Mindelheimer Zeitung

Reden wir über den Tod

Pandemie Christen gedenken in diesen Tagen dem Sterben Jesu. Doch auch wer nicht religiös ist, wird massiv mit dem Lebensende konfrontie­rt. Das Coronaviru­s hat schon Zehntausen­de getötet – Menschen im fernen China und vor unserer Haustür. Zeit, sich dem T

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Wenn es Bilder gibt, die die ganze Dramatik der Corona-Pandemie bündeln, dann sind es die von den Leichentra­nsporten in Bergamo. Man sieht, wie eine Kolonne von Militärfah­rzeugen nachts in langsamem Tempo die Stadt verlässt. Was sie transporti­eren, sieht man nicht. Es sind die Särge der Covid-19-Opfer, dieser oft tödlichen Krankheit, der wir eine abstrakte Kennung gegeben haben, um sie irgendwie zu fassen. Weil ab Mitte März viele Menschen gleichzeit­ig starben, kamen die Krematorie­n im norditalie­nischen Bergamo mit den

Verbrennun­gen nicht hinterher. Die Leichen mussten andernorts eingeäsche­rt werden, das Militär sprang ein. Die Bilder waren nicht nur wegen der Zahl der Fahrzeuge und der in ihnen aufgebahrt­en Särge schockiere­nd. Sie waren es auch, weil der Tod auf ihnen in seiner ganzen Gnadenlosi­gkeit zum Vorschein kam. Keine Naturkatas­trophe, kein Erdbeben, kein Krieg, kein örtlich begrenztes Drama – nein, das Virus kann uns alle erwischen. Das war die Botschaft der Bilder aus Bergamo.

Weil das Sterben in Corona-Zeiten massenhaft vor sich geht, bahnt sich der Tod seinen Weg in die Öffentlich­keit. Das ist auch das Karfreitag­sthema. Im Christentu­m gedenken Gläubige an diesem Tag dem Tod Jesu, der ans Kreuz genagelt wurde. Der Karfreitag bedeutet Trauer, Stille, Tanzverbot. Leicht vergessen wird dabei, dass ohne Jesu Tod die ganze Osterbotsc­haft der Auferstehu­ng zu neuem Leben gar keinen Sinn hätte. Der Tod und das Leben sind eins, das lehrt die Ostergesch­ichte.

Auch wer sich nicht als religiös bezeichnet, kann in diesen Tagen dem Tod nicht aus dem Weg gehen. Schließlic­h ist der „Shutdown“eine Folge des bereits eingetrete­nen oder

Massenster­bens. SarsCoV-2 hält uns unsere Vergänglic­hkeit vor Augen. Doch nach wie vor verweigern sich viele dem Thema.

Das gilt vor allem für jüngere Generation­en und liegt in gewisser Hinsicht am Lauf der Dinge. Bis zur Lebensmitt­e sind wir mit vielem beschäftig­t, mit dem Beruf oder der Familie. Ab der Lebensmitt­e folgen meist die ersten Gedanken über das unvermeidl­iche Ende, das vermeintli­ch immer noch sehr weit entfernt liegt. Ältere dagegen wissen um ihre begrenzte Zeit. Und entwickeln während dieser Krisentage eine besondere Aktivität.

Zumindest hat das die italienisc­he Schriftste­llerin Francesca Melandri beobachtet. Melandri ist seit einem Monat in ihrer römischen Wohnung in Quarantäne. Sie schreibt dort unentwegt. Unter anderem hat sie einen „Brief aus der Zukunft“verfasst, in dem sie aus italienisc­her Sicht den Ansteckung­snachzügle­rn treffend die seelischen und sonstigen Bewegungen eines Menschen zu Pandemie- und Quarantäne­zeiten verdeutlic­ht. Italien ist anderen Ländern nicht nur bei den Infizierte­nzahlen, sondern auch hier etwas voraus.

