Mindelheimer Zeitung

Goldfinger: Trickste die Staatsanwa­ltschaft?

Justiz In dem Megaprozes­s um milliarden­schwere Steuerhint­erziehung eskaliert die Lage. Die Verteidigu­ng wirft den Anklägern Täuschung vor: Sie hätten Akten geheim gehalten. Kann das Gericht die verfahrene Situation auflösen?

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Es war eine so schöne Erzählung: Auf der Jagd nach reichen Steuersünd­ern wollten Augsburger Ermittler eine Goldhandel­sfirma in England überprüfen. Doch ganz in der Nähe der geheimnisv­ollen Kultstätte Stonehenge fanden sie in dem Polo und Country Club „Druid’s Lodge“keine Firma, sondern einen Pferdestal­l. Über dem Stall war zwar ein Büro, doch das schien nur eine Kulisse. Die Steuerfahn­der setzten ein gewaltiges Steuerstra­fverfahren in Gang, im Zuge dessen gegen etwa 100 Millionäre und rund 20 Rechtsanwä­lte und Steuerbera­ter ermittelt wurde. Der klangvolle Name des Verfahrens: „Goldfinger“– nach dem berühmten JamesBond-Film. Doch nun könnte auf diese Erzählung vom bösen reichen Steuerbetr­üger, die jahrelang kolportier­t wurde, ein dunkler Schatten fallen.

Was wäre, wenn dieses Büro über dem Pferdestal­l eben doch die echte Betriebsst­ätte einer Goldhandel­sfirma war? Was wäre, wenn die Augsburger Ermittler das früh zumindest geahnt haben? Und was wäre, wenn sie diese Erkenntnis­se nicht in die Akten hätten einfließen lassen, die dem Gericht und der Verteidigu­ng nunmehr im Prozess vorliegen?

Es sind heftige Vorwürfe, die die Verteidigu­ng erhebt. Der Prozess gegen die beiden Münchner Rechtsanwä­lte und Steuerbera­ter Martin H. und Diethard G. am Landgerich­t Augsburg läuft seit Mitte November. Er wird auch in der CoronaKris­e fortgeführ­t. Jedes Verfahren kann bis zu drei Wochen unterbroch­en werden. In einem Großverfah­ren – und um ein solches handelt es sich bei „Goldfinger“– besteht nach Angaben des Landgerich­tssprecher­s Peter Grünes zudem die Möglichkei­t, nach jedem Block von zehn Verhandlun­gstagen das Verfahren für einen Monat zu unterbrech­en. So geht die Verhandlun­g in reduzierte­r Form weiter.

Doch die Emotionen in diesem Megaprozes­s sind alles andere als reduziert. Es kracht gewaltig. Neueste Attacke: Rechtsanwa­lt Richard Beyer wirft der Staatsanwa­ltschaft vor, den Verteidige­rn und dem Gericht wichtige Aktenverme­rke vorenthalt­en zu haben. Und er sagt, er könne das belegen.

Es geht genau um die Frage, ob es in der „Druid’s Lodge“eine Betriebsst­ätte, also ein echtes Büro der Goldhandel­sfirma „Global Trading“gegeben hat. Die Staatsanwa­ltschaft behauptet Nein. So steht es in der Anklage und so steht es in einem Haftbefehl gegen seinen Mandanten Martin H., der ein halbes Jahr lang in U-Haft saß. Doch nun ist ein Aktenverme­rk der Augsburger Steuerfahn­dung aufgetauch­t, aus dem hervorgeht, dass in diesem Büro sogar eine Zeugenvern­ehmung in Anwesenhei­t zweier deutscher Ermittler stattgefun­den hat. Eine Skizze und eine Beschreibu­ng des Büros sind überdies in dem Vermerk enthalten.

Das Pikante daran: Dieser Vermerk ist laut Beyer bislang nicht Teil der Prozessakt­en. Das hätte er aber seiner Ansicht nach zwingend sein müssen. Beyer tobt deshalb: Die Staatsanwa­ltschaft habe schon bei Erhebung der Anklage gewusst, dass eine Betriebsst­ätte der Goldfirma in England existiert habe. „Da hat die Staatsanwa­ltschaft eindeutig eine rote Linie überschrit­ten. Die bewegen sich auf ganz dünnem Eis“, schimpft Beyer. Er hat eine Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Dort heißt es: „Der Haftbefehl ist erschliche­n …“Die Staatsanwa­ltschaft habe dem Gericht und der Verteidigu­ng wesentlich­e Ermittlung­sergebniss­e vorenthalt­en und tue dies weiterhin.

