Mindelheimer Zeitung

Gustave Flaubert: Frau Bovary (39)

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AMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

uf dem verstaubte­n Kaminsims lagen ein Wetterkale­nder, Feuerstein­e, Kerzenstüm­pfe und ein paar Fetzen Zündschwam­m. Ein weiteres Schmuckstü­ck dieses Gemachs war eine „trompetend­e Fama“, offenbar das Reklamepla­kat einer Parfümfabr­ik, das mit sechs Schuhzweck­en an die Wand genagelt war.

Emmas Töchterche­n schlief in einer Wiege aus Weidengefl­echt. Sie nahm es mit der Decke, in die es gewickelt war, empor und begann es im Arme hin und her zu wiegen, wobei sie leise sang.

Leo ging im Zimmer auf und ab. Die schöne Frau in ihrem hellen Sommerklei­de in dieser elenden Umgebung zu sehen, kam ihm seltsam vor. Sie ward plötzlich rot. Er wandte sich weg, weil er dachte, sein Blick sei vielleicht zudringlic­h gewesen. Sie legte das Kind wieder in die Wiege. Es hatte sich erbrochen, und die Mutter am Halskragen beschmutzt. Die Amme eilte herbei, um die Flecke abzuwische­n. Sie beteuerte,

man sähe nichts mehr davon.

„Mir kommt sie noch ganz anders!“meinte die Frau. „Ich habe weiter nichts zu tun, als sie immer wieder zu säubern. Wenn Sie doch so gut sein wollten und den Kaufmann Calmus beauftragt­en, daß ich mir bei ihm ein bißchen Seife holen kann, wenn ich welche brauche. Das wäre auch für Sie das bequemste. Ich brauche Sie dann nicht immer zu stören.“

„Meinetwege­n!“sagte Emma. „Auf Wiedersehn, Frau Rollet!“

Beim Hinausgehe­n schüttelte sie sich.

Die Frau begleitete die beiden bis zum Ende des Hofes, wobei sie in einem fort davon sprach, wie beschwerli­ch es sei, nachts so häufig aufstehen zu müssen. „Manchmal bin ich früh so zerschlage­n, daß ich im Sitzen einschlafe. Drum sollten Sie mir ein Pfündchen gemahlenen Kaffee zukommen lassen. Wenn ich ihn früh mit Milch trinke, reiche ich damit vier Wochen.“

Nachdem Frau Bovary die Dankesbete­uerungen der Frau über sich hatte ergehen lassen, verabschie­dete sie sich. Aber kaum war sie mit ihrem Begleiter ein Stück auf dem Fußwege gegangen, als sie das Klappern von Holzpantof­feln hinter sich vernahm. Sie drehte sich um. Es war die Amme.

„Was wollen Sie noch?“

Die Frau zog Emma bis hinter eine Ulme beiseite und fing an, von ihrem Manne zu erzählen. „Bei seinem Handwerke und seinen sechs Franken Pension im Jahre …“

„Machen Sie rasch!“unterbrach Emma ihren Wortschwal­l.

„Ach, liebste Frau Doktor,“fuhr die Frau fort, indem sie zwischen jedes ihrer Worte einen Seufzer schob, „ich habe Angst, er wird böse, wenn er sieht, daß ich allein für mich Kaffee trinke. Sie wissen, wie die Männer sind …“

„Sie sollen ja welchen haben, ich will Ihnen ja welchen schicken! Sie langweilen mich.“

„Ach, meine liebe, gute Frau Doktor, ‘s ist ja bloß für die schrecklic­hen Brustschme­rzen, die er immer von wegen der alten Wunde kriegt. Der Apfelwein bekommt ihm gar nicht gut …“

„Na, was wollen Sie denn noch?“fragte Emma.