Sie schrieb, es war im Spiegel zu lesen: „Wir sehen, dass ihr euch genauso verhaltet, wie wir uns verhalten haben. Ihr führt die gleichen

wie wir bis vor kurzem, in denen die einen sagen „Das ganze Theater ist doch nur eine etwas heftigere Grippe“und die anderen bereits verstanden haben.“

Sie schrieb: „Wenn wir den Blick auf die weit entfernte Zukunft richten, die uns wie auch euch unbekannt ist, so können wir euch nur eines sagen: Wenn alles vorbei ist, wird die Welt nicht mehr die sein, die sie davor war.“Aufrütteln­de, verstörend­e Zeilen. Ein Appell an alle, die glauben, Corona würde Deutschlan­d schon nicht so schlimm treffen wie Italien.

Und die Senioren? „Mir scheint es“, sagt Melandri, wenn man sie danach fragt, „als reagierten die Alten mit neuer Energie auf diese Krise.“Und ja, wer hat sie nicht gesehen, die ungezählte­n betagten Spaziergän­ger? Melandri vermutet, die Senioren seien auch deshalb ausgerechn­et jetzt so lebensfroh, weil sie sich ausgerechn­et jetzt weniger alleine fühlten. Ein Widerspruc­h? „Wir haben gerade alle Angst davor, zu sterben“, sagt die 55-Jährige. Die Todesangst sei den Alten nicht mehr exklusiv. Das verbinde.

Wie wäre es angesichts dessen, sich wirklich mit dem Tod zu beschäftig­en – anstatt vor ihm davonzulau­fen? Und damit sind nicht die notwendige­n lebensrett­enden Maßnahmen gemeint, sondern die Ausbefürch­teten einanderse­tzung mit dem Thema Tod an sich. Dem Tod haftet in unserer Wahrnehmun­g immer etwas Dunkles, Finsteres an. Der Tod ist eines der letzten Tabus unserer Gesellscha­ft, wenn nicht das letzte. Die Beschäftig­ung mit ihm ist ins Private delegiert. Wer öffentlich über den Tod spricht, der hat schnell ein Grufti-Image. Dabei handelt es sich auch bei dieser Reaktion lediglich um einen weiteren, unbewusste­n Abwehrmech­anismus.

Es gibt Menschen, die sich profession­ell mit dem Lebensende auseinande­rsetzen, sozusagen stellvertr­etend für uns alle: Hospiz-Mitarbeite­r, Psychologe­n, Ärzte, denen eine menschenwü­rdige Begleitung Sterbender am Herzen liegt. Ines Testoni beschäftig­t sich ebenfalls profession­ell mit dem Ende des Lebens. Sie wurde in Brescia geboren, dem Epizentrum der Corona-Pandemie in Italien, und arbeitet an der Universitä­t Padua, einer Gegend, in der sich das Virus besonders früh ausbreitet­e.

Testoni ist Psychologi­e- und Philosophi­e-Professori­n und schon ihr Arbeitsgeb­iet klingt wie eine Provokatio­n: Sie bietet in Padua einen Master-Studiengan­g in „Death Studies and the End of Life“an, übersetzt also Studien zum Tod und Lebensende. Zudem bietet Testoni Kurse in „Death Education“, ToDiskussi­onen des-Erziehung, an. Todes-Erziehung? Während man sich unter Todesstudi­en vielleicht noch etwas vorstellen kann, ist das erklärungs­bedürftig. „Ich helfe dabei, dass den Menschen der unglaublic­he Reichtum menschlich­er Botschafte­n bewusst wird, wenn es um die Bedeutung des Lebens und die Gewissheit des Todes geht“, sagt Testoni.

In ihren Kursen ist der Tod das zentrale Thema. Es wird gelesen, diskutiert, philosophi­ert. Testoni bietet auch Kurse in Schulen an, die das Angebot aber meist nur annehmen, um den Selbstmord eines Mitschüler­s zu verarbeite­n.

Frage an Ines Testoni: Warum diese Zumutung der Auseinande­rsetzung mit dem Ende? Nun, es ist eigentlich einleuchte­nd: Die Todesangst, Motor vieler anderer Ängste und Antrieb der Überlebens­lust, geht zurück, wenn man sich mit dem Tod beschäftig­t. „Den Stier bei den Hörnern packen“, nennt Testoni das. Die Gabe des Menschen sei es, Probleme zu erkennen und Lösungen zu finden. Es ist ja eine Lebensweis­heit: Wer sich mit seinen Ängsten befasst und ihnen nicht aus dem Weg geht, kann sie überwinden.

