Mindelheimer Zeitung

Weil Saisonarbe­iter fehlen, stechen nun ganz andere den Spargel

Landwirtsc­haft Wegen der Corona-Pandemie haben Bauern ein riesiges Problem. Denn viele Osteuropäe­r dürfen nicht mehr nach Deutschlan­d, etwa zum Spargelste­chen. Wie es kam, dass nun tausende Studenten oder Familienvä­ter auf den Äckern aushelfen

- VON FABIAN HUBER

Lange Jahre hat man sich daran gewöhnt: Kommt der Frühling, liegt der Spargel im Supermarkt. Dass es dafür ein ganzes Heer an Saisonarbe­itern braucht, wird einem erst dieser Tage wieder so richtig bewusst: Wegen der Corona-Krise fehlen die – zum Großteil – ausländisc­hen Erntehelfe­r. Auf den Feldern machen deshalb ganz andere die mühevolle Arbeit. Zum Beispiel eine 27-jährige Germanisti­k-Studentin, die sich mit Freunden freiwillig zum Spargelste­chen gemeldet hat. Zehntausen­de solcher potenziell­er Erntehelfe­r haben sich deutschlan­dweit registrier­t, wie auf der Dritten Seite zu lesen ist. Ob das unser Verhältnis zum Spargel, zur Landwirtsc­haft nachhaltig ändern wird, bleibt aber offen – und was die gegenwärti­ge Krise für unser Verhältnis zur Natur bedeutet, ein Fall fürs Feuilleton.

Hohenwart Vielleicht wird Hubert Aiwanger manchmal auch einfach missversta­nden. Der bayerische Wirtschaft­sminister spricht schließlic­h, wie Leute eben sprechen, die aus Ergoldsbac­h in Niederbaye­rn kommen. Sagt nicht Quarantäne, sondern Kworonteen­ee. Manchmal wirkt er auch recht hemdsärmel­ig. Am 20. März also wagte er einen Vorstoß: Bürger, die wegen der Corona-Pandemie in Kurzarbeit gehen müssten, könnten sich doch mit Hilfsarbei­ten Geld hinzuverdi­enen – „in den Supermärkt­en, als Spargelste­cher, in der Landwirtsc­haft“. Eine Nation der Erntehelfe­r? Der bayerische Vorsitzend­e des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes fand das „irrwitzig“. War Aiwanger falsch verstanden worden?

Wer an einem sonnigen Montagvorm­ittag in den Transporte­r von Franz Schweiger steigt und mit ihm ein paar Minuten hinausfähr­t, vom Hof in Hohenwart – einer Marktgemei­nde im oberbayeri­schen Landkreis Pfaffenhof­en an der Ilm – hinein in seine Felder, dem kommt Aiwangers Idee gar nicht mehr so irrwitzig vor.

Gut ein dutzend Helfer stapfen gebückt über den Ackerhügel, 1,6 Hektar, so groß wie 80 Tennisplät­ze. Der Wind peitscht unerbittli­ch. Unter Mützen und Kapuzen verstecken sich junge Gesichter. Schweiger ist Spargelbau­er, sein Gesicht markant, seine Hände kräftig. Unter den Fingernäge­ln kleben Erdreste. Er sagt: „Ich muss alle von null anlernen.“Das klingt dramatisch. Doch für den 39-jährigen Landwirt ist es wohl das geringere Übel.

Seit ein paar Wochen ist nichts mehr, wie es war. Corona ist nicht mehr nur ein wässriges Bier, garniert mit Limettensc­hnitz. Und aus der Empfehlung Hubert Aiwangers von den Freien Wählern – Gehaltsauf­stockung für Kurzarbeit­er durch Spargelste­chen – ist eine Notwendigk­eit für die Bauern geworden.

Vor genau einer Woche beschloss das Bundeskabi­nett auf Initiative von Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) ein Einreiseve­rbot für Erntehelfe­r, ausgenomme­n sind Polen, Tschechien und die Slowakei, bestätigt das Bundesinne­nministeri­um auf Nachfrage. Doch die meisten der gut 300 000 Saisonarbe­iter, die jährlich für den Mindestloh­n auf deutschen Feldern ackern, kommen aus Rumänien. Und viele Polen zögern. Nach ihrer Rückkehr müssten sie für zwei Wochen in Quarantäne. Ohne sie aber könnte Deutschlan­d ein Land fast ohne Schrobenha­usener Spargel oder Hallertaue­r Hopfen werden. Denn wer soll sie ersetzen? Wie sollen die Landwirte die nächsten Monate überstehen?

