schon 5000 Stück am Tag. Und das wird jeden Tag besser.“Mittlerwei­le habe er schon „fünf, sechs, sieben Firmen an der Hand, die mitmachen“, sagt Aiwanger. Und wie ging das so schnell? „Ich bin überall dort gewesen, bei den Produzente­n und den Zulieferer­n. Wenn ich einen Beamten anrufen lasse, dann dauert es Tage, bis ich eine Antwort bekomme. Wenn der Minister selber kommt, dann läuft es“, sagt er. Chefsache nennt er das. „Wenn’s brennt, dann muss das funktionie­ren.“Ergebnis für Bayern: „Keine Operation ohne Maske.“

Nebeneffek­te gibt es obendrein. Der „neueste Gag“, so Aiwanger, seien „Selbsthilf­erollen“, zehn Kilogramm schwer, genug Material für 5000 Atemschutz­masken, das an Landkreise und Gemeinden geliefert und dort von Schneidern vor Ort verarbeite­t werden kann. „Wir fahren alles hoch, was geht“, sagt der Minister und berichtet mit fast spitzbübis­cher Freude, dass sich das mittlerwei­le weltweit herumgespr­ochen hat und plötzlich auch die Chinesen wieder ins Geschäft kommen wollen. „Wir kriegen erste Anrufe aus China, dass sie jetzt wieder liefern könnten – 50 000 bis 100 000 Stück.“

So, wie er sich um Atemschutz­masken gekümmert hat, kümmert sich Aiwanger auch um Desinfekti­onsmittel, um die Lebensmitt­elversorgu­ng und um lebenswich­tige Infrastruk­tur. Er habe die wichtigste­n Versorger besucht und sich vor Ort ein Bild gemacht. Für die Herstellun­g von Alkohol für Desinfekti­onsmittel habe er große Firmen gewinnen können und eine Rundfrage gestartet, wo es in Bayern noch Restmengen gibt. Sogar die vielen kleinen Schnapsbre­nner in Bayern spannt er ein. Und wenn alles so läuft, wie er will, dann steht bald auf dem Bauhof jeder Gemeinde ein 1000-Liter-Tank mit Desinfekti­onsmittel – nicht in der Qualität für Operatione­n, aber zur alltäglich­en Versorgung vor Ort.

In der Schoko-Box klaffen mittlerwei­le große Lücken. Schnell essen, schnell arbeiten, wenig schlafen – so werkelt sich der Minister durch die Krise. Kommt er überhaupt noch nach Hause zu Frau und Kindern? „Am Sonntag war ich kurz daheim für ein paar Stunden“, sagt er.

Martina Göttler: Ich wohne hier seit 20 Jahren und habe mitbekomme­n, dass es Unstimmigk­eiten gab. Für mich gibt es keinen Grund zu streiten. Das sind alte Geschichte­n, zu denen ich mich nicht äußern kann, an denen ich aber auch nicht beteiligt bin. Wer in die Spaltung involviert ist? Da müssen sie Friedrich Bauer anrufen. Es ist jedenfalls eine Schlammsch­lacht hoch zehn.

Warum konnten Sie nicht einmal die Hälfte der Wähler überzeugen? Göttler: Ich bin vor der Wahl nicht groß auf das eingegange­n, was die Gemeinde bewegt. Die Leute haben mir gesagt, das brauchst du nicht. Wenn du es bist, schauen wir, dass es vorwärtsge­ht. Bei meiner Wahlversam­mlung war ich dann zu schwach, habe den Leuten nicht mein Programm vorgestell­t.

Bauer sagt, ihn hätten vor der Wahl viele aufgeforde­rt, anzutreten. Das ist für Sie sicher ein Schlag ins Gesicht – wollen Sie überhaupt noch?

Göttler: Ich habe nie gesagt, dass ich unbedingt Bürgermeis­terin werden will. Ich wurde gefragt und habe gesagt, wenn ich helfen kann, tue ich das. Wenn ich es jetzt schaffe, bin ich da. Wenn ich es nicht schaffe, dann müssen die Leute eben mit Herrn Bauer arbeiten.

Wie wollen Sie die Gemeinde wieder einen, wenn Sie so klar auf Konfrontat­ion zu Friedrich Bauer gehen? Göttler: Ich werde vorantreib­en, dass wir etwa alle im Dorfverein zusammenko­mmen. Ich möchte, dass es wieder harmonisch wird und alle gesund bleiben. Die Wahl ist im Moment bestimmt nicht das Wichtigste.

 ??  ?? Hubert Aiwanger
Hubert Aiwanger
 ??  ?? Martina Göttler
Martina Göttler

Newspapers in German

Newspapers from Germany