Corona: Deshalb ist Solidarität so wichtig
Medizin Das Mindelheimer Krankenhaus erwartet einen Patientenansturm. Der ärztliche Direktor erklärt, warum die kommenden Wochen für den Pandemie-Verlauf entscheidend sind und warum man unbedingt Kontakte vermeiden soll
Mindelheim Man spürt in diesen Tagen die Verunsicherung der Bevölkerung. Was rollt da auf uns zu? Während in Supermärkten um Klopapierrollen gestritten wird, treffen die Mediziner am Mindelheimer Krankenhaus Vorkehrungen, damit das Gesundheitssystem in den kommenden Wochen nicht zusammenbricht. Aber bei allem Katastrophenmanagement: Die Pfleger und Ärzte, also die, die im Ernstfall die erkrankten Menschenmassen versorgen müssten, sind vor allem auf eines angewiesen: die Vernunft der Bürger.
Dr. Manfred Nuscheler, ärztlicher Direktor und Chefarzt für Anästhesie und Intensivmedizin im Mindelheimer Krankenhaus, sagt zu den Corona-Fällen im Unterallgäu: „Wir sind statistisch noch im flacheren Teil der Kurve.“Das könne sich jederzeit ändern. Nuscheler rechnet in zwei bis drei Wochen mit einer deutlichen Zunahme an Corona-Patienten in seiner Klinik.
Im Mindelheimer Krankenhaus starb am Dienstag ein Patient an der Lungenkrankheit Covid-19. Es handelte sich um einen 67-Jährigen, der erhebliche Vorerkrankungen hatte und zwei Wochen lang intensivmedizinisch behandelt worden war. Am Mittwoch vermeldete das Landratsamt einen weiteren Corona-Todesfall im Unterallgäu. Bis Redaktionsschluss lagen keine weiteren Informationen vor. Vier infizierte Patienten werden derzeit in Mindelheim stationär betreut, hinzu kommen einige Verdachtsfälle. Die geringe Zahl der Corona-Patienten sei jedoch nur eine Momentaufnahme, so Nuscheler.
Das Krankenhaus hat die Kapazität an Intensivbetten mit Beatmungsgeräten von vier auf elf erhöht. Diese Zahl sei für eine kleine
Klinik wie das Mindelheimer Krankenhaus sehr hoch, sagt der Anästhesist, der in diesen Tagen vor allem für die Intensivmedizin zuständig ist. Mittelfristig werden zusammen mit den anderen drei Standorten im Allgäuer Klinikverbund etwa 100 Beatmungsplätze für schwer erkrankte Corona-Patienten eingerichtet.
Das übergeordnete Ziel sei es, alle Patienten, die ins Krankenhaus müssen und eine Beatmungstherapie brauchen, aufzunehmen. „Wir wünschen uns nicht den Moment, an dem unsere Kapazitäten überlastet werden.“Der Moment könne aber kommen, sagt Chefarzt Nuscheler. Aktuell arbeiten in Mindelheim 48 Ärzte und 237 Pflegekräfte im Schichtbetrieb. Prophylaktisch wurden planbare
Behandlungen und Operationen verschoben, um Kapazitäten freizuhalten „Wir haben ja weiterhin die nicht planbaren Ereignisse wie Geburten oder Knochenbrüche.“
Damit der Albtraum der Mediziner, eine Behandlung von der Überlebenschance der Patienten abhängig machen zu müssen, nicht eintrifft, sei die staatlich verhängte Ausgangsbeschränkung ein Schlüsselmoment. Denn klar ist: Je niedriger die Infektionsrate gehalten werden kann, desto größer sind die Chancen , alle schwer Erkrankten zu versorgen. Die medizinischen und personellen Möglichkeiten der Krankenhäuser stehen nicht bis ins Unendliche zur Verfügung.
Um die Bevölkerung in dieser Krisenzeit zu sensibilisieren, hat das Mindelheimer Krankenhaus wie viele andere Kliniken ein Foto veröffentlicht. „Wir bleiben für euch hier! Bleibt ihr für uns Zuhause!“, steht auf Plakaten, das sieben Krankenhausmitarbeiter in die Kamera halten. Vielen Bürgern sei der Ernst der Lage nicht bewusst, sagt Martin Mendel, Fachkrankenpfleger in der Anästhesie. „Die Leute sehen die Konsequenzen erst dann, wenn sie krank sind.“
Was die Solidarität angeht, gehen die Pfleger und Ärzte mit einem weiteren guten Beispiel voran: Es herrsche große Bereitschaft unter den Kollegen, erklärt Mendel. So wurden etwa Urlaubstage verschoben, um besser aufgestellt zu sein, sollte die Patientenzahl schnell steigen. Auch medizinisches Fachpersonal im Ruhestand wurde bereits angefragt, im Notfall mitzuhelfen. „Da machen alle mit.“
Regina Thoma, Leiterin der OPPflege, erklärt, sie verspüre bei der Arbeit keine Angst. „Ich vertraue unserem Gesundheitssystem.“Der
Umgang mit gefährlichen Keimen und Viren sei für sie nicht neu. Allenfalls seien die Sinne geschärft, sagt Thoma. In ihrem privaten Alltag habe sich nichts geändert – auch bei ihrem Einkaufsverhalten nicht. „Ich mache keine Hamsterkäufe.“
Bei aller Zuversicht der Mitarbeiter des Krankenhauses: Sie sind nicht davor gewappnet, selbst an Corona zu erkranken. Nuscheler erklärt: „Vielleicht hat ein infizierter Patient ganz andere Symptome und es entsteht ein ungeschützter Kontakt.“Derzeit würden Listen von Mitarbeitern angelegt, die einen direkten Kontakt untereinander haben. So können sie für den Fall in häusliche Quarantäne geschickt werden. Und was würde passieren, wenn die isolierten Pfleger und Ärzte dringend in der Klinik gebraucht werden? „Dann holen wir die Mitarbeiter zurück und sie müssen Schutzkleidung tragen.“Nuscheler sagt, oberstes Gebot sei es, den Klinikbetrieb aufrechtzuerhalten.
Kollegen im Ruhestand sind bereits informiert