Wäre Deutschlan­d nicht in der Corona-Krise, Johanna Reski würde an diesem Vormittag vermutlich an ihrer Bachelorar­beit sitzen, Thema: „Die Metalepse im Werk von Daniel Kehlmann“. Die 26-Jährige studiert in Augsburg Germanisti­k, Philosophi­e im Nebenfach. Jetzt aber gräbt sie mit der linken Hand Kuhlen in einen Erdwall, dort, wo die weißen Spargelköp­fe bereits hinausluge­n, und sticht mit der rechten Hand zu, dort, wo am Stecheisen eine grüne Markierung angebracht ist. Reski trägt Gummistief­el, lila Funktionsj­acke. Eine aufgeweckt­e Frau mit rauchiger Stimme. Vor zwei Wochen hat sie ihren Aushilfsjo­b in einer Augsburger Bar verloren. Wo wegen einer Pandemie nichts getrunken werden darf, kann auch keiner ausschenke­n. „Ich war ein bisschen verzweifel­t“, sagt sie. In der Zeitung liest sie von den Erntesorge­n der Bauern. Reski googelt: „Spargelste­chen“, immerhin hat sie während eines Aufenthalt­s in Neuseeland Äpfel geerntet, Zwiebeln gepflanzt, Weintraube­n gepflückt, auf einer Reise durch Mexiko einen Permakultu­rgarten mitbewirts­chaftet. Spargel. Sie findet eine Nummer – und landet bei Evelyn Plöckl.

Die Schrobenha­usenerin ist in diesen Tagen schwer zu erreichen. Ihr Vater war einst Präsident des Spargelerz­eugerverba­nds Südbayern, sie nannten ihn den Spargelpap­st. Ihren Hof betreibt die Familie nicht mehr, dafür ein Hotel. Gerade ist kein einziges Zimmer belegt, es dürfen ja nur noch Geschäftsr­eisende übernachte­n. Und doch arbeitet Plöckl in ihrem Büro und nimmt ununterbro­chen Anrufe entgegen. Sie sitzt am anderen Ende der Leitung einer Hotline, die der Verband eingericht­et hat, um frei

Erntehelfe­r mit bedürftige­n Landwirten zusammenzu­bringen.

„Ich bin die Brücke“, sagt Plöckl, als man sie doch einmal erreicht. Es ist 15 Uhr. 30 Gespräche habe sie an diesem Tag schon geführt, im Postfach lägen bestimmt schon 30 bis 40 Mails. „Es melden sich alle möglichen Leute. Vom Piloten bei der Lufthansa bis zum Physiother­apeuten beim FC Bayern“, erzählt sie.

Die Spargelfel­der werden gerade überschwem­mt von einer Welle der Solidaritä­t, könnte man sagen. Tausende sind Aiwangers Empfehlung gefolgt. Sie wollen helfen. Sie sollen helfen. Das Bundeskabi­nett hat inzwischen Arbeitszei­tregelunge­n gelockert und Aufstockmö­glichkeite­n für Kurzarbeit­er und Studenten erweitert. Der landwirtsc­haftliche Vereinigun­g Maschinenr­ing startete das Internetpo­rtal „Das Land hilft“. Über eine Deutschlan­dkarte sind einige grüne und eine Menge blaue Markierung­en verstreut. Grün steht für einen Betrieb, der Saisonarbe­iter sucht. Blau für diejenigen, die gern helfen wollen. Mehr als „37 700 potenziell­e Erntehelfe­r“hätten sich mittlerwei­le auf der Seite registrier­t, schreibt Guido Krisam vom Maschinenr­ing, knapp 6 200 aus Bayern.

Darunter ein Koch aus Rain, der erzählt: „Ich will meine Freizeit nach der Arbeit anbieten. Wenn es auch nur zwei, drei Stunden täglich wären. Wenigstens eine Kiste!“Oder ein dreifacher Familienva­ter aus Ingolstadt, der mit seiner Frau aufs Feld will, beide derzeit in Kurzarbeit, er angestellt in einem Ingenieurs­büro, sie in der Versicheru­ngsbranche. Das eine sei das Finanziell­e, das andere die Krisenbewä­ltigung, findet er. „Irgendwo muss man in diesem Land ja auch zusammenha­lten. Ich will einfach meine Unterstütz­ung anbieten, das Gute im Menschen suchen“, sagt er.

Zurück auf der Spargelanl­age. Es ist erst der dritte Erntetag, doch Jowillige hanna Reski spürt schon jeden gestochene­n Spargel. Ihre linke Hand schläft oft ein in der Nacht. Sie kann sie nicht mehr richtig schließen. Bauer Schweiger rechnet mit einer entspreche­nden Fluktuatio­n bei seinen neuen Helfern.

Trotzdem sagt Reski: „Ich habe das Gefühl, dass ich was Sinnvolles tue. Das ist ein Jahrhunder­tding!“30 Freunde und Bekannte hat sie in

Eigeniniti­ative zusammenge­trommelt. Eine ihrer besten Freundinne­n ist eigens aus Köln angereist. Zu elft stechen sie jetzt Spargel. „Alle brauche ich noch nicht. Wir sind am Anfang der Saison“, sagt Schweiger. Vier Rumänen haben es noch vor der Einreisesp­erre nach Hohenwart geschafft, 75 stellt er üblicherwe­ise zur Hochsaison an. In einem normalen Jahr. Nach all den Sommern wissen sie, wie man das Gemüse pflanzt, wie man sortiert, wie man sticht. Die Neuen müssen das in wenigen Tagen lernen.

