Mindelheimer Zeitung

Corona entzaubert die Globalisie­rung

Die Pandemie wird die Weltwirtsc­haft in eine Rezession führen. Eine politische Strategie, die sich dieser Entwicklun­g entgegenst­emmt, ist nicht in Sicht

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger-allgemeine.de

Wie geht es nach Corona weiter mit der Weltwirtsc­haft? Wer sich diese Frage stellt, wird auf Antworten stoßen, die altbekannt­en Mustern folgen. Ein Blick auf die Internetse­iten von Globalisie­rungskriti­kern genügt, um zu erkennen, dass parallel zur Pandemie ein Kampf um die Deutungsho­heit entbrannt ist. Von links wie rechts wird behauptet, dass man immer schon gewusst habe, dass das liberale Dogma vom Wohlstand durch Handel geradewegs ins Unglück führt.

Wie kurios diese Debatten zum Teil sind, zeigt sich zum Beispiel an der Behauptung, dass der aktuelle Mangel an Schutzmask­en, Medikament­en oder Beatmungsg­eräten doch beweise, wie sehr Deutschlan­d sich abhängig gemacht habe von anderen Ländern, insbesonde­re von China. Dabei beweist der

Mangel doch nur, dass keine Vorsorge betrieben wurde. Die Globalisie­rung hat Deutschlan­d nicht daran gehindert, sich – ähnlich wie bei Öl oder Gas – eine strategisc­he Reserve an lebenswich­tigem medizinisc­hen Material anzulegen. Es hat nur einfach niemand gemacht. Das ist zwar schlecht, aber es lässt sich für die Zukunft korrigiere­n.

Welcher Wohlstands­verlust dagegen mit einer radikalen Abkehr von der Globalisie­rung verbunden wäre, zeigen die Summen, um die es allein beim Handel mit Medikament­en geht. Aus Europa importiert­e Deutschlan­d zuletzt Medikament­e im Wert von 36 Milliarden Euro, aus Asien im Wert von 2,4 Milliarden Euro, aus China im Wert von gerade mal 0,14 Milliarden Euro. Dem stehen deutsche Exporte an Medikament­en im Wert von 79 Milliarden Euro gegenüber. Die Erlöse finanziere­n weit über 100 000 Arbeitsplä­tze.

Dass die Pandemie eine weltwirtsc­haftliche Rezession auslösen wird, ist nicht umstritten. Der volkswirts­chaftliche Schaden wird groß und nachhaltig sein. Darin sind sich praktisch alle Experten einig. Und sie zweifeln auch nicht daran, dass das Virus die Schwachpun­kte einer globalisie­rten Wirtschaft in brutaler Weise offen gelegt hat.

Der Spruch, dass jede Kette nur so stark ist wie ihr schwächste­s Glied, gilt auch für die Lieferkett­en der internatio­nal vernetzten Unternehme­n. Fällt irgendwo auf der Welt ein Zulieferer aus, stehen anderswo ganze Werke still. Fällt ein großer Kunde wie China aus, trifft es die ganze Welt.

Wirtschaft­swissensch­aftler, die sich als Gralshüter der Globalisie­rung verstehen, räumen ein, dass Korrekture­n nötig sein werden. Die Unternehme­n, so sagen sie, werden in Zukunft mehr auf die Robustheit ihrer Lieferkett­en und auf Versorgung­ssicherhei­t schauen müssen denn auf das reine Kostenargu­ment. Sie werden versuchen müssen, ihre Risiken zu streuen und sich nicht in Abhängigke­it von einem einzigen Absatzmark­t zu begeben. Eine Alternativ­e zu einer globalisie­rten Wirtschaft sehen sie allerdings nicht, schon gar nicht für ein Exportland wie Deutschlan­d.

Dennoch gibt es gute Argumente von einer „Entzauberu­ng der Globalisie­rung“zu sprechen, wie der Politikwis­senschaftl­er Ulrich Menzel es tut. Es geht um mehr als nur um nüchternes Kalkül von Ökonomen. Das Verspreche­n, dass mehr Freihandel automatisc­h zu mehr Wohlstand führt, wurde schon vor Corona angezweife­lt – von Umwelt- und Klimaschüt­zern mit sehr plausiblen, von Populisten und Nationalis­ten mit ziemlich irrational­en Argumenten.

Eine Schutzmach­t hat die Globalisie­rung nicht mehr. Die USA setzen unter Trump auf Isolationi­smus. China verfolgt nur seinen eigenen Vorteil. Und Europa ist sich uneins. Eine kraftvolle Politik, die die negativen Folgen der Globalisie­rung bekämpft und gleichzeit­ig den Wohlstand aller im Blick hat, ist aktuell nicht in Sicht.

Ich bin passionier­ter Motorrad- und Oldtimerfa­hrer. Keine Ausflüge, sei das Wetter auch noch so schön, lautetet die Devise an diesen Tagen. Ich halte mich daran. Alle müssen momentan mit Einschränk­ungen leben. Außer Könige. Die fliegen waghalsig durch die Gegend. Aber ein König kann, im Fall des Falles, sicher auch eine ganze Krankenhau­s-Etage blockieren. Christian Schöpf, Mering

Es ist nur nicht nur nüchternes Kalkül von Ökonomen

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