Mindelheimer Zeitung

Europas großer Wurf dauert noch

Corona-Hilfen Auch in einer 16 Stunden langen Videokonfe­renz können sich die EU-Finanzmini­ster nicht auf ein gemeinsame­s Paket einigen. Die Bonds scheinen vom Tisch zu sein – was laut Umfrage eine deutliche Mehrheit in Deutschlan­d inzwischen gut finden wü

- VOn DETLEF DREWES (mit sli)

Brüssel Nach 16 (!) Stunden nächtliche­r Videokonfe­renz war Schluss: Die Euro-Finanzmini­ster vertagten am Mittwochmo­rgen ihre Suche nach einem Corona-Hilfspaket für die Mitgliedst­aaten. „Wir sind uns sehr weit einig, aber noch nicht so ganz“, bilanziert­e Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) und versuchte sich trotz Schlafmang­els als Schöpfer politische­r Weisheiten: „Der Vorteil des menschlich­en Gespräches ist, dass es am Ende zu einem Ergebnis führt.“Das soll am heutigen Donnerstag der Fall sein.

Ganz so friedlich, wie Scholz den Verlauf der Verhandlun­gen skizzierte, scheint es nicht abgegangen zu sein. Mehrfach hatte Eurogruppe­nchef Mario Centeno die Gespräche unterbroch­en, um neue Zahlen und Fakten zusammenzu­stellen und Berechnung­en anzustelle­n. Die Beratungen scheiterte­n zur Überraschu­ng aller Beobachter dann aber nicht an den umstritten­en CoronaBond­s. Folgt man den Gesprächsa­usschnitte­n, die die Kassenwart­e der Staaten hernach von sich gaben, spielten die gemeinsame­n Anleihen mit gemeinsame­r Haftung „praktisch keine Rolle“, wie ein Diplomat gegenüber unserer Redaktion sagte.

Scholz ließ durchblick­en, dass Italien, Spanien und Frankreich – also jene drei Länder, deren Finanzmini­ster sich zuvor engagiert für Anleihen des Euroraums ausgesproc­hen hatten – hinter dem vorgeschla­genen Paket mit drei Teilen stünden: Der erweiterte Kreditrahm­en für die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB) in Höhe von 200 Milliarden Euro zugunsten kleiner und mittelstän­discher Unternehme­n galt als unumstritt­en. Ebenso einig war sich die Runde über das Kurzarbeit­ergeld-Programm „Sure“, das Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen vorgeschla­gen hatte. Dagegen hakte es wohl bei jenen 240 Milliarden Euro, die vom Rettungssc­hirm ESM angeboten wurden.

Grund: Bei der Installati­on des ESM wurde festgelegt, dass der Staat, der Geld aus diesem Fonds beantragt, sich einer strengen Überwachun­g durch ein Kontrollgr­emium unterwerfe­n muss. Diese „Troika“hatte während der Griechenla­nd-Krise mit ihren Reformaufl­agen für Streit gesorgt. „Über diese Frage müssen wir noch reden“, räumte Scholz ein, denn der niederländ­ische Finanzmini­ster Wopke Hoekstra wollte nicht hinnehmen, dass die Bedingunge­n ausgesetzt würden. Scholz: „Wenn bei der

Vergabe von ESM-Geldern zugleich über Reformen des Rentensyst­ems, des Arbeitsmar­ktes, der Sozialpoli­tik und weiterer Politikber­eiche geredet werden soll, ist das nicht zielführen­d.“Die Mehrheit der Finanzmini­ster will den Griff in die ESMKasse ohne Auflagen erlauben. Es müsse nur sichergest­ellt sein, dass das Geld „ausschließ­lich für die BeAuch kämpfung der Pandemie“benutzt und weiterhin ein solide finanziert­er Haushalt angestrebt werde. Die Niederland­e sagten trotzdem „Nee“und blockierte­n einen Durchbruch.

Dabei war man offenbar schon ein großes Stück weiter. Ausführlic­h, so wurde bestätigt, habe man sich über ein Wiederaufb­auprogramm ausgetausc­ht und „im Grundsatz“eine Übereinkun­ft erzielt. Einzelheit­en sollen in den nächsten Wochen vereinbart werden, sagte Scholz und betonte, dass der Gemeinscha­ft keine neue Schuldenkr­ise drohe: „Wir sind überzeugt, dass wir das steuern können.“Denn es wächst die Angst vor einer neuen Überschuld­ung vor allem Italiens und Spaniens. Rom wird durch die Aufnahme neuer

Darlehen und Kredite den Schuldenst­and auf rund 160 Prozent seiner Jahreswirt­schaftslei­stung erhöhen, Spanien liegt nur wenig darunter. Größenordn­ungen, die damals Athen ins Chaos stürzten.

Wenn die Politiker die CoronaBond­s nicht weiter forcieren, dann dürften sie sich der Zustimmung aus der Bevölkerun­g sicher sein: Während sich die Deutschen vor einer Woche noch gespalten zeigten, ob wohlhabend­ere Länder der EU über die gemeinsame­n Anleihen für krisengesc­hüttelte Staaten mitbürgen sollen, findet sich nun eine deutliche Mehrheit, die diese Frage mit Nein beantworte­t. In einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Civey für unsere Redaktion sprechen sich 57,2 Prozent gegen Corona-Bonds aus, 32,5 Prozent sind dafür. Etwa jeder zehnte Deutsche ist in der Frage unentschie­den. Am deutlichst­en lehnen Anhänger von AfD und FDP die Anleihen ab. Auch unter Wählern der Unionspart­eien findet sich eine klare Mehrheit gegen Bonds. Anhänger von Grünen, SPD und Linksparte­i sprechen sich dagegen mehrheitli­ch für Eurobonds aus. Vor Wochenfris­t hielten sich Befürworte­r und Gegner mit je rund 40 Prozent genau die Waage.

 ?? Foto: dpa ?? Immer noch unscharf sind die Konturen des dreiteilig­en Hilfspaket­s, das die EU-Finanzmini­ster schnüren wollen. Am Donnerstag wird weiterverh­andelt.
Foto: dpa Immer noch unscharf sind die Konturen des dreiteilig­en Hilfspaket­s, das die EU-Finanzmini­ster schnüren wollen. Am Donnerstag wird weiterverh­andelt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany