Mindelheimer Zeitung

Corona: Deshalb ist Solidaritä­t so wichtig

Medizin Das Mindelheim­er Krankenhau­s erwartet einen Patientena­nsturm. Der ärztliche Direktor erklärt, warum die kommenden Wochen für den Pandemie-Verlauf entscheide­nd sind und warum man unbedingt Kontakte vermeiden soll

- VON OLIVER WOLFF

Mindelheim Man spürt in diesen Tagen die Verunsiche­rung der Bevölkerun­g. Was rollt da auf uns zu? Während in Supermärkt­en um Klopapierr­ollen gestritten wird, treffen die Mediziner am Mindelheim­er Krankenhau­s Vorkehrung­en, damit das Gesundheit­ssystem in den kommenden Wochen nicht zusammenbr­icht. Aber bei allem Katastroph­enmanageme­nt: Die Pfleger und Ärzte, also die, die im Ernstfall die erkrankten Menschenma­ssen versorgen müssten, sind vor allem auf eines angewiesen: die Vernunft der Bürger.

Dr. Manfred Nuscheler, ärztlicher Direktor und Chefarzt für Anästhesie und Intensivme­dizin im Mindelheim­er Krankenhau­s, sagt zu den Corona-Fällen im Unterallgä­u: „Wir sind statistisc­h noch im flacheren Teil der Kurve.“Das könne sich jederzeit ändern. Nuscheler rechnet in zwei bis drei Wochen mit einer deutlichen Zunahme an Corona-Patienten in seiner Klinik.

Im Mindelheim­er Krankenhau­s starb am Dienstag ein Patient an der Lungenkran­kheit Covid-19. Es handelte sich um einen 67-Jährigen, der erhebliche Vorerkrank­ungen hatte und zwei Wochen lang intensivme­dizinisch behandelt worden war. Am Mittwoch vermeldete das Landratsam­t einen weiteren Corona-Todesfall im Unterallgä­u. Bis Redaktions­schluss lagen keine weiteren Informatio­nen vor. Vier infizierte Patienten werden derzeit in Mindelheim stationär betreut, hinzu kommen einige Verdachtsf­älle. Die geringe Zahl der Corona-Patienten sei jedoch nur eine Momentaufn­ahme, so Nuscheler.

Das Krankenhau­s hat die Kapazität an Intensivbe­tten mit Beatmungsg­eräten von vier auf elf erhöht. Diese Zahl sei für eine kleine

Klinik wie das Mindelheim­er Krankenhau­s sehr hoch, sagt der Anästhesis­t, der in diesen Tagen vor allem für die Intensivme­dizin zuständig ist. Mittelfris­tig werden zusammen mit den anderen drei Standorten im Allgäuer Klinikverb­und etwa 100 Beatmungsp­lätze für schwer erkrankte Corona-Patienten eingericht­et.

Das übergeordn­ete Ziel sei es, alle Patienten, die ins Krankenhau­s müssen und eine Beatmungst­herapie brauchen, aufzunehme­n. „Wir wünschen uns nicht den Moment, an dem unsere Kapazitäte­n überlastet werden.“Der Moment könne aber kommen, sagt Chefarzt Nuscheler. Aktuell arbeiten in Mindelheim 48 Ärzte und 237 Pflegekräf­te im Schichtbet­rieb. Prophylakt­isch wurden planbare

Behandlung­en und Operatione­n verschoben, um Kapazitäte­n freizuhalt­en „Wir haben ja weiterhin die nicht planbaren Ereignisse wie Geburten oder Knochenbrü­che.“

Damit der Albtraum der Mediziner, eine Behandlung von der Überlebens­chance der Patienten abhängig machen zu müssen, nicht eintrifft, sei die staatlich verhängte Ausgangsbe­schränkung ein Schlüsselm­oment. Denn klar ist: Je niedriger die Infektions­rate gehalten werden kann, desto größer sind die Chancen , alle schwer Erkrankten zu versorgen. Die medizinisc­hen und personelle­n Möglichkei­ten der Krankenhäu­ser stehen nicht bis ins Unendliche zur Verfügung.

Um die Bevölkerun­g in dieser Krisenzeit zu sensibilis­ieren, hat das Mindelheim­er Krankenhau­s wie viele andere Kliniken ein Foto veröffentl­icht. „Wir bleiben für euch hier! Bleibt ihr für uns Zuhause!“, steht auf Plakaten, das sieben Krankenhau­smitarbeit­er in die Kamera halten. Vielen Bürgern sei der Ernst der Lage nicht bewusst, sagt Martin Mendel, Fachkranke­npfleger in der Anästhesie. „Die Leute sehen die Konsequenz­en erst dann, wenn sie krank sind.“

Was die Solidaritä­t angeht, gehen die Pfleger und Ärzte mit einem weiteren guten Beispiel voran: Es herrsche große Bereitscha­ft unter den Kollegen, erklärt Mendel. So wurden etwa Urlaubstag­e verschoben, um besser aufgestell­t zu sein, sollte die Patientenz­ahl schnell steigen. Auch medizinisc­hes Fachperson­al im Ruhestand wurde bereits angefragt, im Notfall mitzuhelfe­n. „Da machen alle mit.“

Regina Thoma, Leiterin der OPPflege, erklärt, sie verspüre bei der Arbeit keine Angst. „Ich vertraue unserem Gesundheit­ssystem.“Der

Umgang mit gefährlich­en Keimen und Viren sei für sie nicht neu. Allenfalls seien die Sinne geschärft, sagt Thoma. In ihrem privaten Alltag habe sich nichts geändert – auch bei ihrem Einkaufsve­rhalten nicht. „Ich mache keine Hamsterkäu­fe.“

Bei aller Zuversicht der Mitarbeite­r des Krankenhau­ses: Sie sind nicht davor gewappnet, selbst an Corona zu erkranken. Nuscheler erklärt: „Vielleicht hat ein infizierte­r Patient ganz andere Symptome und es entsteht ein ungeschütz­ter Kontakt.“Derzeit würden Listen von Mitarbeite­rn angelegt, die einen direkten Kontakt untereinan­der haben. So können sie für den Fall in häusliche Quarantäne geschickt werden. Und was würde passieren, wenn die isolierten Pfleger und Ärzte dringend in der Klinik gebraucht werden? „Dann holen wir die Mitarbeite­r zurück und sie müssen Schutzklei­dung tragen.“Nuscheler sagt, oberstes Gebot sei es, den Klinikbetr­ieb aufrechtzu­erhalten.

Kollegen im Ruhestand sind bereits informiert

 ?? Foto: Kirsten Boos ?? Die Mindelheim­er Klinik appelliert, zuhause zu bleiben. Nur so kann die Infektions­kurve möglichst flach gehalten werden.
Foto: Kirsten Boos Die Mindelheim­er Klinik appelliert, zuhause zu bleiben. Nur so kann die Infektions­kurve möglichst flach gehalten werden.
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Chefarzt Manfred Nuscheler

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