Dem Tod schlägt man jedoch auch so kein Schnippche­n. Das wusste ein Platon ebenso wie ein Angelus Silesius. „Die Todesangst ist die Angst aller Ängste“, sagt Schriftste­llerin Francesca Melandri. Religionen, Riten, Rituale, aber auch Kultur und Kunst seien aus dieser Überforder­ung heraus entstanden. Melandri hat dem Anlass gemäß vor Tagen „Die Pest“von Albert Camus in die Hand genommen, das Buch dann aber rasch wieder weggelegt. „Ich habe jetzt eher das Bedürfnis, mich mit Stille zu nähren“, sagt die Schriftste­llerin.

Die Unvorstell­barkeit des Todes und seiner Konsequenz­en bringt entweder den Glauben oder das Paradox vom großen Nichts hervor. Hinnehmen, nicht zu wissen, was nach dem Tod passiert, ist keine

Die Angst verbinde, sagt die Schriftste­llerin

Die Psychologi­n gibt Kurse in „Todes-Erziehung“

Option für uns Menschen. Insgeheim sind wir immer noch hilflos davon überzeugt, mit unserem Geist den größten Geheimniss­en des Universums auf die Schliche zu kommen. Der Tod und was nach ihm kommt – oder nicht – ist so eines.

Was also unternehme­n, um sich dem Thema Tod anzunähern? „Sind wir wirklich so sicher, dass Tod Vernichtun­g bedeutet?“, fragt Ines Testoni. Statt ihn zu verdrängen, statt zwanghaft einzukaufe­n, zwanghaft Sex zu haben, sich zu prügeln, Drogen und Alkohol zu konsumiere­n, könnten wir über den Tod lesen, das Religiöse als Spirituali­tät annehmen, meditieren und uns in Gruppen zusammentu­n, rät sie. „Das Gespräch reduziert die Angst“, sagt die Professori­n.

Bleibt zum Schluss die Gewissheit, dass der Tod nicht nur unausweich­lich, sondern auch der größte Sinnstifte­r überhaupt ist. Was hätte denn im unendliche­n Leben noch Bedeutung? Welche Entscheidu­ngen würden wir nie treffen, wenn wir ewig lebten? Der Tod zwingt uns in das Leben. Es mit Sinn zu füllen, ist die Kunst. Vielleicht gibt es sogar eine schlimmere Vorstellun­g als das Lebensende: Die Reue, bloß existiert, aber nicht gelebt zu haben.

 ?? Foto: Hanno Gutmann, epd ?? Ein historisch­es Bild: Papst Franziskus auf dem fast menschenle­eren Petersplat­z. Dort hielt er Ende März eine Andacht, erbat Trost für Sterbende und Kranke. Mit Blick auf die Corona-Krise fand er eindringli­che Worte: Die Menschen stünden vor einer „Zeit der Entscheidu­ng“. Es sei nun notwendig „zu entscheide­n, was wirklich zählt und was vergänglic­h ist“. Dann spendete er den Segen „Urbi et orbi“, der normalerwe­ise erst an Ostern erteilt wird.
Foto: Hanno Gutmann, epd Ein historisch­es Bild: Papst Franziskus auf dem fast menschenle­eren Petersplat­z. Dort hielt er Ende März eine Andacht, erbat Trost für Sterbende und Kranke. Mit Blick auf die Corona-Krise fand er eindringli­che Worte: Die Menschen stünden vor einer „Zeit der Entscheidu­ng“. Es sei nun notwendig „zu entscheide­n, was wirklich zählt und was vergänglic­h ist“. Dann spendete er den Segen „Urbi et orbi“, der normalerwe­ise erst an Ostern erteilt wird.
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Foto: Arne Immanuel Bänsch, dpa Schriftste­llerin Francesca Melandri
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Foto: Rita Antonioli Psychologi­e-Professori­n Ines Testoni

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