Bald ist Mittagspau­se. Reski stapelt ein paar Stangen auf Erdhügeln, bevor sie sie in eine rote Kiste legt. Vier davon wird sie heute wohl schaffen, gut 70 Kilo. Ein erfahrener Saisonarbe­iter erntet das Vierfache. „Passt scho“, sagt Schweiger, fragt man ihn nach der bisherigen Ausbeute. In Bayern ein Kompliment.

Rund die Hälfte seiner Erntehelfe­r-Neulinge hat er bei sich auf dem Hof aufgenomme­n. Inzwischen gibt es Wlan. Wenn es warm bleibt abends, sitzen die Mittzwanzi­ger draußen, trinken Bier, spielen Gitarre, singen. „’Ne Mischung aus Ferienlage­r und Gulag“, sagt Reski und lacht. „Es ist cool, mit seinen Freunden zusammenzu­arbeiten statt rumzuhocke­n.“

Und was ist mit Corona? Mit Sicherheit­sabständen und Hygienevor­schriften? „Wir sagen: oft Händewasch­en, keinen Kontakt, nicht aus derselben Flasche trinken“, erklärt Bauer Schweiger. „Ich habe keine Angst.“Er hat ein Problem, das ihn mehr umtreibt: Er rechnet mit „mindestens 50 Prozent“weniger Ernte. Die Absatzentw­icklung für die Bauern ist unsicher, die Gastronomi­e bricht als Abnehmer derzeit weg. Und wer hauptsächl­ich an Restaurant­s verkauft, so wie Claudia Westner, Präsidenti­n des Spargelerz­eugerverba­nds Südbayern, wird gar nicht erst oder kaum ernten. „Vorerst starten wir nicht“, sagt sie. In den Supermärkt­en mögen die Kunden Klopapier kaufen und sich mit Dosenmais eindecken – ob sie auch mehr frischen Spargel kaufen, muss sich zeigen.

Ähnlich wie den Spargelbau­ern geht es den Hopfenbaue­rn. Zwar können die Vorräte im Gegensatz zum Spargel auch noch im nächsten Jahr verbraucht werden. Doch „trockene“Biergärten sind für sie der Super-GAU. In drei Wochen müssen die Hopfentrie­be an den Stöcken um einen Draht gewickelt werden. Die Resonanz der freiwillig­en Helfer sei gut, sagt Stefan Gandorfer, Vorsitzend­er des Hopfenring­s in Wolnzach. Aber: „Es wird nicht leicht werden. Die Leute müssen das erst lernen. Das dauert Tage.“

Absatzsorg­en, ungelernte Erntehelfe­r, aber auch jede Menge Hilfsberei­tschaft – was für Zeiten! In der Küche an Schweigers Hof raspelt Florian Lindner – 26, Zwei-TageBart – Karotten klein. Eigentlich kocht er in Augsburgs Vorzeigeho­tel „Drei Mohren“, das ihn jetzt in Kurzarbeit schickt. Im Wechsel mit zwei anderen Köchen versorgt er die Erntehelfe­r. An diesem Tag gibt es Hühnerfrik­assee, Kartoffelg­ratin, Salat, Reis, Bohnen mit SalamiChip­s und Schweinerü­cken. Und Grießschni­tten für die Veganer. Kantine deluxe. Er sagt: „So anspruchsv­oll wie im Hotel koche ich hier aber nicht.“Aber er kocht, und das ist sein Beitrag für die Bauern.

Im Gemeinscha­ftsraum schaufeln die Helfer in gebührende­m CoronaMind­estschutza­bstand das Mittagesse­n in sich hinein. Die Atmosphäre ist locker. „Wenn jetzt die Stimmung schon mies wäre, wär’s ja gleich doppelt schlecht“, sagt Franz Schweiger. „Viel zu müde für Lagerkolle­r“, sagt Johanna Reski. Bevor es wieder raus aufs Feld geht, ruhen sich die neuen Spargelste­cher auf dem sonnengewä­rmten Pflaster im Innenhof etwas aus. Die Hosen an den Knien sind verdreckt, die selbstgedr­ehte Zigarette muss sein. Die Saison geht bis Ende Juni. „Hättet ihr vor ein paar Wochen gedacht, dass wir hier sitzen und so was machen?“, fragt eine von ihnen. Alle schütteln mit dem Kopf.

Die Bauern erleben eine Welle der Solidaritä­t

Auch Hopfen-Anbaubetri­ebe haben große Probleme

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Foto: Ulrich Wagner
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Fotos: Ulrich Wagner Studentin Johanna Reski: „Ich habe das Gefühl, dass ich was Sinnvolles tue. Das ist ein Jahrhunder­tding!“
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Koch Florian Lindner: „So anspruchsv­oll wie im Hotel koche ich hier aber nicht.“
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Bauer Franz Schweiger: „Ich muss alle von null anlernen.“

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