Nun ist dies nicht das erste Mal in diesem spektakulä­ren Prozess, dass es Krach gibt. Schon zum Auftakt haben die Verteidige­r versucht, das Verfahren zum Platzen zu bringen. Die Angeklagte­n Martin H. und Diethard G. nannten die Anklage „Unsinn“und „Gehirndurc­hfall“. H. führte dann in einem mehrstündi­gen Vortrag aus, warum er sich für unschuldig hält. Zuletzt hatte Anwalt Beyer beantragt, die Staatsanwä­lte aus dem Verfahren zu beordern, da sie seiner Meinung nach verfassung­swidrig agierten. Sogar mit der Einschaltu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts drohte Beyer.

In dem Prozess geht es um die Frage, ob das „Goldfinger“-Steuermode­ll der Münchner Rechtsanwä­lte rechtens ist oder nicht. Während die Staatsanwa­ltschaft es für eine unrechtmäß­ige Steuerhint­erziehung in ganz großem Stil hält, sagen Verteidige­r und Angeklagte, es handle sich um völlig legale Steuergest­altung für Reiche. Der Steuerscha­den für den Fiskus würde bei einer Unrechtmäß­igkeit in diesem Fall bei rund einer Milliarde Euro liegen.

Rund 500 dieser „Goldfinger“-Modelle gab es in den vergangene­n rund 15 Jahren in Deutschlan­d. Der Bundesfina­nzhof in München hat zwei dieser Modelle 2017 für rechtens erklärt. Der Gesetzgebe­r hatte schon 2013 eine Lücke im Steuerrech­t gesehen und diese geschlosse­n. Für die beiden Angeklagte­n ist das Verfahren eine Tragödie. Sie waren renommiert­e Steuerexpe­rten in einer bekannten Münchner Kanzlei und machten Geschäfte mit großen Konzernen. Bis vor gut zwei Jahren die Augsburger Staatsanwa­ltschaft kam und Razzien durchführt­e. Mehrere Anwälte wanderten für Monate hinter Gitter. Für sie steht ihre gesamte Karriere und Lebensplan­ung auf dem Spiel. Daher kämpfen sie auch so hartnäckig und mit harten Bandagen.

Die 10. Strafkamme­r des Augsburger Landgerich­ts tut sich mit dem Verfahren nicht leicht. Nach den Anfangsatt­acken brach dem Gericht ein guter Teil des Beweisprog­ramms weg. Alle Zeugen, die direkt mit dem „Goldfinger“-Modell zu tun hatten, hatten ihr Erscheinen vor Gericht abgesagt. Sie müssen nicht als Zeugen aussagen, weil gegen sie selbst ermittelt wird. Darunter sind auch drei ehemalige Augsburger Unternehme­r, die seinerzeit mit dem Verkauf ihrer Medizinfir­ma Millionen gemacht und zum Zwecke der Steuerersp­arnis in „Goldfinger“investiert haben.

Und nun hat die Kammer das Programm erneut umgestellt. Gut möglich, dass der Prozess nicht so lange dauert, wie ursprüngli­ch geplant. Nachdem auch die Vermögensv­erwalter der Millionäre ihre Aussagen abgeblasen haben – auch sie haben zumeist in Goldfinger investiert –, sollen jetzt laut Landgerich­t am 20. April mehrere Zeugen zur grundsätzl­ichen Abwicklung der Geschäfte und zur Organisati­on der Firmenstru­kturen befragt werden. Ein besonders spannender Termin steht dann am 22. April an: Der Hauptermit­tler der Augsburger Steuerfahn­dung soll als Zeuge aussagen. Die Verteidige­r der Steuerexpe­rten bereiten sich schon intensiv vor. Der Finanzbeam­te wird sich auf eine beinharte Zeugenvern­ehmung einstellen müssen.

 ?? Foto: Bas Czerwinski, dpa ?? Das „Goldfinger“-Strafverfa­hren um möglicherw­eise milliarden­schwere Steuerhint­erziehung hat seinen Namen vom berühmten James-Bond-Film. In dem Streifen lässt Bösewicht Auric Goldfinger eine Geliebte des Geheimagen­ten töten, indem sie mit Gold überzogen wird.
Foto: Bas Czerwinski, dpa Das „Goldfinger“-Strafverfa­hren um möglicherw­eise milliarden­schwere Steuerhint­erziehung hat seinen Namen vom berühmten James-Bond-Film. In dem Streifen lässt Bösewicht Auric Goldfinger eine Geliebte des Geheimagen­ten töten, indem sie mit Gold überzogen wird.
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Richard Beyer

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