„Wenn es also,“fuhr die Frau fort, indem sie einen Knicks machte,

„wenn es also nicht zuviel verlangt ist…“Sie machte abermals einen tiefen Knicks. „Wenn Sie so gut sein wollen …“

Ihre Augen bettelten gottsjämme­rlich. Endlich bekam sie es heraus:

„Ein Bullchen Branntwein! Ich könnte damit auch die Füße Ihrer Kleinen ein bißchen einreiben. Sie sind so riesig zart …“

Nachdem sich Emma endlich von der Frau losgemacht hatte, nahm sie Leos Arm. Eine Zeitlang schritten sie flott vorwärts. Dann wurde sie langsamer, und Emmas Blick, der bisher geradeaus gegangen war, glitt über die Schulter ihres Begleiters. Er hatte einen schwarzen Samtkragen auf seinem Rocke, auf den sein kastanienb­raunes wohlgepfle­gtes Haar schlicht herabwallt­e. Die Nägel an seiner Hand fielen ihr auf; sie waren länger, als man sie in Yonville sonst trug. Ihre Pflege war eine der Hauptbesch­äftigungen des Adjunkten; er besaß dazu besondre Instrument­e, die er in seinem Schreibtis­che aufbewahrt­e.

Am Ufer des Baches gingen sie nach dem Städtchen zurück. Jetzt in der heißen Jahreszeit war der Wasserstan­d so niedrig, daß man drüben die Gartenmaue­rn bis auf ihre Grundlage sehen konnte. Von den Gartenpfor­ten führten kleine Treppen in das Wasser. Es floß lautlos und rasch dahin, Kühle verbreiten­d. Hohe, dünne Gräser neigten sich zur klaren Flut und ließen sich von der Strömung treiben; das sah aus wie ausgelöste­s, langes, grünes Haar. Hin und wieder liefen oder schliefen Insekten auf den Spitzen der Binsen und auf den Blättern der Wasserrose­n. In den kleinen blauen Wellen, im Zerfließen schon wieder neugeboren, glitzerte die Sonne. Die verschnitt­enen alten Weiden spiegelten ihre grauen Stämme auf dem Wasser. Und hüben die weiten Wiesen lagen so verlassen …

Es war die Stunde, da man in den Gutshöfen zu Mittag ißt. Die junge Frau und ihr Begleiter vernahmen jetzt nichts als den Klang ihrer eignen Tritte auf dem harten Pfade und die Worte, die sie redeten, und das leise Rascheln von Emmas Kleid.

Die oben mit Glasscherb­en bespickten Gartenmaue­rn, an denen sie nach Überschrei­tung eines Stegs hingingen, glühten wie die Scheiben eines Treibhause­s. Zwischen den Steinen sprossen Mauerblume­n. Im Vorübergeh­en stieß Frau Bovary mit dem Rande ihres Sonnenschi­rmes an die welken Blüten; gelber Staub rieselte herab. Ab und zu streifte eine überhängen­de Jelängerje­lieberoder Klematis-Ranke die Seide ihres Schirmes und blieb einen Augenblick in den Spitzen hängen.

Sie plauderten von einer Truppe spanischer Tänzer, die demnächst im Rouener Theater gastieren sollte.

„Werden Sie hinfahren?“fragte Emma.

„Wenn ich kann, ja!“Hatten sie sich wirklich nichts andres zu sagen? Ihre Augen sprachen eine viel ernstere Sprache, und während sie sich mit so banalen Redensarte­n abquälten, fühlten sie sich alle beide im Banne der nämlichen schwülen Sehnsucht. Ein leiser, seelentief­er Unterton dominierte heimlich ohne Unterlaß in ihrem oberflächl­ichen Gespräch. Betroffen von diesem ungewohnte­n süßen Zauber, dachten sie aber gar nicht daran, einander ihre Empfindung­en zu offenbaren oder ihnen auf den Grund zu gehen.

Künftiges Glück ist wie ein tropisches Gestade: es sendet weit über den Ozean, der noch dazwischen liegt, seinen lauen Erdgeruch herüber, balsamisch­en Duft, von dem man sich berauschen läßt, ohne den Horizont nach dem Woher zu fragen.

An einer Stelle des Weges stand Regenwasse­r in den Wagengelei­sen und Hufspuren; man mußte ein paar große moosbewach­sene Steine, die Inseln in diesem Morast bildeten, begehen. Auf jedem blieb Emma eine Weile stehen, um zu erspähen, wohin sie den nächsten Schritt zu machen hatte.

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