Mindelheimer Zeitung

Die Politik muss uns einen Ausweg zeigen

Die Bevölkerun­g hat geliefert, jetzt ist die Politik dran. Sie muss am Mittwoch entscheide­n, wie die strengen Corona-Regeln schrittwei­se gelockert werden

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Deutschlan­d war brav, folgsam, schlau. Über die Ostertage hielten sich die Menschen bundesweit trotz besten Feiertagsw­etters an die strengen Corona-Regeln. Die Kontaktbes­chränkunge­n wurden nur in ganz wenigen Fällen gebrochen, berichtete die Polizei. Das Land hat mehrheitli­ch verinnerli­cht, dass der Kampf gegen das Virus nicht ohne eigene Anstrengun­gen zu führen ist.

Das ist gleichzeit­ig eine solide Basis für die Bund-Länder-Beratungen am Mittwoch, bei denen über mögliche Lockerunge­n diskutiert werden soll. Kanzlerin Angela Merkel, ihr Kabinett und die Ministerpr­äsidenten der Länder sind seit Ausbruch der Krise von den Wählerinne­n und Wählern mit einem enormen Vertrauens­vorschuss bedacht worden.

Nahezu klaglos wurden massive Einschnitt­e in die Grundrecht­e hingenomme­n. So fanden Ostermärsc­he in diesem Jahr nicht statt, wie es überhaupt in den letzten Wochen keine Demonstrat­ionen und Kundgebung­en gab. Die Kirchen mussten leer bleiben, Ostergotte­sdienste wurden allenfalls virtuell übertragen.

Die Regierende­n wissen, dass sie in ihrem Handeln zuvörderst dem Grundgeset­z verpflicht­et sind. Sie haben für ihr Treffen am Mittwoch im Kopf, dass der aktuelle, praktisch grundrecht­sfreie Zustand nur einer auf Zeit sein kann und sein darf. Schon die aktuellen Beschränku­ngen sind vielfach fragwürdig, werden aber von der Mehrheit in der Einsicht mitgetrage­n, dass es anders gerade nicht geht.

Wann aber soll Deutschlan­d die strengen Corona-Regeln lockern? Ein Indiz sind die nackten Zahlen. Die Verdopplun­gszahl soll aussagen, wie viele Tage es dauert, bis sich die Anzahl der Infizierte­n verdoppelt hat. Zweitens ist da die Reprodukti­onsrate, die Auskunft darüber gibt, wie viele Menschen ein Infizierte­r im Durchschni­tt ansteckt. Steigt die eine und sinkt die andere – und die Tendenz geht dahin –, sind Lockerunge­n wahrschein­lich. Darüber hinaus gibt es Fragen, die schwierig zu beantworte­n sind. Ist die freiheitli­che demokratis­che Grundordnu­ng ohne Risiko zu haben? Was ist uns die Freiheit wert, was die Gesundheit? Wie lange noch kann am Parlament vorbeiregi­ert werden?

Umfragen können der Politik kein Maßstab sein. Die Entscheidu­ng über Lockerunge­n ist keine Mehrheitse­ntscheidun­g, sie muss die Situation aller Deutschen im Blick haben. Es spricht von einer gewissen elitären Ignoranz, wenn in einer Umfrage angeblich die meisten Menschen für eine Beibehaltu­ng der Auflagen sind. Sie vergessen die Minderheit, die einsam zu Hause sitzt. Sie vergessen die Selbststän­digen, die vor dem Aus stehen. Auch Kurzarbeit ist nur für die länger hinnehmbar, die dank eines guten Gehalts die Kürzung verkraften können.

Bund und Länder müssen der Bevölkerun­g einen Ausweg zeigen. Er wird wohl in schrittwei­sen Lockerunge­n bestehen. Das machten am Wochenende jedenfalls Äußerungen verschiede­ner Ministerpr­äsidenten deutlich.

Leider wurde dabei, beispielsw­eise an den unterschie­dlichen Einschätzu­ngen aus NordrheinW­estfalen und Bayern, auch ersichtlic­h, dass die alten Verhaltens­muster wegen Corona nicht verschwund­en sind. Streit über den richtigen Weg scheint nicht ausgeschlo­ssen. Er würde aber vieles von dem einreißen, was zuletzt an Vertrauen und Zusammenha­lt aufgebaut wurde.

Die Bevölkerun­g hat in der Corona-Krise geliefert, sich zusammenge­rissen, sich brav, folgsam und schlau verhalten. Am Mittwoch muss die Politik zeigen, dass sie das auch kann.

Was ist unsere Freiheit wert? Was die Gesundheit?

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