Mindelheimer Zeitung

So spielt das Leben

Wir und Corona Gerade sind wir oft allein. Wie wir trotzdem in Kontakt bleiben können und warum wir sagen müssen: Mensch, ärgere dich nicht

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Arthur Schopenhau­er hat einmal gesagt, dass wir selten an das denken, was wir haben, aber immer an das, was uns fehlt. Und gerade fehlt viel.

Das Leben ist zusammenge­schrumpelt. Wie ein Apfel, der zu lange in der Küche herumgeleg­en ist. Wir sind ausgetrock­net, durstig nach Menschen, jedes Telefonat ist wie ein Wasserloch in der Wüste. Und man ertappt sich bei dem überrasche­nd anregenden Wunsch, mal wieder dicht gedrängt in einer U-Bahn zu stehen, ganz gepflegt am Bankschalt­er in der Schlange zu warten.

Der vergangene Samstagabe­nd also. Durst löschen. Mein Mann und ich sitzen an unserem Wohnzimmer­tisch. Vor uns liegt ein aufgeklapp­tes Spielbrett. Unsere Freunde, mit denen wir uns für diesen Abend verabredet haben, schauen aus unserem Fernseher heraus. Und wir hinein. Ein Kabel führt zum Laptop, der wiederum ist mit einer kleinen Webcam verbunden, die wir auf einen Stuhl gesetzt haben. Das Spiel beginnt.

Mein kleines rotes Auto zuckelt drei Felder vor. Dann hält es. Ich hätte in der Lotterie gewonnen, steht da. 50000 Mark. Nicht übel. Wir spielen „Spiel des Lebens“. Und ich komme nicht umhin, mir – nicht ohne ein wenig Wehmut – zu denken: Irgendwie spielt das

Leben gerade nicht wirklich fair.

Es wird ein langer Abend. Eine lange Nacht. Wir spielen und reden und lachen und tun irgendwie so, als wäre nichts. Spielen ein wenig Normalität. Vergessen Corona. Wenigsten ein bisschen. Gegen drei Uhr morgens winken wir ein letztes Mal in die Kamera, dann fahren wir den Computer herunter. Welt, gute Nacht.

Noch mal Schopenhau­er: Wenn wir vor allem an das denken, was uns fehlt, dann sind das die Menschen, die wir bisher oft gesehen haben. Die zu unserem Leben gehören wie die Schlossall­ee zu Monopoly: die Eltern, mit denen man so gerne mal wieder am Sonntag zusammensi­tzen und Rinderroul­aden essen würde. Die

Schwester, die Nichte, Freunde und Kollegen. Im Büro reichte früher ein kurzer Zuruf über den Schreibtis­ch, jetzt schreibt man E-Mails, telefonier­t, manchmal gibt es eine Videokonfe­renz. Alles ein bisschen komplizier­ter. Alles ein bisschen distanzier­ter.

Diese Distanz müssen wir überbrücke­n. Müssen warten, Geduld haben, den Gedanken zulassen, dass wir auch in den nächsten Wochen in keiner Kneipe sitzen werden, in keinem Restaurant, bei keiner Familienfe­ier, nicht in der Kantine beim Kaffee mit der Kollegin. Das ist nun mal das Spiel, so sind die Regeln. Wir müssen uns damit abfinden, denn es hilft ja alles nichts. Also: Mensch, ärgere dicht nicht!

ist Redakteuri­n im Ressort Bayern & Welt unserer Zeitung und Digitalrep­orterin.

An dieser Stelle berichten ab heute täglich Kolleginne­n und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Arbeitsall­tag in Zeiten von Corona.

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Stephanie Sartor

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