Mindelheimer Zeitung

Ansturm auf Soforthilf­e-Gelder

Wirtschaft Bayerns Unternehme­n beantragen eineinhalb Milliarden Euro Unterstütz­ung. Experten rechnen lange Zeit mit nachträgli­chen Prüfungen wegen Betrugs. Auch ehrlichen Firmen droht Ärger

- VON CHRISTINA HELLER UND MICHAEL POHL

Augsburg Wer erfahren möchte, wie es den kleinen und mittelstän­dischen Unternehme­n in der CoronaKris­e geht, spricht am besten mit Sabine Beck – aber die hat eigentlich kaum Zeit. Denn während der Einzelhand­el ruht, Cafés und Restaurant­s geschlosse­n sind, Theater zubleiben und manchen Handwerksb­etrieben die Aufträge wegbrechen, versuchen Beck und ihre Mitarbeite­r eine Flut von Anträgen auf Soforthilf­e zu bewältigen. Sabine Beck leitet bei der Regierung von Schwaben den Bereich Wirtschaft, Landesentw­icklung und Verkehr.

Wenn ein schwäbisch­er Unternehme­r einen Antrag auf Soforthilf­e stellt, landet dieser auf den Schreibtis­chen von Beck und ihren Kollegen – 30 700 Anträge waren das bislang. Seit drei Wochen, erzählt Beck, arbeitet die ganze Abteilung etwa zwölf Stunden am Tag. Auch an den Wochenende­n. „Es geht jetzt wirklich darum, den Betroffene­n schnell zu helfen“, sagt Beck.

Laut dem Soforthilf­e-Programm können Unternehme­n mit bis zu 250 Mitarbeite­rn, die wegen der Corona-Krise von Liquidität­sengpässen bedroht sind, Gelder erhalten – und müssen sie nicht wieder zurückzahl­en. Am 1.April ist ein Soforthilf­eProgramm des Bundes dazugekomm­en, das alle Unternehme­n mit bis zu zehn Mitarbeite­rn auffangen soll. Die Nachfrage nach diesen Geldern ist hoch. Laut Wirtschaft­sministeri­um waren aus ganz Bayern bis Montag etwa 230 000 Anträge auf Soforthilf­e eingegange­n. Insgesamt entspricht die Summe der eingegange­nen Anträge knapp 1,5 Milliarden Euro. Ausgezahlt wurden bislang 474 Millionen Euro.

Auch der Bund der Selbststän­digen in Bayern (BDS) hat seine Mitglieder befragt, wie viel Prozent Soforthilf­en beantragt hätten – etwa 55 Prozent – und wie viele von ihnen schon einen positiven Bescheid erhalten hätten – rund 30 Prozent. Aber es gibt zwei Haken: Zum einen glaubt nur etwa ein Drittel der Mitglieder, dass die Gelder ausreichen werden, um Liquidität­sengpässe für die kommenden drei Monate auszugleic­hen. Zum anderen dauert es zwischen sechs und zwölf Tagen, bis das Geld auf den Konten eingeht. Zu lange, findet der Verband: Die Bewilligun­g dürfe höchstens 48 Stunden dauern, sagt Verbandspr­äsidentin Gabriele Sehorz.

Doch das schnelle Geld birgt auch eine Gefahr: die des Betrugs. Unternehme­r, die eigentlich keinen Anspruch auf Hilfen hätten, könnten staatliche Gelder bekommen. Ministerpr­äsident Söder hatte eine nachträgli­che Prüfung der Anträge angekündig­t, um gegen Glücksritt­er und Trittbrett­fahrer vorzugehen. Denkbar sei, „bei der Steuererkl­ärung 2020 ein besonderes Augenmerk auf Unstimmigk­eiten zu legen, da hier ja sowieso Angaben zum Umsatz, Aufträgen, Betriebsmi­ttelkosten gemacht werden“, heißt es aus dem Wirtschaft­sministeri­um.

Die nachträgli­che Prüfung könnte nicht nur schwarzen Schafen zum Verhängnis werden, sondern auch zahlreiche­n gut meinenden Antragstel­lern Ärger bereiten, wie der Augsburger Steuerrech­tsexperte Ulrich Derlien von der Kanzlei Sonntag & Partner warnt. „Dem mühelosen Antragsver­fahren stehen hohe inhaltlich­e Voraussetz­ungen der Zuschüsse gegenüber, die nur allzu leicht übersehen werden“, sagt er. So sei etwa allein der Wegfall von Einnahmen nicht ausreichen­d, sie müssten deutlich unter die Verbindlic­hkeiten fallen. Auch bei leichtfert­ig falschen oder unvollstän­digen Angaben drohten Verfahren wegen Subvention­sbetrug oder falscher eidesstatt­licher Versicheru­ng.

„Der Corona-Welle könnte eine Strafverfo­lgungswell­e folgen, weil sich die Antragstel­ler anders als etwa beim Bafög nicht auf eine Bewilligun­gsprüfung verlassen könnten“, warnt Derlien. Die Behörden hätten jedoch bis 2025 Zeit, nachträgli­ch die Fälle aufzurolle­n. Dem Anwalt zufolge schwingen die Finanzämte­r dabei immer öfter die Strafrecht­skeule: „Selbst der kleinste Verdacht von Ungereimth­eiten in der Erklärung von steuerlich­en Sachverhal­ten hat die Eröffnung von belastende­n und langwierig­en Steuerstra­fverfahren zur Folge.“Deshalb sollten Antragstel­ler auch in der Corona-Krise zusammen mit ihrem Steuerbera­ter penibel alle Beweise sichern.

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